Essen. Eon-Chef Birnbaum warnt vor den Folgen einer Gasknappheit. Lieferengpässe seien möglich. „Wir schalten erst die Industrie ab“, sagt Birnbaum.
Deutschland wird nach Einschätzung von Eon-Vorstandschef Leonhard Birnbaum auch über den kommenden Winter hinaus auf russisches Gas angewiesen sein. „Die Abhängigkeit fundamental zu beseitigen, das dauert schon tendenziell eher drei Jahre“, sagte Birnbaum bei der Bilanzpressekonferenz des bundesweit größten Energiekonzerns in Essen. „Kurzfristig zumindest geht es nicht ohne russisches Gas – auf jeden Fall nicht ohne schwere Konsequenzen für die europäische Wirtschaft“, stellte der Eon-Chef klar. Unter „kurzfristig“ verstehe er einen Zeitraum von zwei bis drei Jahren.
Diese Erkenntnis sei „schmerzhaft und unbequem“, doch es gebe große Risiken bei einem Verzicht auf russische Gaslieferungen für die Industrie und Deutschlands Privathaushalte. Sollte es zu einem Gas-Lieferstopp kommen, seien nicht nur „deutlich höhere Preise“ zu erwarten, sondern auch Lücken bei der Versorgung insbesondere von industriellen Verbrauchern, warnte Birnbaum. Eine „zwangsweise Reduktion von Nachfrage“ gehöre zu den Optionen.
„Wir schalten erst die Industrie ab“
Private Haushalte seien, wenn es zu wenig Gas in Deutschland gebe, nicht als erste betroffen, erklärte Birnbaum. „Wir schalten erst die Industrie ab“, sagte er und verwies auf mögliche volkswirtschaftliche Schäden und Auswirkungen etwa auf Arbeitsplätze. Es sei wichtig, sich zu vergegenwärtigen, was es bedeute, „wenn wir Industriebetriebe nicht für drei Tage abschalten, sondern für drei Monate“. Damit sei die Existenz dieser Betriebe bedroht.
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Für den Winter 2021/2022 gab Birnbaum Entwarnung, besorgt zeigte er sich indes für die kommende Heizperiode. „Dieser Winter ist durch. Der war ja zum Glück warm“, sagte der Eon-Chef. Aber für den nächsten Winter könne er „nicht mehr versprechen“, dass es nicht zu Abschaltungen komme. „Sollte es über einen mehr oder weniger langen Zeitraum zu einer physischen Verknappung der Energieimporte kommen, wird dies auch für uns Folgen haben.“
Er halte nichts von der Parole „Frieren für den Frieden“ („Freeze for Peace“), betonte Birnbaum. Es sei falsch zu glauben, ein Pullover sei geeignet, Gaslieferungen aus Russland unnötig zu machen. Den Verbrauch zu senken, könne zwar zur Stabilisierung der Versorgung beitragen, löse aber das Problem nicht. Dafür reiche die Größenordnung, die durch die Energieeinsparungen möglich sei, nicht aus, argumentierte Birnbaum. Richtig sei allerdings, dass der Verbrauch um sechs Prozent gedrosselt werde, wenn die Raumtemperatur ein Grad niedriger ausfalle.
Eon in Grenzgebieten zur Ukraine aktiv
Den Krieg in der Ukraine bezeichnete Birnbaum als Tragödie. „Ich hatte vieles befürchtet. Doch was dann geschehen ist, hat mich fassungslos gemacht“, sagte er. „Wir erleben den schwersten Bruch des Völkerrechts und die schlimmste humanitäre Katastrophe in Europa seit dem Zweiten Weltkrieg.“ Eon stehe daher voll hinter den Sanktionen der Europäischen Union.
