Essen. Carsten Spohr sagt, warum er auf die Ampel-Regierung setzt, der Staat gut an der Lufthansa-Rettung verdient und Ungeimpfte bald am Boden bleiben.
Wenn sich Pandemie und Klimakrise gute Nacht sagen, wird es ungemütlich für den Kranich. Die Lufthansa musste vom Staat durch die Corona-Lockdowns gerettet werden, nun drohen neue Klimaauflagen aus Brüssel und Berlin. Pilot, Ingenieur und Konzernchef Carsten Spohr sagt im Interview mit unserer Redaktion, wie er die Lufthansa durch die globalen Krisen steuern will, wie die Ampel-Regierung dabei helfen kann und warum seine Crews in Österreich und der Schweiz fast zu 100 Prozent geimpft sind.
Herr Spohr, in unserem letzten Interview vor der Pandemie haben wir über die Cranger Kirmes in ihrer Heimatstadt Herne und das Oktoberfest in Ihrer Wahlheimat München geplaudert. Beide Volksfeste fanden Corona-bedingt zuletzt nicht mehr statt, welches würden Sie zuerst besuchen, wenn die Pandemie es wieder erlaubt?
Carsten Spohr: Daran denke ich in diesen Tagen nun wirklich nicht. Aber das Geld, das die Menschen bei den Volksfesten nicht ausgeben durften, könnten sie wunderbar in Flugreisen investieren. Wer Sehnsucht nach Crange und dem Ruhrgebiet hat, der könnte zum Beispiel mit unserem auf „Herne“ getauften Airbus 340 in den Urlaub fliegen.
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Sie haben seinerzeit den Münchnern empfohlen, nach Düsseldorf zu fliegen, um Crange kennenzulernen. Wenn die neue Ampel-Regierung Inlandsflüge streicht, wird da wohl nichts draus.
Spohr: Die kommende Regierung bekennt sich im Koalitionsvertrag zu einem starken Luftverkehrsstandort Deutschland, denn sie kennt sehr genau den Wert des Luftverkehrs für uns als Exportnation. Dabei sind Inlandsflüge bei uns mehrheitlich Zubringerflüge zu unseren internationalen Drehkreuzen in Frankfurt und München. Zudem fehlt es auf vielen innerdeutschen Verbindungen noch an schnellen ICE-Verbindungen. Wenn der Zug schnell genug und damit auf einer innerdeutschen Strecke das bessere Verkehrsmittel ist, wie zum Beispiel zwischen Nürnberg und Berlin oder zwischen Köln und Frankfurt, stellen wir unsere Flüge ein.
Lufthansa-Chef Spohr lobt den Koalitionsvertrag
Herr Spohr, Sie halten den neuen Koalitionsvertrag in den Händen, Verkehrsminister wird entgegen bisherigen Spekulationen kein Grüner, sondern wohl der FDP-Politiker Volker Wissing. Atmen Sie auf bei den Inhalten und der Personalie?
Spohr: Ich freue mich, dass im Koalitionsvertrag zum Thema Luftverkehr eine wichtige Formulierung gleich zwei Mal vorkommt – faire Rahmenbedingungen im internationalen Wettbewerb. Die brauchen wir als global agierendes Unternehmen unbedingt. In der Pandemie konnten wir uns auf Deutschland verlassen, als wir finanzielle Unterstützung brauchten. Die haben wir nun vollständig zurückgezahlt und zeigen damit: Deutschland kann sich auch auf die Lufthansa verlassen. Und darauf, auch in Zukunft durch uns an die globalen Märkte angebunden zu sein.
Die neue Regierung will mehr Tempo beim Klimaschutz, Grünen-Chefin Baerbock etwa hält die Steuerbefreiung von Kerosin für nicht mehr zeitgemäß. Macht Ihnen das Sorge?
