Essen. Gazprom drosselt seine Lieferung durch Nordstream um 40 Prozent und gibt Siemens die Schuld. Konzerne und Regierung sehen keinen Grund zur Panik.
Die Energiebranche und die Bundesregierung sehen noch keinen Grund zur Panik angesichts der russischen Ankündigung, die Gaslieferungen nach Deutschland zu drosseln. Man könne aufgrund von Reparaturarbeiten nur noch 100 statt der üblichen 167 Millionen Kubikmeter Gas durch die Pipeline Nordstream 1 leiten, erklärte der Staatskonzern Gazprom am Dienstag über den Kurznachrichtendienst Telegram an. Das sind 40 Prozent weniger.
Genau um diese Menge sanken bereits am Dienstag die Liefermengen an Uniper, den größten deutschen Gazprom-Kunden. „Es ist heute 40 Prozent weniger angekommen als angefordert“, bestätigte ein Konzernsprecher der WAZ. Uniper habe aber „die fehlende Menge über andere Wege beschaffen können“. RWE erklärte, keine direkten Verträge mit Gazprom zu haben, auch Eon sieht sich nicht direkt betroffen. Der Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW) wollte sich „zu Spekulationen nicht äußern“ und verwies auf das Statement des Wirtschaftsministeriums.
Gazprom-Gasspeicher sind fast leer
Das erklärte, die Versorgungssicherheit sei aktuell gewährleistet. Das steht im Sommer allerdings gar nicht infrage, derzeit geht es darum, die Gasspeicher zu füllen, um Engpässen im kommenden Winter vorzubeugen. Deutschlands größter Speicher in Rheden gehört einer Gazprom-Tochter und ist fast leer. Zudem drohen noch weiter steigende Preise, wenn das Angebot weiter verknappt wird.
Die aktuell noch hohe Bedeutung von Nord Stream 1 ist unbestritten. „Nord Stream 1 spielt für die Gas-Versorgung Europas eine energiepolitische Schlüsselrolle: Vor Ausbruch des Ukraine-Krieges bediente russisches Erdgas in der europäischen Union rund 40 Prozent der Gasnachfrage, in Deutschland sogar rund 50 Prozent. Und dieses russische Gas kommt zu einem großen Anteil auch aus Nord Stream 1 als einer der drei großen Importrouten für russische Erdgasimporte“, erklärte ein Sprecher des Essener Energiekonzerns Eon auf Anfrage unserer Redaktion. Durch die Ostseepipeline kommen aktuell etwa zwei Drittel der Lieferungen aus Russland, nachdem aus der Leitung durch Polen keines und aus der durch die Ukraine nur noch wenig Gas in Deutschland ankommt.
Siemens kann überholte Turbine nicht zurückliefern
Die Reparaturarbeiten waren der Bundesnetzagentur angekündigt worden, die Drosselung kommt also nicht überraschend. Heikel und möglicherweise folgenreich ist allerdings die Begründung: Es fehlten Kompressoren von Siemens, was zu Verzögerungen führe, erklärte Gazprom. Der Konzern bestätigte am Abend, dass eine in Kanada überholte Turbine wegen der dortigen Sanktionen gegen Russland nicht zurückgeliefert werden könne. Damit ist unklar, wie lange sich die Reparaturen noch verzögern. Und jeder Tag mit gedrosselten Lieferungen erschwert das Auffüllen der Gasspeicher.
Deutschland bezog zuletzt laut Wirtschaftsministerium noch rund 35 Prozent seines Erdgases aus Russland, vor Jahresfrist war es noch mehr als die Hälfte. Minister Habeck hält es für realistisch, sich bis Ende 2024 unabhängig von russischem Gas machen zu können. Nach dem russischen Überfall auf die Ukraine ist dies das erklärte Ziel Deutschlands. Da die Alternativen, etwa Flüssiggas, teurer sind als es Pipelinegas vor Beginn der Energiekrise war, rechnet die gesamte Branche mit langfristig hohen Energiepreisen.