Essen. Viele Stadtwerke erhöhen die Preise für Strom und Gas – teils heftig. „Der Markt steht Kopf“, so die Verbraucherzentrale NRW.
Die aktuellen Energiepreise können selbst einen erfahrenen Verbraucherschützer zum Staunen bringen. „Was wir gerade bei den Strom- und Gaspreisen beobachten, hatten wir noch nie“, sagt Udo Sieverding von der Verbraucherzentrale NRW. Es werde kaum Haushalte geben, die von Preissteigerungen verschont bleiben. Oft gehe es um Hunderte Euro zusätzlich im Jahr. „Die Preissteigerungen haben eine neue Dimension erreicht“, urteilt Sieverding. „Das geht für die Verbraucher richtig ins Geld. Für Wohnungseigentümer und mit etwas Abstand dann für Millionen Mieter wird das ein Heizkosten-Hammer.“
Ein Blick auf die Preistabellen großer Stadtwerke aus dem Ruhrgebiet lässt es erahnen. Reihenweise verschicken die Versorger dieser Tage Schreiben, in denen sie Tariferhöhungen verkünden. So sollen etwa die Kundinnen und Kunden, die in Bochum, Duisburg, Dortmund, Essen oder Oberhausen Gas in der Grundversorgung beziehen, nach Angaben des Vergleichsportals Check24 zwischen fünf und knapp 25 Prozent mehr als bisher bezahlen. Die Dortmunder Energie- und Wasserversorgung (DEW) etwa erhöhen den Gaspreis bei einem Verbrauch von 20.000 Kilowattstunden (kWh) pro Jahr um 24,7 Prozent auf 2053 Euro. Bei den Stadtwerken Duisburg verzeichnet Check24 einen Anstieg um 5,1 Prozent auf 1977 Euro. In Essen sind es 16,9 Prozent mehr, also dann 1718 Euro. Es gibt viele ähnliche Beispiele aus dem Ruhrgebiet.
Noch heftiger fallen die Preissprünge aus, wenn Neukunden auf die Grundversorger angewiesen sind. So registriert Check24 beim Dortmunder Versorger DEW einen um 184 Prozent auf 4673 Euro gestiegenen Preis für jährlich 20.000 Kilowattstunden Gas. Auch bei den Stadtwerken Essen stieg der Preis für Neuankömmlinge den Angaben zufolge um rund 150 Prozent auf 3684 Euro pro Jahr, in Bochum um 118 Prozent auf 3211 Euro.
Verbraucherzentrale NRW läuft Sturm gegen Spaltung der Grundversorgung
Verbraucherschützer laufen Sturm gegen das Vorgehen der kommunalen Versorger, die in den vergangenen Wochen Kundinnen und Kunden nach Lieferstopps von Discountern auffangen mussten. „Es ist inakzeptabel, dass einige Stadtwerke in der Grundversorgung eigens teurere Tarife für Neukunden ausgerufen haben“, kritisiert Udo Sieverding von der Verbraucherzentrale NRW. Die Stadtwerke verweisen hingegen auf gestiegene Einkaufskosten.