Spohr: Zunächst: Luftfahrt ist der einzige Verkehrsträger, der am europäischen Emissionshandel teilnimmt. Straßenverkehr, Schiene und Schifffahrt sind davon ausgenommen. Auch bei der Ticketsteuer, genannt Luftverkehrssteuer, trifft es nur Flugpassagiere. Hier sind ebenfalls alle anderen Verkehrsträger ausgenommen. Und wir finanzieren on top unsere Infrastruktur selbst, mit Steuern, Gebühren und Entgelten für jeden einzelnen Flug und jeden einzelnen Passagier. Demgegenüber wird das Straßennetz durch Steuern auf Benzin und Diesel gegenfinanziert und auch die Eisenbahninfrastruktur wird weitgehend aus öffentlichen Mitteln bezahlt. Wir haben also gegenüber anderen Verkehrsträgern überhaupt keine Vorteile, geschweige denn Subventionen. Für den Luftverkehr wurde weltweit einheitlich schlichtweg ein anderes Finanzierungsmodell gewählt.
Spohr: Fliegen wird durch Klimaschutz teurer
Wird Fliegen durch mehr Klimaschutz teurer?
Spohr: Davon müssen wir ausgehen. Ich sage schon lange, dass man Flugtickets nicht für 9 Euro verramschen sollte. Deshalb freuen wir uns, dass sich die neue Regierung auf europäischer Ebene für Mindestpreise einsetzen will. Demnach sollten keine Tickets mehr zu Preisen unterhalb der Steuerzuschläge, Entgelte und Gebühren verkauft werden dürfen. Das kann ich nur begrüßen.
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Der Flugverkehr scheint im Vergleich mit dem Straßenverkehr und der Schiene am weitesten entfernt vom Ziel der Klimaneutralität. Tun Sie zu wenig?
Spohr: Nein, wir tun nicht zu wenig. Der weltweite Luftverkehr steht für 2,8 Prozent der menschenverursachten CO2-Emissionen. Damit sind wir 2,8 Prozent des Problems, dazu bekennen wir uns. Wir tragen aber deutlich mehr als 2,8 Prozent zur Lösung bei. Denn ohne den Luftverkehr können wir nicht den globalen Wohlstand schaffen, den es braucht, um den Klimawandel zu bekämpfen. Und ohne Luftverkehr können wir nicht Wissenschaftler, Politiker, Unternehmen und NGOs zusammenbringen, die die Kräfte im Kampf gegen den Klimawandel bündeln, wie zuletzt in Glasgow. Unseren CO2-Ausstoß bei Lufthansa haben wir seit 1990 pro Passagierkilometer um 41 Prozent reduziert, und wir investieren jedes Jahr Milliarden in neue Flugzeuge, um ihn weiter zu senken. Wir sind europaweit der größte Abnehmer von nachhaltigen Kraftstoffen und treiben mit vielen Partnern diese Technologie voran. Allerdings brauchen wir zusätzlich auch noch Kompensationsmaßnahmen, um unseren Ausstoß wie geplant bis 2030 zu halbieren und bis 2050 netto CO2-neutral zu werden.
Der zweite Teil wird der schwierigere, weil die Kondensstreifen laut Klimaforschern noch mehr zum Treibhauseffekt beitragen als der Kerosinausstoß. Ist Klimaneutralität im Luftverkehr überhaupt möglich?
Spohr: Die Klimawirkung von Kondensstreifen ist noch nicht abschließend erforscht. Wir beteiligen uns auch hier aktiv, indem wir den Effekt optimierter Flughöhen untersuchen. In diesem Zusammenhang brauchen wir endlich einen einheitlichen europäischen Luftraum. Dann könnten wir in der optimalen Höhe und geradeaus und damit deutlich CO2-effizienter fliegen. Stattdessen müssen wir Million von Kilometern auf unnötigen Umwege in ungünstigen Höhen zurückzulegen. Das muss die EU nach über 20 Jahren ergebnisloser Diskussion endlich angehen, wenn ihr wirklich am Klimaschutz gelegen ist.
Die EU-Kommission setzt zurzeit eher auf ihr Programm „Fit für `55“, das höhere CO2-Abgaben und Kerosinsteuern für innereuropäische Flüge vorsieht.
