Essen. Die NRW-Landesregierung setzt auf einen massiven Ausbau der Wasserstoff-Wirtschaft. Zu den Akteuren gehören Evonik, RWE, Thyssenkrupp und Uniper.
Die Liste der Wasserstoff-Projekte wird von Woche zu Woche länger. Regelmäßig tauchen die Namen großer Unternehmen aus dem Ruhrgebiet auf, wenn es um Vorhaben rund um den potenziell klimafreundlichen Energieträger geht. Bei Akteuren wie Amprion, Evonik, RWE, Thyssenkrupp und Uniper gibt es bereits detaillierte Konzepte für die Wasserstoff-Wirtschaft, die auf das Zeitalter von Kohle, Öl und Gas folgen soll. „Der Wandel hin zu einer klimaneutralen Industrie ist eine Jahrhundertaufgabe“, sagt NRW-Wirtschaftsminister Andreas Pinkwart im Gespräch mit unserer Redaktion. „Wasserstoff spielt dabei eine entscheidende Rolle.“ Gerade für das Ruhrgebiet entstehen nach Einschätzung des Ministers beim Aufbau einer entsprechenden Infrastruktur große Chancen, zumal üppige Fördergelder der Bundesregierung winken.
Nach dem Willen der Bundesregierung soll Deutschland bis zum Jahr 2050 klimaneutral sein. Um dieses Ziel zu erreichen, ist ein gigantischer Umbau erforderlich. Kraftwerke, Heizungen, Hochöfen, Aluhütten, Schiffe und Autos müssen so funktionieren, dass keine Treibhausgase in die Atmosphäre gelangen. Überall dort, wo die Elektrifizierung oder Batterien nicht weiterhelfen, sei Wasserstoff „der Schlüssel zum Erfolg“, erklärt Uwe Lauber, der Chef des Anlagenbauers MAN Energy Solutions, der ein großes Werk in Oberhausen betreibt. Auch Christian Bruch, der Siemens Energy mit Standorten in Duisburg und Mülheim führt, sagt voraus: „Wasserstoff wird in der zukünftigen Energiewelt eine extrem wichtige Rolle spielen.“
So ist es beispielsweise möglich, mit Hilfe von viel Strom aus erneuerbaren Quellen Wasser durch Elektrolyse in energiereichen Wasserstoff umzuwandeln. Dieser Wasserstoff kann ins Pipeline-Netz eingespeist und für die Stromerzeugung oder Stahlherstellung verwendet werden.
„Nordrhein-Westfalen ist ein Wasserstoff-Land“
NRW sei schon jetzt „ein Wasserstoff-Land“, betont Pinkwart. Derzeit komme etwa ein Drittel der deutschen Wasserstoff-Nachfrage aus der NRW-Industrie. Schätzungen gingen davon aus, dass sich die Nachfrage bis zum Jahr 2030 verdoppeln könnte. Neben den Wasserstoff-Abnehmern befinden sich viele Anlagenbauer in der Region. „Wir haben nicht nur die großen Wasserstoff-Verbraucher, sondern auch Technologie-Anbieter wie Siemens in Mülheim und MAN Energy Solutions in Oberhausen“, betont Pinkwart. „Für diese Unternehmen eröffnen sich große Chancen, wenn zunehmend großtechnische Anlagen wie Elektrolyseure für die Herstellung von Wasserstoff gebraucht werden.“
Wesentliche Standorte der NRW-Industrie werden nach Einschätzung des Ministers künftig „in hohem Maße auf Wasserstoff angewiesen“ sein. Das gelte für die Hochöfen in Duisburg ebenso wie den Chemiepark in Marl sowie die Raffinerien in Gelsenkirchen und Wesseling. „Wir erleben beim Thema Wasserstoff gerade eine rasante Entwicklung, an der viele Unternehmen aus NRW und dem Ruhrgebiet beteiligt sind“, sagt Pinkwart. „Ich denke beispielsweise an die Stahlbranche mit Thyssenkrupp, die chemische Industrie mit Evonik und BP oder die Strom- und Gasunternehmen mit Eon, RWE, Amprion und Open Grid Europe.“
