Mülheim.. 60 Minuten unterwegs mit einem Baumpfleger in Mülheim: Gut gesichert lässt er die Motorsäge durch das Holz gleiten. Die Hausbesitzer haben jetzt mehr Tageslicht.
Einen Baum zu fällen, so heißt es, ist ein Job für echte Männer, für ganze Kerle. Gemeint ist dabei landläufig das bärtige Exemplar, Typ einsamer Wolf, im verschwitzten Holzfällerhemd und mit der Axt im Anschlag.
Falsch. Alles falsch. Rein gar nichts an diesem Bild stimmt mit der Realität überein. Gut, vielleicht die Tatsache, dass es ein Mann ist, der in einer ruhigen Seitenstraße in Mülheim-Styrum heute einen Baum fällen soll – doch zum Baumpfleger-Team der beauftragten Firma, das ist schnell herauszuhören, gehört normalerweise auch eine Frau. Das nur am Rande.
Besagter Mann also trägt weder Bart noch Holzfällerhemd. Stattdessen Schnittschutzhosen und -Schuhe – auch echte Kerle haben den Vorschriften einer Berufsgenossenschaft Folge zu leisten. Statt der Axt hat er eine Motorsäge dabei. Klein genug, um am Klettergurt befestigt werden zu können, handlich genug, um im Baum zum Einsatz zu kommen, laut genug, um sensible Gemüter in die Flucht zu schlagen und dem Gehör ernsthaften Schaden zuzufügen. Von daher sieht die Kleiderordnung auch noch Gehörschutz vor. Und natürlich Helme. Der Schweiß immerhin, er fließt in Strömen an diesem sonnigen Sommervormittag. Die Schnittschutzkleidung ist nicht sonderlich luftig.
Verkehrssicherheit kontrollieren und Totholz beseitigen
Mehrere Hainbuchen sollen die Baumpfleger hier schneiden, einen Silberahorn auf Verkehrssicherheit kontrollieren und von Totholz befreien, und eine Blutbuche fällen. Früh am Morgen sind sie angerückt, zu fünft, womit schließlich noch das letzte Klischee ausgeräumt wäre: Der Baumpfleger als solcher tritt niemals als einsamer Wolf auf, stets hat er mindestens einen Kollegen oder eine Kollegin dabei, denn auch das ist Vorschrift.
Ihren Kipplader und den Anhänger mit dem Häcksler haben sie ordentlich am Straßenrand abgestellt und mit Warnhütchen abgesperrt.
Mittlerweile ist es zehn, und die Männer sind irgendwo in und unter den Bäumen verschwunden: Einen findet man, mit etwas Mühe, hinten im Garten. Zwischen dem dichten Blattwerk der Buche ist er kaum zu entdecken. Mit einem Seil gesichert, klettert er die gesamte Baumkrone ab, um Äste herauszuschneiden, die zu weit auf das Nachbargrundstück ragen.
Mit Steigeisen in den Baum
Ein weiterer ist an der anderen Seite des Gartens unterwegs und schneidet zurück, was an Fassaden und auf Garagendächern kratzt.
Und einer schnallt sich jetzt die Steigeisen um und klettert am Stamm der Blutbuche empor, die sich eng an die Hauswand schmiegt und, noch, weit über das Dach hinausreicht. Dem Eigentümer ist sie im wahrsten Sinne des Wortes über den Kopf gewachsen: Aus dem einstmals kleinen zarten Vorgartenbäumchen ist ein 20-Meter-Baum geworden, dessen Wurzeln gegen das Mauerwerk drücken und dessen Blätter die Fenster verdunkeln.
Den Baum von unten wegzuschlagen wäre undenkbar in dieser schmalen Straße mit ihren Vorgärten und Reihenhäusern. Also muss er Stück für Stück von oben abgetragen werden.
Hauseigentümer sehen jetzt wieder Tageslicht
Zuerst werden die Äste gekappt, dann ist die Krone an der Reihe, die für einen Augenblick nur noch einsam in den blauen Himmel ragt: Der Kletterer hat sich mit einem Stahlseil am Stamm gesichert, der hier oben nur noch oberarmdick ist. Nachdem er sich vergewissert hat, dass niemand mehr in der Nähe steht, beginnt er zu sägen, warnt die Kollegen mit einem knappen „Achtung!“, sägt weiter – und ein meterlanges Stück Baum gleitet beinahe elegant an einem vorher befestigten Seil gen Boden. Kaum dort angekommen, wird es auch schon von einem Bodenmann weggeschleift und dem rumpelnden, dröhnenden Häcksler übergeben, verschwindet mit zitternden Blättern in dessen Schlund und wird, fein geschreddert, in den Anhänger gespuckt.
Der Kletterer setzt erneut die Säge an, jetzt gegen den nackten Stamm, sägt, ruft „Achtung!“, sägt und stemmt sich gegen das Holz. Krachend schlägt ein dickes Stück auf dem Boden auf. Abermals sägt er, ruft, sägt, drückt. Sägt, ruft, sägt, drückt. Kleiner und kleiner wird der Baum, dicker und dicker werden die Stücke, die im Vorgarten landen. Sägemehl rieselt herab, legt sich pudrig auf die Pflastersteine der Garageneinfahrt. Die Luft riecht nach frischem Holz.
Dann ist die Hausfassade wieder frei, man kann nur ahnen, wie plötzlich das Sonnenlicht durch die Fenster in die Wohnung strömt. Und die Männer stehen in der Einfahrt beisammen, verschnaufen kurz und erzählen von der Kollegin, die das Haar eines Eichenprozessionsspinners ins Auge bekommen hat, ganz fiese Angelegenheit, aber es geht ihr schon wieder gut. Was eben so passiert auf Baustellen, was man so sieht: Und dann war da doch noch diese vom Blitz gespaltene Fichte. Ein Vogel ist bei dem Einschlag „gegrillt“ worden, der Kunde hat Fotos gezeigt. Für den Vogel war es zu spät, aber den Baum, den hätten die Baumpfleger wirklich gern erhalten. Mit Verbolzungen vielleicht. Aber es half alles nichts, zu groß war der Schaden. Ein Jammer! Ja, Bäume fällen können sie, die echten Kerle. Aber viel lieber noch lassen sie sie stehen.