Spohr: Das wäre dann kein Programm zum Schutz des Klimas, sondern zur Förderung von Airlines am Golf und am Bosporus zu Lasten der Umwelt. Weil es außerhalb der EU, etwa in Istanbul oder Dubai, keine solchen Klimaauflagen gibt, wäre es für Passagiere günstiger, einen Umweg in Kauf zu nehmen als unsere Drehkreuze zu nutzen. Wir setzen auf die neue Bundesregierung, dies nicht zuzulassen. Wer höhere CO2-Abgaben fordert, der muss auch sicherstellen, dass sie für alle gelten.
Herr Spohr, die Zuspitzung der Klimakrise fällt mit der Corona-Pandemie zusammen, wie viel Spaß macht es momentan, Lufthansa-Chef zu sein?
Spohr: Ich habe mir beide Krisen nicht ausgesucht, aber meine Aufgabe hat dadurch nichts von ihrer Faszination verloren. Bisher haben Krisen immer dazu geführt, dass die Lufthansa ihre Position im Wettbewerb stärken konnte.
Während die vierte Corona-Welle wütet, haben Sie das für Sie wichtigste Geschäft in Nordamerika wieder aufgenommen. Wie sind die Aussichten für diesen Winter und den kommenden Sommer?
Spohr: Nach Öffnung der USA und vielen anderen Gebieten sehen wir, wie sehr die Menschen das Reisen vermisst haben. Das spüren wir auch bei unseren Buchungen für Weihnachten und das nächste Jahr. Die vierte Welle betrifft ja vor allem unsere Heimatmärkte in Deutschland und Österreich. Zwei Drittel unserer Passagiere kommen aber aus anderen Ländern, und die haben Corona aktuell deutlich besser im Griff.
Für Geimpfte wird globale Freiheit erhalten bleiben
Sehen Sie die Gefahr, dass die USA wieder dichtmachen? Deutschland gilt dort ja wieder als Risikogebiet.
Spohr: Nein, auch die USA setzen inzwischen nicht mehr auf pauschale Restriktionen, sondern auf differenzierte Regelungen für Geimpfte und Genesene. Ungeimpfte dürfen nach Öffnung der USA am 8. November ohnehin nicht einreisen. Diesen Trend sehen wir weltweit. Für Geimpfte und Genesene wird die globale Freiheit erhalten bleiben.
In Deutschland gilt nun 3G auch im Flugzeug, wie funktioniert das?
Spohr: Bei uns gelten seit dieser Woche auch auf Inlandsflügen die 3G-Regeln. Das gilt gleichermaßen für unsere Crews und läuft bisher ohne Probleme.
Lufthansa schätzt Impfquote ihrer Belegschaft auf 90 Prozent
Wissen Sie, wie hoch die Impfquote unter Ihren Beschäftigten ist?
Spohr: In Deutschland schätzen wir über 90 Prozent. In einigen Airlines der Gruppe, wie Swiss und Austrian Airlines wissen wir es genauer. Dort sind nahezu alle im Flugbetrieb Beschäftigten geimpft.
Sollte Deutschland eine Impfpflicht einführen?
Spohr: Das muss letztendlich die Politik entscheiden. Unsere Tochterairline Swiss konnte eine Impfpflicht für fliegerisches Personal einführen und in Österreich, wo wir mit Austrian Airlines aktiv sind, wird es eine staatliche Impfpflicht geben.
Macht es Sie wütend, dass wir als sonst so rational denkende Deutsche mit die niedrigste Impfquote in Europa haben?
Spohr: Nicht wütend. Aber es enttäuscht mich schon, dass das Volk der Dichter und Denker moderner Medizin und Technologie nicht aufgeklärter und offener begegnet.
Wie sicher sind denn die Reisenden in Ihren Maschinen?
