Essen. Verkehrte Welt auf dem Energiemarkt: Die Eon-Tochter Eprimo lehnt derzeit wegen der hohen Preise für Strom und Gas neue Kunden ab.
Ein Unternehmen, das keine neuen Kunden haben möchte – das klingt nach einer verrückten Strategie. Doch der Energieversorger Eprimo sieht sich nach eigener Darstellung dazu veranlasst, zumindest für eine gewisse Zeit diesen Weg zu gehen. „Die rasant steigenden Preise an den Handelsmärkten für Strom und Gas stellen die gesamte Energiebranche vor eine Herausforderung“, verkündet die Tochterfirma des Essener Konzerns Eon auf ihrer Website. Aufgrund der Preisschwankungen habe das Unternehmen vorübergehend die Strom- und Gastarife für Verbraucherinnen und Verbraucher, die zu Eprimo wechseln wollen, gestrichen.
Das Vorgehen des Versorgers, der eigenen Angaben zufolge bundesweit mehr als 1,7 Millionen Kundinnen und Kunden mit Ökostrom und Gas beliefert, lässt aufhorchen. Es sind turbulente Tage für Deutschlands Energiehändler, wie Zahlen des Vergleichsportals Check24 zum Börsenstrompreis illustrieren. Kostete im Januar 2021 eine Megawattstunde im Schnitt 55,15 Euro, wurde im Dezember ein Rekordpreis fällig: 216,85 Euro. Mittlerweile habe sich die Lage mit 86,81 Euro (Stand 4. Januar) zwar etwas entspannt. Das Preisniveau ist aber nach wie vor hoch. „Grundsätzlich kalkulieren viele Anbieter aktuell ihre Tarife aufgrund der Preisexplosion neu“, sagt Check24-Experte Daniel Friedheim.
Neukunden für Energieversorger „nicht mehr lukrativ genug“
In der Energiebranche ist oft von einem intensiven Kampf um Kundinnen und Kunden die Rede – und nun? „Waren Neukunden bisher sehr begehrt, sind sie bei den derzeitigen Einkaufspreisen offenbar für einige Versorger nicht mehr lukrativ genug“, sagt Lundquist Neubauer vom Vergleichsportal Verivox.
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Udo Sieverding von der Verbraucherzentrale NRW zeigt Verständnis für den Kunden-Aufnahmestopp, den Eprimo verhängt hat. „Das ist eine unternehmerische Entscheidung, die zwar bedauerlich, aber nicht zu beanstanden ist“, sagt er. Es gebe eine Reihe von Stadtwerken sowie Ökostromversorger wie Green Planet (ehemals Greenpeace Energy) und EWS Schönau, die ihre sogenannten Sondertarife für Neukunden ausgesetzt hätten. „Ich gehe davon aus, dass die Situation noch einige Wochen angespannt bleibt“, sagt Sieverding. In naher Zukunft werde sich wohl „ein höheres Tarifniveau etablieren“. Umso wichtiger sei, „dass die Wettbewerbsintensität dann auch wieder steigt“.
Strompreis auf Allzeithoch
Der Strompreis in der Grundversorgung erreichte nach Angaben von Check24 im Dezember ein Allzeithoch: Ein Haushalt mit einem jährlichen Verbrauch von 5000 Kilowattstunden (kWh) zahlte im Schnitt 1695 Euro für Strom.
In der Grundversorgung waren im Jahr 2020 laut Bundesnetzagentur immerhin noch rund 25 Prozent der Stromverbraucher. Weitere 37 Prozent bekamen ihren Strom ebenfalls vom Grundversorger, jedoch über andere Tarife. Die Grundversorger – darunter zahlreiche Stadtwerke – hätten zuletzt in 640 Fällen bereits die Preise erhöht oder Erhöhungen angekündigt, berichtet Check24. Im neuen Jahr heben 387 Versorger die Preise an – im Schnitt um fast 64 Prozent. 260 Grundversorger hätten neue Tarife ausschließlich für Neukunden eingeführt. Hier seien die Preise sogar um durchschnittlich fast 106 Prozent angehoben worden, was 1735 Euro zusätzlich entspreche.
Die neuen Grundversorgungstarife sind auch eine Reaktion von Stadtwerken auf die Lieferstopps von Energie-Discountern wie Stromio („Grünwelt Energie“). Die Discounter mit mehreren Hunderttausend Kundinnen und Kunden hätten laufende Verträge gekündigt und ihre Kunden „rausgeworfen“, so die Verbraucherzentrale NRW. Die Betroffenen werden automatisch vom örtlichen Grundversorger mit Strom beliefert. So haben allein die Stadtwerke Duisburg eigenen Angaben zufolge für rund 5100 Kundinnen und Kunden von Stromio die Versorgung mit Strom übernommen. In Bochum geht es nach Angaben der örtlichen Stadtwerke um rund 3000 Verträge.
Verbraucherzentrale NRW kritisiert „Spaltung der Grundversorgung“
„Die Spaltung der Grundversorgung in Neu- und Bestandskundinnen widerspricht unserem Verständnis des freien Marktes und der Liberalisierung im Energiemarkt deutlich“, sagt Verbraucherzentrale-Vorstand Wolfgang Schuldzinski. Es gebe viele Kundinnen und Kunden von „Grünwelt Energie“, die derzeit Kontakt zur Verbraucherzentrale NRW suchen. „Sie sind in die Grundversorgung zurückgefallen und geradezu verzweifelt über die immensen Strompreise, die einige Energieanbieter für die Ersatzversorgung aufrufen“, sagt Schuldzinski. „Die Höhe der Abschlagszahlungen beträgt ein Vielfaches der bisherigen monatlichen Stromkosten. Das bringt gerade Haushalte mit weniger Einkommen in Bedrängnis.“
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Kerstin Andreae, Hauptgeschäftsführerin des Branchenverbands BDEW, argumentiert hingegen, im Sinne des Verbraucherschutzes sei es „nur fair, wenn Bestandskunden nicht für das Verhalten der Discount-Unternehmen aufkommen müssen“. Da „unseriöse Billiganbieter“ ihre Kundinnen und Kunden nicht mehr belieferten, müssten die Grundversorger nun zu den „extrem hohen Preisen“ zusätzlich Energie zukaufen.
„Teilweise extrem hohe Preise einiger Grundversorger“
Es stimme zwar, dass die Beschaffungskosten gestiegen seien, sagt Verbraucherschützer Schuldzinski. „Doch damit lassen sich die teilweise extrem hohen Preise einiger Grundversorger nicht rechtfertigen. Hier liegt der Verdacht nahe, dass Betroffene abgestraft werden sollen, die in der Vergangenheit den Grundversorgern den Rücken zugekehrt haben.“
Bei der Eon-Tochter Eprimo heißt es, die Beschaffungskosten für Strom und Gas hätten im Jahr 2021 „eine nie dagewesene Dynamik an den Tag gelegt“ – mit Vervielfachungen von Preisen innerhalb von kurzen Zeiträumen. „Offenbar läuft diese Entwicklung auch Anfang 2022 zunächst so weiter.“ Daher sei ein Aufnahmestopp für Neukunden erforderlich, um neue Preise errechnen zu können. „Der Stopp wird aus heutiger Sicht nur für sehr kurze Zeit anhalten, bis die Angebotskalkulation abgeschlossen ist – vermutlich sind wir schon kommende Woche wieder für Neukunden offen.“