„Unsere Betroffenheit ist nicht rein abstrakt“, erzählte Birnbaum. Eon habe zwar keine Niederlassung in der Ukraine, habe aber Standorte in der Slowakei, Polen, Ungarn und Rumänien. Die Grenzgebiete seien teilweise Eon-Versorgungsgebiete. Dort kämen inzwischen Millionen Flüchtlinge an. Eon wolle die Menschen in der Region unterstützen, in Rumänien zum Beispiel durch Energie-Infrastruktur für Geflüchteten-Unterkünfte. In Tschechien würden Geflüchtete in Eon-Räumlichkeiten untergebracht.
Energieabhängigkeit von Russland „grundlegend beenden“
Langfristig müsse und werde Deutschland die Energieabhängigkeit von Russland „grundlegend beenden“, zeigte sich Birnbaum überzeugt. „Daran führt kein Weg vorbei.“ Notwendig seien ein verstärkter Einsatz von erneuerbaren Energien, Bezugsquellen aus verschiedenen Weltregionen und mehr Flüssiggas (LNG, Liquified Natural Gas). „All das wird uns kurzfristig nicht helfen, über den nächsten Winter, über die nächsten zwei bis drei Jahre zu kommen“, konstatierte Birnbaum.
Daher unterstütze er Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) sowie Wirtschafts- und Klimaminister Robert Habeck (Grüne) in ihrer Haltung, die Gaslieferungen aus Russland nicht zu unterbrechen. Es sei „umsichtig und verantwortungsvoll“, dass die Bundesregierung allen Rufen standhalte, die einen Einfuhrstopp für russisches Gas fordern. „Einfache kurzfristige Antworten gibt es nicht“, sagte Birnbaum und fügte hinzu: „Wer hätte geglaubt, dass sich ein grüner Klimaminister international auf die Suche nach Gas und Kohle begibt, um für Deutschland einzukaufen und eine Reserve anzulegen?“
Kurzfristig geht es auch darum, für bezahlbare Energie zu sorgen, sagte der Eon-Chef. Die Beschaffungspreise an den Großhandelsmärkten für Strom- und Gas seien seit längerem extrem hoch. Infolge des Angriffs von Russland gegen die Ukraine würden sie hoch bleiben. „Wie hoch, kann in dieser brisanten Lage niemand seriös sagen“, so Birnbaum. Es sei daher richtig, Kundinnen und Kunden durch eine Senkung von Steuern und Abgaben auf Energie zu entlasten. Die Aussetzung der Erneuerbare-Energien-Umlage in Deutschland ab dem Juli wolle Eon selbstverständlich in vollem Umfang umsetzen.
Eon stoppt Einkauf bei Gazprom-Gesellschaften
Erdgas kaufe Eon auf den Großhandelsmärkten innerhalb Europas ein, erklärte Birnbaum. Langfristige Lieferverträge direkt mit Produzenten in Russland habe das Unternehmen nicht. Zu einem kleineren Anteil stamme das Erdgas für Eon-Kunden allerdings aus Geschäften mit europäischen Handelsgesellschaften des russischen Staatskonzerns Gazprom. „Vor dem Hintergrund des Ukraine-Kriegs haben wir den Einkauf neuer Mengen von diesen Gesellschaften gestoppt“, so Birnbaum.
Längere Laufzeiten für Deutschlands Atomkraftwerke werde es voraussichtlich nicht geben, ließ der Eon-Chef durchblicken – ähnlich wie tags zuvor RWE-Chef Markus Krebber. Die beiden Essener Konzerne betreiben zwei der drei letzten deutschen Atomkraftwerke, die zum Jahresende vom Netz gehen sollen. Am Dienstag hatte sich NRW-Wirtschaftsminister Andreas Pinkwart (FDP) dafür ausgesprochen, zu prüfen, ob aus Klimaschutzgründen ein Weiterbetrieb der Kernkraftwerke bis zum Jahr 2029 möglich wäre. Birnbaum sagte, zuständig sei die Bundesregierung, die einen Betrieb der Kernkraftwerke über das bisher vereinbarte Datum hinaus diskutiert, diese Option allerdings mittlerweile verworfen habe. „Damit ist die Sache für uns erledigt“, sagte Birnbaum.