Spohr: Die Luft im Flugzeug ist so sauber, wie sonst nur in einem OP-Saal. Durch die Klimaanlagen mit vertikaler Luftströmung von oben nach unten haben Aerosole bei uns keine Chance. Und alle zwei bis drei Minuten wird die Kabinenluft komplett ausgetauscht. Wer Angst vor Corona hat, sollte so viel Zeit wie möglich im Flugzeug verbringen.
Die Lufthansa hat wie alle Fluglinien sehr unter der Pandemie gelitten, Sie mussten vom Staat gerettet werden, haben mehr als 30.000 Stellen abgebaut. Reicht das oder müssen Sie nachlegen, wenn die Krise andauert?
Spohr: Unser Ziel war und bleibt es, über 100.000 Arbeitsplätze zu sichern. Das werden wir schaffen. Trotzdem schmerzt es, dass wir jetzt über 30.000 Kolleginnen und Kollegen weniger sind. Aktuell haben wir rund 107.000 Beschäftigte, von denen uns noch einige Tausend über größtenteils bereits unterschriebene Freiwilligen-Programmen verlassen werden.
Lufthansa: Staat verdient an Rettung mehr als eine Milliarde
Sie haben die Staatshilfen zurückgezahlt, wie viele Zinsen hat Sie das gekostet?
Spohr: Allein in Deutschland 92 Millionen Euro. Zusätzlich wird der Staat auch noch etwa eine Milliarde Euro an seiner Aktienbeteiligung verdienen. Für den Steuerzahler war die Rettung der Lufthansa, für die wir alle sehr dankbar sind, ein gutes Geschäft.
Geht es der Lufthansa auch dank der Staatshilfen finanziell besser als vor der Pandemie?
Spohr: Im Gegenteil: Covid-19 hat uns bisher rund zehn Milliarden Euro gekostet, die wir größtenteils als zusätzliche Schulden in unserer Bilanz wiederfinden. Das ist umso bitterer, als viele unserer globalen Mitbewerber in der Krise mit nicht rückzahlbaren staatlichen Zuschüssen unterstützt wurden. Aber wir haben unsere Lehren gezogen. Heute halten wir mit rund neun Milliarden Euro dreimal so viel Liquidität vor, wie vor der Krise.
Sie könnten nun auch wieder an Zukäufe denken. Die Alitalia-Nachfolgerin ITA und die portugiesische TAP werden mit Lufthansa in Verbindung gebracht. Interesse?
Spohr: Mit der TAP verbindet uns seit vielen Jahren eine enge Partnerschaft über die Star Alliance. Mit der ITA können wir uns ebenfalls eine kommerzielle Partnerschaft gut vorstellen. Lufthansa ist ja längst eine europäische Gruppe und nicht mehr nur eine nationale Airline. Deshalb überrascht es nicht, dass auch in Rom erkannt wird, welchen Mehrwert eine Partnerschaft mit uns haben könnte.
Vielleicht irgendwann wieder Langstrecke ab Düsseldorf
Werden Sie das Vorkrisenniveau je wieder erreichen, und wenn ja, wann? Der Flughafen Düsseldorf rechnet mit 2025.
Spohr: : Der Flughafen Düsseldorf liegt für mich als NRW-ler ja immer richtig, daher stimme ich zu. Mitte der 20er Jahre werden wir das Vorkrisenniveau wieder erreichen, hoffentlich nicht nur in Düsseldorf.
Sie haben sich in Düsseldorf ihre Langstreckenflüge 2018 eingestellt. Condor fliegt von dort aus nun wieder in die Karibik und will seine Langstrecken in Düsseldorf ausbauen. Auch eine Idee für die Lufthansa?
Spohr: Auch wenn wir aus Düsseldorf zur Zeit keine direkten Langstreckenflüge anbieten, sind wir dort mit Abstand die Nummer eins und tragen entsprechend zur Erholung des Airports bei. Allein die Eurowings fliegt aus „DUS“ 100 Ziele an. Die Lufthansa Group ist und bleibt Nordrhein Westfalens Home Carrier – vielleicht auch irgendwann wieder mit Langstreckenflügen aus Düsseldorf.