Essen. Mit der neuen Schutzverordnung dürfen große Publikumsmessen in NRW wieder stattfinden. Warum die Messen dennoch auf hybride Formate setzen.
Kurzarbeit, Absagen und Verluste in Millionenhöhe: Die Corona-Pandemie hat die Messewirtschaft in Nordrhein-Westfalen hart getroffen. Nach monatelanger Zwangspause für Publikumsmessen und strengen Vorschriften für Fachmessen werden die Regeln mit der neuen Schutzverordnung nun gelockert: Große Publikumsmessen dürfen wieder stattfinden, die Besucherinnen und Besucher müssen allerdings geimpft oder genesen sein.
Die neuen Beschlüsse stimmten Daniela Mühlen von der Messe Essen „optimistisch“. Allein in diesem Jahr mussten in Essen zehn Veranstaltungen abgesagt oder verschoben werden, 2021 waren es insgesamt 20. „Zwei Jahre Pandemie haben der Messewirtschaft viel abverlangt“, so Mühlens Fazit.
NRW-Messen in der Corona-Pandemie: Umsatzverluste und Absagen
Das bestätigt ein Blick auf weitere Messestandorte in der Umgebung: Der Umsatz der Messe Düsseldorf ist nach eigenen Angaben 2021 um ein Viertel im Vergleich zum Vorjahr gesunken. In Köln konnte lediglich die Hälfte der 68 geplanten Veranstaltungen stattfinden. Wenn die Bilanz des vergangenen Jahres fertig ist, wird die Kölner Messe wohl einen Verlust von 80 Millionen Euro verzeichnen, so Messechef Gerald Böse.
„Es war eine Achterbahnfahrt ohne gleichen“, sagt Böse vor der Wirtschaftspublizistischen Vereinigung (WPV). Gleichzeitig sehe er in der Krise „eine große Chance für Messen, sich neu zu erfinden.“ Die in Zukunft notwendige digitale Transformation der deutschen Messewirtschaft sei – wie in so vielen anderen Branchen – durch die Pandemie beschleunigt worden.
Virtuelle Spielemesse Gamescom erzielt „bis dahin unbekannte Reichweite“
So fand etwa die bekannte Spielemesse Gamescom in den vergangenen zwei Jahren ausschließlich digital statt. Ausstellerinnen und Aussteller zahlten beispielsweise für Werbezeiten anstatt für Stellfläche. Das virtuelle Format erreichte Millionen Teilnehmende aus mehr als 180 Ländern, eine laut Böse „bis dahin unbekannte Reichweite.“ Dennoch ist er überzeugt, dass die Veranstaltungen von dem „Rummel in den Messehallen“ leben. Die Zukunft sieht er daher in hybriden Formaten, die Präsenzveranstaltungen mit virtuellen Elementen, wie etwa Ausstellerprofilen oder Streamings, verbinden.
Auch in Düsseldorf wurde ein Großteil der Messen im vergangenen Jahr hybrid ausgerichtet. „An hybriden Messen können Personen teilnehmen, ohne physisch vor Ort zu sein, und die Aussteller erreichen noch mehr potenzielle Kunden“, so Wolfram Diener. Ein weiterer Vorteil laut Messechef: Das Messeerlebnis werde so nicht mehr auf den Zeitraum der Veranstaltung begrenzt. Dank Abo-Modellen könnten sich die Teilnehmenden das ganze Jahr über online austauschen.
Messen in NRW setzen auf Digitalisierung und Nachhaltigkeit
Neben der Digitalisierung sei Nachhaltigkeit für den Kölner Messemanager Böse „der zweite Megatrend“, mit denen sich die Branche zunehmend auseinandersetze. „Wie vermeiden Sie Müll? Wie sieht Ihr Recycling-System aus? Wie ist Ihre Energieeffizienz?“ Mit Fragen wie diesen würden immer mehr Aussteller und Ausstellerinnen an die Messen herantreten.
Um sich diesen neuen Herausforderungen stellen und gleichzeitig die Auswirkungen der Corona-Pandemie überwinden zu können, fordern die Messen mehr Planungssicherheiten in Corona-Zeiten von der Regierung. „Jede Absage tut weh. Das liegt nicht nur am Umsatzausfall, sondern auch an den enttäuschten Erwartungen. Messen erfordern viele Monate intensiver Planungen“, sagt Mühlen von der Essener Messe.
Dass die Verluste nicht noch höher ausgefallen sind, liegt laut Messe Düsseldorf vor allem daran, dass Mitarbeitende in Kurzarbeit geschickt und Neueinstellungen und Nachbesetzungen auf ein Minimum reduziert wurden. So ist die Mitarbeiterzahl nach eigenen Angaben von 709 im Jahr 2020 auf 655 im Jahr 2021 gesunken.
Messebranche in NRW droht Fachkräftemangel
„Durch die letzten beiden Jahre sehen viele keine Zukunft in der Messebranche“, warnt der Kölner Messechef. Normalerweise würden sich pro Jahr 6000 Menschen auf eine Stelle in seinem Unternehmen bewerben, nun seien es „deutlich weniger“. Böse beobachtet darüber hinaus, dass viele Dienstleister, die etwa die Messestände vor Ort aufbauen, in andere Branchen abgewandert seien. Seine Befürchtung: „Wir werden um die Dienstleister kämpfen müssen.“
Die geplanten Messen sehe er dadurch aber nicht in Gefahr. In Essen blicke man ebenfalls zuversichtlich auf die kommenden Monate, so findet im März die Techno Classica, im April die Equitana statt. In Düsseldorf startet das neue Messejahr erst im Frühsommer mit der Beauty- und der Top-Hair-Messe – sofern die Corona-Regeln nicht wieder verschärft werden sollten.