Lippstadt. Mit Hella will der französische Autozulieferer Faurecia gewaltig wachsen. Kosteneinsparungen sieht Vorstandschef Koller nicht beim Personal.
Patrick Koller, Chef des französischen Zulieferkonzerns Faurecia, will an diesem Montag keinen Zweifel darüber aufkommen lassen, dass die Übernahme des Traditionsunternehmens Hella eine freundliche und gute sein soll. Auch für die rund 150.000 Beschäftigten. „Wir teilen eine Strategie. Und wir teilen Werte und Unternehmenskultur“, erklärt Koller.
Eher mehr Personal nötig
Es ist erst einmal ein gutes Signal, dass der 62-jährige Franzose mit deutschem Vater und einer Hella-Vergangenheit sich so schnell nach der Einigung mit den Gründerfamilien in Lippstadt zeigt. Koller will Sinn und Vision des Zusammenschlusses verständlich machen – gemeinsam mit Hella-Chef Rolf Breidenbach und dem langjährigen geschäftsführenden Gesellschafter Jürgen Behrend.
Es ist beinahe demonstrative Harmonie, die die drei Manager an diesem Tag präsentieren. Die vielleicht wichtigste Botschaft für die rund 5500 Hella-Mitarbeiter in Lippstadt und die mehr als 1000 im Elektronikwerk in Hamm, spricht Rolf Breidenbach aus: „Wir werden eher mehr als weniger Hände benötigen. Die Arbeitsplätze bei Hella sehe ich mit Faurecia eher sicherer als vorher.“
33 Milliarden Euro Jahresumsatz bis 2025 angepeilt
Koller und Breidenbach untermauern dies mit einer Wachstumsprognose, die man für mutig halten könnte: Von heute 23 Milliarden Euro Umsatz der beiden Konzerne sollen es 2025 – also bereits in gut vier Jahren – zehn Milliarden Euro mehr sein. Auf den ersten Blick kühn, auf den zweiten aber nach Angaben der Vorstände weitgehend abgedeckt durch prall gefüllte Auftragsbücher. Die vier Jahre entsprechen ungefähr dem Vorlauf, der in der Automobilbranche für die Einführung neuer Produkte mindestens üblich ist. Insofern wäre der Wachstumssprung nicht utopisch.
Den Löwenanteil daran soll Faurecia beisteuern. Von heute knapp 15 Milliarden Euro Umsatz soll es auf rund 25 Milliarden im Jahr 2025 gehen. Hella präsentiert am kommenden Donnerstag die endgültigen Zahlen für das Geschäftsjahr 2020/21, die einen Umsatz von rund 6,5 Milliarden Euro ausweisen werden. 1,5 Milliarden mehr sollen die Lippstädter dann also in vier Jahren beisteuern.
Abschied von der Börse?
Faurecia beschäftigt in Deutschland rund 5500 Mitarbeiter. Die Deutschland-Zentrale ist in Stadthagen bei Hannover, die Konzernzentrale in Nanterre bei Paris. Hella beschäftigt in Deutschland rund 7500 Mitarbeiter, davon 5500 in Lippstadt und rund 1000 in Hamm. Von Lippstadt aus sollen die Bereiche Elektronik, Licht und das Aftermarket- und Werkstattgeschäft gesteuert werden.Die Übernahmevereinbarung sieht vor, dass Faurecia für 4 Mrd. Euro zunächst die 60 Prozent Aktien der Familienmitglieder für den Preis von 60 Euro je Aktie erwirbt und allen anderen Aktionären das Gleiche bietet. Erreicht Faurecia 95 Prozent der Aktien, wird Hella von der Börse genommen. Der Name soll in jedem Fall erhalten bleiben.
Mit Faurecia arbeitet Hella bereits seit 2018 erfolgreich bei der Innenraumgestaltung zusammen. Die Franzosen entwickeln Cockpits der Zukunft, für die die Mikro-LED-Technik von Hella gebraucht wird.
Auch im Bereich der Elektromobilität ergänzen sich die beiden Unternehmen eher, als dass sie sich kannibalisieren würden. Hella ist Technologieführer im Bereich Energiemanagementsysteme, also der Steuerung von Batterietechnik, die für Elektromobilität hohe Bedeutung hat. Faurecia wiederum bringt Know-how im Bereich Brennstoffzellentechnik mit, wo die Deutschen gar nicht unterwegs sind. Licht, Elektronik und der Bereich Werkstatt- und Diagnosetechnik sollen von Lippstadt aus im Faurecia-Konzern gesteuert werden.
In Ruhe entschieden
Auch in den Märkten ergänzen sich die beiden. Faurecia kann Hella im boomenden asiatischen Markt helfen. „Hier sind wir stärker. In Europa sind wir etwa gleich“, erklärt Koller. Für die Heimat verspricht sich der Vorstandschef allerdings viel davon, dass Hella insbesondere bei den deutschen Premiumherstellern einen vorzüglichen Ruf genießt und Türen öffnen kann. „Wir brauchen Hella“, sagt der Faurecia-Chef frank und frei: „Und ich glaube, Hella braucht uns auch.“
Die Mehrheitsgesellschafter der Gründerfamilien Röpke und Hueck haben bereits eine ganze Weile überlegt, wie sie die Zukunft des Traditionsunternehmens sichern könnten. Denn: Im Jahr 2024 wäre die Verpflichtung der Familienmitglieder ausgelaufen, ihre Aktien zu halten. Sie hätten dann ihre Anteile verkaufen können. Höchstwahrscheinlich eher unkontrolliert.
Mit dem Verkauf an Faurecia geht es Jürgen Behrend, Verwalter des Pools in Höhe von 60 Prozent der Hella-Aktien, sehr viel besser. „Wir haben auch andere, sehr interessante Optionen geprüft. Mit dem Verkauf an Faurecia tun wir das Beste für das Unternehmen und die 36.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter“, ist der langjährige geschäftsführende Hella-Gesellschafter überzeugt. Der Entschluss sei in Ruhe und mit großer Souveränität erfolgt. „Die Familie hat am Samstag ganz einmütig entschieden.“