In den vergangenen Jahren lohnte sich bei Preiserhöhungen von Versorgern in aller Regel ein Vergleich der Strom- und Gasanbieter. Ein Wechsel versprach oft bares Geld. Das ist jetzt anders. „Selbst bei massiven Preiserhöhungen hilft ein Anbieterwechsel aktuell meist nicht weiter“, sagt Sieverding. „Der Wettbewerb funktioniert gerade nicht. Es geht nur noch um den Tarif des günstigsten Übels.“
Die aktuelle Lage sei auch für Preisvergleichsportale wie Verivox und Check24 eine neue Situation, bemerkt der Experte der Verbraucherzentrale NRW: „Die Suche nach einem günstigen Anbieter ist momentan kaum noch attraktiv. Der Markt steht Kopf.“
„Das ist eine sehr schwierige Situation“
Lundquist Neubauer vom Vergleichsportal Verivox beobachtet, dass viele Grundversorger ihre Gas- und Strompreise für Neukunden verdoppeln, der Wettbewerb unter den Energiediscountern sei gebremst. Trotzdem sollten Kundinnen und Kunden weiterhin die Preise vergleichen, rät Neubauer: „Fällt die Ersparnis gering aus, raten wir zu Verträgen mit sehr kurzen Laufzeiten, so bleiben Verbraucherinnen und Verbraucher flexibel und können zu einem späteren Zeitpunkt erneut wechseln und dann wieder von einer größeren Ersparnis profitieren.“
Doch das Preisniveau auf dem Markt für Strom und Gas ist insgesamt massiv gestiegen. „Das ist eine sehr schwierige Situation – insbesondere für einkommensschwache Haushalte“, gibt Udo Sieverding zu bedenken. „Vom Wettbewerb der Energieversorger haben in den vergangenen Jahren gerade auch Menschen profitiert, die sehr genau aufs Geld achten mussten. Einige konnten ihre Lebenshaltungskosten gerade noch durch die gezielte Auswahl von Energie-Discountern beherrschen. Für diese Menschen entsteht gerade eine schwierige Situation.“
Der durchschnittliche Gaspreis in der Grundversorgung liegt im Januar nach Angaben von Check24 bundesweit auf einem Rekordhoch. Ein Musterhaushalt mit einem Verbrauch von 20.000 Kilowattstunden (kWh) zahle im Schnitt 2988 Euro im Jahr für Gas. Das entspreche einem durchschnittlichen Preis von 14,9 Cent pro kWh. Im Vorjahresmonat seien es noch 1502 Euro gewesen – ein Plus von 99 Prozent.
Check24 registriert bei Neukunden Preissteigerungen von 185 Prozent
Bereits in 1105 Fällen hätten die Gasgrundversorger in den vergangenen Wochen Preise erhöht oder Preiserhöhungen angekündigt. 339 Grundversorger haben nach Angaben des Vergleichsportals neue Tarife ausschließlich für Neukunden eingeführt. Hier seien die Preise im Schnitt um 185 Prozent angehoben worden (plus 2840 Euro).
Massive Preissteigerungen gibt es auch beim Strom, auch hier sei im Januar „ein Allzeithoch“ in der Grundversorgung erreicht worden, berichtet Check24. Ein Haushalt zahle bei einem Verbrauch von 5000 kWh im Schnitt 2176 Euro jährlich für Strom. Das entspreche einem durchschnittlichen Preis von 43,5 Cent pro kWh. Die Steigerung im Vergleich zum Vorjahresmonat liege bei 32 Prozent.
Neukunden werden beim Strom wie beim Gas häufig besonders zur Kasse gebeten, so etwa in Dortmund, wo der Grundversorgungstarif für Neuankömmlinge laut Check24 um rund 100 Prozent auf 3481 Euro pro Jahr bei 5000 kWh gestiegen ist. Bei den Stadtwerken Bochum verzeichnet das Vergleichsportal eine Preissteigerung um 91 Prozent auf jährlich 3040 Euro.
Versorger haben zeitweise Aufnahme von neuen Kunden gestoppt
Zwischenzeitlich haben einige Versorger sogar die Aufnahme von neuen Kundinnen und Kunden gestoppt. „Die Energieversorger kämpfen mit den gestiegenen Großhandelspreisen und kalkulieren derzeit wegen der dynamischen Situation am Strom- und Gasmarkt die Endkundenpreise ständig neu“, sagt Florian Stark von Check24. „Bereits seit dem Neujahr hat sich die Lage etwas entspannt und wir gehen davon aus, dass weitere Anbieter zeitnah wieder in den Vertrieb einsteigen werden. Es lohnt sich daher auf jeden Fall, die Entwicklungen genau zu beobachten und die Tarife regelmäßig zu vergleichen.“
Verbraucherinnen und Verbraucher, die derzeit von Preissteigerungen betroffen seien und keinen günstigeren Anbieter finden könnten, sollten das Thema „gewissermaßen auf Wiedervorlage legen und sich in einigen Monaten erneut umschauen“, rät Udo Sieverding von der Verbraucherzentrale NRW. „Vermutlich werden die Preise noch eine gewisse Zeit sehr hoch bleiben. Meine Hoffnung ist, dass sich die Lage in einigen Monaten wieder etwas beruhigt.“