Thyssenkrupp rechnet mit enormen Investitionskosten
Die Bundesregierung hat unlängst eine „Wasserstoffstrategie“ beschlossen. Demnach sollen neun Milliarden Euro in die Förderung des Energieträgers fließen, davon sieben Milliarden Euro für Technologien hierzulande und zwei Milliarden Euro für internationale Partnerschaften. „Das ist ein guter Schritt für die Wirtschaft und ein wichtiges Signal für den Standort Deutschland“, sagt Thyssenkrupp-Vorstandsmitglied Klaus Keysberg. „Thyssenkrupp kann davon in mehrfacher Hinsicht profitieren.“ Zum einen dürften sich die Kosten für klimafreundlichen Wasserstoff verringern – mit positiven Effekten unter anderem für die künftige CO2-freie Stahlproduktion. Außerdem hofft Thyssenkrupp im Anlagenbau auf neue Märkte für Elektrolyse-Anlagen zur Wasserstoff-Produktion. Keysberg betont aber zugleich, dass über das bestehende Programm der Bundesregierung hinaus weitere Anstrengungen erforderlich seien, um Stahl klimaneutral herstellen zu können. Der Wasserstoffbedarf sowie die Investitionskosten seien „enorm“, gibt er zu bedenken.
Auch Pinkwart erwartet, dass NRW vom Neun-Milliarden-Euro-Programm des Bundes profitieren wird. „Die Möglichkeiten, die der Bund eröffnet, sind sehr hilfreich“, sagt der Minister. „Mit unserem dichten Netzwerk von Unternehmen, Projekten und Forschungseinrichtungen haben wir beste Voraussetzungen, wenn es darum geht, die Mittel sinnvoll einzusetzen.“
Vorreiter beim Thema Wasserstoff aus dem Ruhrgebiet
Andreas Kuhlmann, Chef der Deutschen Energie-Agentur (dena), rechnet ebenfalls damit, dass auch Projekte in NRW „von den großzügigen Förderbeträgen profitieren können“. Besonderes Augenmerk liege auf der Stahlbranche und der chemischen Industrie. „Thyssenkrupp, Eon, RWE, Uniper und Evonik sind die Vorreiter beim Thema Wasserstoff“, sagt Kuhlmann. „Schon seit Jahren steht das Thema bei ihnen hoch auf der Agenda. Für den Industriestandort Deutschland wäre es gut, wenn sie dauerhaft erfolgreich dabei sind.“
Befürchtungen, insbesondere die Küstenländer in der Nähe der großen Windkraftanlagen könnten profitieren, tritt NRW-Wirtschaftsminister Pinkwart entgegen. „Ich bin zuversichtlich, dass gerade am Anfang die Anlagen zur Wasserstoff-Erzeugung insbesondere in NRW entstehen, also in der Nähe zu den großen Verbrauchern etwa in der Stahl- und Chemieindustrie“, sagt Pinkwart. „Langfristig brauchen wir aber ein Wasserstoff-Pipelinenetz in Deutschland und Europa.“ Ziel müsse es sein, den Ausbau der Wasserstoff-Infrastruktur nun entschlossen voranzutreiben. Mit einem dichten Pipeline-Netz, das sich für die neuen Zwecke nutzen lasse, gebe es gute Startvoraussetzungen. „Als Zwischenspeicher für Wasserstoff können wir in NRW auch Salzkavernen nutzen, die bislang für die Sicherung der Gasversorgung eingesetzt werden.“
Beim Thema Wasserstoff gehe es darum, die Wettbewerbsfähigkeit der Industrie in NRW „abzusichern und zu erhöhen“, sagt Pinkwart. „Wir müssen die Dinge nun schnell und entschlossen anpacken.“