Essen. Eon-Chef Leonhard Birnbaum warnt angesichts des Ukraine-Kriegs vor einer Rezession. Perspektivisch sieht er aber Chancen für seinen Konzern.
Wenn Eon-Chef Leonhard Birnbaum zur aktuellen Lage seines Unternehmens spricht, dominiert der Optimismus – trotz des Krieges in der Ukraine. Seine Hauptversammlungsrede, die Eon einige Tage vor dem eigentlichen Termin vorab veröffentlicht hat, ist mit bunten Strichen und Punkten garniert. Begriffe wie „Wachstum“, „Nachhaltigkeit“ und „Digitalisierung“ sind fettgedruckt. Seine Mission sei „eine bessere Energiewelt“, sagt Birnbaum.
Kurzfristig indes rechnet der Chef von Deutschlands größtem Energiekonzern mit höheren Energiepreisen und einer wirtschaftlichen Schwächephase. „Das aktuelle Problem ist die mögliche Verknappung von Öl und vor allem Gas“, sagt Birnbaum laut Redetext für das digitale Aktionärstreffen am 12. Mai. „Höhere Preise für Industrie und Haushalte sind die direkte Folge, mittelbar auch Inflation und Rezessionsgefahr. Ein Gas-Embargo oder Lieferstopp würde das Problem verschärfen.“
Die Zeitenwende, die mit dem Angriff von Russland auf die Ukraine verbunden sei, verändere das wirtschaftliche Umfeld, bemerkt Birnbaum, auch für den Essener Eon-Konzern. „Es stellen sich jetzt viele Fragen, gerade im Bereich der Energieversorgung.“ Eon bereite sich „auf alle denkbaren Szenarien“ vor. Auch ein möglicher Gasmangel in Europa gehöre dazu. Die Notfallpläne der einzelnen Staaten seien „nie für eine solche Krise“ geschrieben worden, gibt Birnbaum zu bedenken. „Sie betrachten immer nur die Situation in einem Land.“ Eine kriegsbedingte Gasknappheit müsse aber europäisch gelöst werden. „Nationale Alleingänge haben das Potenzial, Europa zu zerreißen“, mahnt Birnbaum.
„Mit Gas wackelt der zentrale Brückenbrennstoff“
Auch wenn plötzlich prekäre Situationen entstehen könnten – perspektivisch sieht der Eon-Chef viele Chancen, die sich für sein Unternehmen durch die veränderte Weltlage ergeben. Die Energiewende verliere nicht an Bedeutung, sagt Birnbaum, sie werde noch wichtiger. „Lange wurden Aufgaben aufgeschoben, heute im Zeitraffer abgearbeitet“, konstatiert er und verweist unter anderem auf den Bau von Terminals zum Import von Flüssiggas als Alternative zu Pipeline-Erdgas aus Russland.
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Auch im Kampf gegen den Klimawandel könnten die Kriegsfolgen eine Rolle spielen, sagt Birnbaum. „Mit Gas wackelt der zentrale Brückenbrennstoff – zumindest temporär, bis die neue Importstruktur steht. Damit reduziert sich der Spielraum für eine noch schnellere Abkehr von Kernkraft, Kohle und Öl.“ Die europäischen Klimaziele seien jedenfalls „ambitioniert“. Eon setze daher auch auf eine Technologie zur Abscheidung und unterirdischen Speicherung des Klimagases Kohlendioxid (CO2). Das Verfahren CCS – Carbon Capture and Storage – ist seit Jahren bekannt, aber umstritten. „CCS erweitert die Optionen im Kampf gegen den Klimawandel“, sagt Birnbaum. Mit einem Einstieg beim Unternehmen Horisont Energi wolle Eon beim Thema CCS „eine Führungsrolle übernehmen“.
Bei den Investitionen will Eon „klotzen statt kleckern“
Im Herbst hatte Birnbaum ein großes Investitionsprogramm für Eon präsentiert. An den geplanten Investitionen halte Eon trotz eines schwierigen Umfelds fest. Das Motto laute „klotzen statt kleckern“. Europaweit werde Eon 22 Milliarden Euro bis zum Jahr 2026 in die Energienetze investieren – in einen beschleunigten Ausbau und die Digitalisierung. 16 Milliarden davon sollen ins deutsche Verteilnetz fließen.
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Das Jahr 2030 sei auf dem Weg in die Klimaneutralität der Wirtschaft „die entscheidende Wegmarke“, sagt Birnbaum. „Bis dahin muss der Systemwandel stattfinden. Für Deutschland heißt das: Bis dahin sollen nach der Kernkraft- auch die Kohlekraftwerke weitgehend vom Netz gehen.“ Zusätzliche erneuerbare Energiequellen müssten daher in großem Stil in die Stromnetze integriert werden, mahnt der Eon-Chef. Es gebe einen enormen Investitionsbedarf in die Verteilnetze, so Birnbaum. „Bleiben diese Investitionen aus, gefährden wir die Energiewende.“
Zum Eon-Investitionsprogramm gehört auch, dass der Essener Konzern fünf Milliarden Euro bis zum Jahr 2026 in den Ausbau des Geschäfts rund um die Dekarbonisierung stecken will. „Dabei geht es vor allem um die grüne Transformation von Wirtschaft und Industrie“, sagt Birnbaum. „Sie ist in vollem Gange. Und sie ist auch ein Schutz gegen steigende Energiepreise.“ Bereits im vergangenen Jahr habe Eon rund 100 Millionen Tonnen CO2 für Kunden eingespart. Das entspreche in etwa der gesamten jährlichen Emission von London.
Eon-Chef: „Wir machen den Pott grün“
Als Beispiel für ein Dekarbonisierungsprojekt nennt der Eon-Chef den niedersächsischen Stahlkonzern Salzgitter. Auch dank der Eon-Unternehmenstochter Avacon funktioniere mittlerweile ein Teil der Stahlerzeugung von Salzgitter mit grünem Wasserstoff, der durch Windräder und einen Elektrolyseur erzeugt werde.
Projekte wie diese könnten auch im Ruhrgebiet Schule machen, sagt Birnbaum. Hier wolle Eon „Hand in Hand mit der heimischen Industrie“ eine Wasserstoff-Wirtschaft aufbauen. „Wir machen den Pott grün“, sagt Birnbaum. Dabei habe sein Unternehmen auch die Beschaffung von grünem Wasserstoff im Blick, der momentan nur in begrenztem Umfang zur Verfügung steht. Daher habe sich Eon mit dem australischen Unternehmen Fortescue zusammengetan, das ein „Gigant auf dem Weg zum globalen Wasserstoff-Produzenten“ sei, so Birnbaum. Gemeinsam lote Eon mit Fortescue „die Perspektiven einer kurzfristigen Wasserstoffbrücke nach Europa“ aus. Die Energiewende sei „die wichtigste Transformation unserer Zeit“, sagt der Eon-Chef. „Die Zeit drängt. Der Ukraine-Krieg verschärft die Herausforderungen.“