Sprockhövel. Viele Erdbeeren dürften in diesem Jahr in NRW auf den Feldern vergammeln. Die Nachfrage ist trotz niedriger Preise mau.

Die Erdbeerfelder sind in diesem Jahr prall gefüllt. Optimales Wetter sorgte für bestes Wachstum. Aber nach den ersten zwei Wochen sieht es für die Landwirte ziemlich düster aus: „Die Ernte in diesem Jahr ist eine Katastrophe“, sagt Dirk Gelbrich, Erdbeer- und Milchbauer aus Sprockhövel.

Seit dem 17. Mai sind Gelbrichs Felder an der Grenze zu Wuppertal zum Selberpflücken geöffnet. Die frühen Sorten sind reif. Die mittleren beginnen jetzt, bereits in 14 Tagen dann auch die Spät-Erdbeeren. Bis Anfang Juli könnten die süßen Früchte gepflückt werden. Das Bittere: „Viele werden an den Pflanzen verfaulen, weil der Absatz fehlt. Ich werde sie unterpflügen müssen“, hat Gelbrich 2022 schon beinahe abgehakt. In den ersten Wochen habe er bislang rund 50 Prozent weniger verkauft als im Vorjahr. Besserung sei kaum in Sicht.

Preise niedriger als im Vorjahr

An den Preisen für die leckeren Früchte kann es nicht liegen. Die sind, zumindest am Hof Gelbrich, sogar niedriger als im Vorjahr. „Dabei hätten wir eigentlich um mindestens zehn Prozent erhöhen müssen.“ Die Kosten für das Pflanzen durch den höheren Mindestlohn seien ebenso gestiegen wie für Verpackungen und Transportkosten.

Die Landwirtschaftskammer NRW kann auch nur mutmaßen, hat aber eine Theorie, was eigentlich los ist. „Alles ist teurer geworden, die Leute schauen genauer, was sie kaufen“, sagt Sprecherin Saskia Wietmann. Wie dem Sprockhöveler Gelbrich gehe es vielen Erdbeerbauern momentan. „Es ist ein NRW-weites Problem.“ Erdbeeren seien eben nicht lebensnotwendig, ähnlich wie Spargel. Hier konnten die Experten im Frühjahr bereits eine ähnliche Tendenz bei der diesjährigen Ernte beobachten. Auch der deutsche Spargel war günstiger als im Vorjahr, obwohl auch hier für die Landwirte die Kosten deutlich gestiegen sind.

Spargelernte ähnlich mies

Spargel wie Erdbeeren gelten als Luxusgüter, die man sich gerne gönnt, wenn es gut geht. Das Gefühl, dass es gut geht, haben offenbar viele Menschen verloren. Die hohe Inflation, die drastischen Preissteigerungen für notwendige Güter wie Energie oder Grundnahrungsmittel wie Butter, Milch und Brot wirken sich mittlerweile immer deutlicher auf das Konsumverhalten aus. „Erdbeeren sind eben nicht grundsätzlich zur Ernährung notwendig“, erklärt Kammersprecherin Wietmann.

Dass die Felder von Gelbrich und Co. derzeit nur spärlich von Selbstpflückern besucht werden, hat offenbar auch mit der abgeschwächten Pandemielage zu tun. Während 2020 und 2021 viele Leute mangels Alternativen Ausflüge zu Hofläden oder Erntefeldern gemacht haben, hat sich die Situation verändert. Dazu sorgten hohe Kraftstoffpreise dafür, dass vor einer Tour zum Erdbeer- oder Spargelbauern genau gerechnet würde, so die Landwirtschaftskammer. Da scheinen selbst die deutlich niedrigeren Preise für das Kilogramm Früchte momentan nicht wirklich zu locken.

Generationengeschäft

Gelbrich will im kommenden Jahr dennoch wieder Erdbeeren pflanzen, allerdings weniger Helfer engagieren. Seit Jahren kommt eine Familie aus dem östlichen Teil Rumäniens, knapp vor der moldawischen Grenze zum Helfen nach Sprockhövel. Wegen des Krieges konnten sie in diesem Frühjahr nicht durch die Ukraine anreisen, sondern mussten rund 900 Kilometer Umweg in Kauf nehmen. Und nun sind sie unterbeschäftigt, pflücken gerade einmal drei Stunden pro Tag für den Verkauf und reparieren als Beschäftigungstherapie Weidezäune. Im kommenden Jahr will Gelbrich deshalb auf einen Helfer verzichten – auf den Erdbeeranbau dagegen nicht: „Landwirtschaft ist ein Generationengeschäft.“ Bleibt zu hoffen, dass 2023 ein besseres Jahr wird.

Das Kilo selbst gepflückt so billig wie im Discount

In NRW gibt es laut Landwirtschaftskammer noch rund 350 Erdbeerbauern. Die Anbaufläche für Erdbeeren im Freiland hat bereits im vergangenen Jahr um 7,4 Prozent gegenüber 2020 abgenommen und lag bei 1930 Hektar (2085/2020).Trotz deutlich gestiegener Kosten u.a. für Verpackungen und das Pflücken durch Erntehelfer (gestiegener Mindestlohn) sind die Preise in diesem Jahr niedriger als im Vorjahr. Auf dem Hof Gelbrich in Sprockhövel kostet ein Kilogramm selbst gepflückt aktuell 4,50 Euro. Im Schnitt nicht mehr als beim Discounter.