Essen. Evonik kooperiert mit dem Konsumgüterriesen Unilever und will biologisch abbaubare Wirkstoffe für Duschgels und Reinigungsmittel produzieren.
Beim Duschen, Waschen oder Putzen kommen meist Tenside ins Spiel. Sie sind ein fester Bestandteil gängiger Duschgels oder Spülmittel und sorgen dafür, dass sich Wasser mit Öl verbindet – eine Voraussetzung etwa dafür, Fettflecken zu entfernen oder Schaum zu produzieren. Bislang werden Tenside von der Industrie meist synthetisch hergestellt. Als Rohstoffe dienen dabei überwiegend Erdöl oder tropische Öle wie etwa Palmkern- oder Kokosöl. Mit einer Großinvestition in den Bau einer neuen Anlage will der Essener Chemiekonzern Evonik nun das Geschäft mit alternativen Wirkstoffen ankurbeln.
Eine dreistellige Millionensumme steckt der Revierkonzern in den Bau einer neuen Fabrik am slowakischen Evonik-Standort Slovenská Ľupča, wo ein Komplex für die Herstellung von biologisch abbaubaren Wirkstoffen entstehen soll, die unter anderem in Duschgels und Reinigungsmitteln zum Einsatz kommen. Die sogenannten Rhamnolipide werden nach Angaben von Evonik in der neuen Anlage weltweit erstmals im industriellen Maßstab produziert.
Evonik-Vizechef Harald Schwager spricht in einer Videokonferenz vor Journalisten von einer „strategischen Investition“, die sein Unternehmen tätige. Petrochemische Rohstoffe zu ersetzen, „das ist in der Tat etwas Großes“, betont der erfahrene Industriemanager Schwager, der jahrelang für den Branchenriesen BASF tätig war, bevor er zum Ruhrgebietskonzern wechselte.
Evonik investiert jährlich mehr als 400 Millionen Euro in Forschung und Entwicklung
Schwager, der bei Evonik für die Themen Forschung und Entwicklung verantwortlich ist, verweist darauf, dass sich der Essener Chemiekonzern schon seit vielen Jahren mit Biotensiden befasse, zu denen auch die Rhamnolipide gehören. „Der Weg der Rhamnolipide von der ersten Idee bis zum fertigen Produkt war lang – und er hat sich gelohnt“, konstatiert Schwager. Der aus der RAG entstandene Revierkonzern, in dem Marken wie Degussa, Hüls und Goldschmidt aufgegangen sind, habe „Kompetenz in der Biotechnologie“ aufgebaut. Insgesamt investiere Evonik mehr als 400 Millionen Euro im Jahr in Forschung und Entwicklung.
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Am slowakischen Standort kooperiert Evonik mit dem niederländisch-britischen Konsumgüterriesen Unilever. Rhamnolipide könnten zum Ziel von Unilever beitragen, bis zum Jahr 2030 fossile Kohlenstoffe in Reinigungsprodukten vollständig durch Alternativen zu ersetzen, sagt Konzernmanager Peter Dekkers: „Die Partnerschaft mit Evonik hilft uns, unsere Marken von fossilem Kohlenstoff unabhängig zu machen, ohne dabei Kompromisse bei Leistung oder Preis machen zu müssen.“
Die Herstellung der Rhamnolipide erfolgt nach Darstellung von Evonik auf Basis der Fermentation von Zucker, der aus Mais gewonnen werde. Rohöl und tropische Fette, die bislang zur Herstellung herkömmlicher Tenside verwendet werden, seien damit überflüssig. Rhamnolipide seien biologisch
abbaubar, sie böten zugleich sehr gute Eigenschaften in Bezug auf Schaumbildung und Hautverträglichkeit, wird beim Essener Chemiekonzern betont. Tests mit Handspülmitteln in Chile und Vietnam seien erfolgreich gewesen. Mit dem Bau der weltweit ersten Produktionsanlage dieser Größe könne Evonik einen „rasant wachsenden Markt“ bedienen, sagt Evonik-Manager Johann-Caspar Gammelin.
Den Standort in der Slowakei hat die Evonik-Vorgängergesellschaft Degussa bereits im Jahr 1992 gegründet. „Degussa goes east“, hieß es seinerzeit, als der deutsche Konzern Richtung Osten strebte. Unter dem Dach von Evonik habe sich das Werk als Biotechnologie-Standort profiliert, berichtet Vorstandsmitglied Schwager. Rund 230 Evonik-Beschäftigte gibt es bislang Unternehmensangaben zufolge in Slovenská Ľupča, etwa 20 weitere sollen durch die millionenschwere Investition hinzukommen. Die Entscheidung für die Slowakei sei aufgrund der Bio-Tech-Kompetenz gefallen. Auch die Nähe zu verfügbaren Rohstoffen spielte eine Rolle.
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Weltweit gehören mehr als 33.000 Mitarbeiter zu Evonik. Mit dem Konzernsitz in Essen und dem Chemiestandort Marl, wo das Unternehmen rund 7000 Menschen beschäftigt, ist Evonik einer der großen Arbeitgeber in NRW. Die Mehrheit der Evonik-Aktien gehört der RAG-Stiftung, die auf dem Essener Welterbe-Areal Zollverein residiert. Aufgabe des Stiftungskonzerns ist es, Geld für die Ewigkeitskosten des Steinkohlenbergbaus zu erwirtschaften.
Herausforderung Klimaneutralität
Der Evonik-Konzern bündelt seine Geschäfte in vier Divisionen rund um Produkte für die Pharma-, Kosmetik- und Ernährungsindustrie („Nutrition & Care“), Werkstoffe („Smart Materials“), Additive für die industrielle Anwendung („Specialty Additives“) sowie rohstoff- und energieintensive Basischemie („Performance Materials“). Als „Wachstums-Divisionen“ sieht Vorstandschef Christian Kullmann die drei zuerst genannten Bereiche.
Eine große Herausforderung für Evonik wie für die gesamte Chemieindustrie ist, die Produktion möglichst schnell und weitgehend klimaneutral zu gestalten. Anders als Wettbewerber hat der Essener Konzern noch kein Ziel verkündet, wann Klimaneutralität erreicht werden soll. Der Leverkusener Branchenriese Bayer beispielsweise kündigte bereits an, die eigenen Standorte bis zum Jahr 2030 „klimaneutral zu stellen“. Die nach einer Reduktion verbleibenden Kohlendioxid-Emissionen wolle Bayer durch den Kauf von Zertifikaten aus Klimaschutzprojekten ausgleichen. Auch Evonik beschäftige sich mit dem Thema, sagt Vizechef Schwager und deutet an, dass in diesem Jahr etwas dazu spruchreif werden könnte.