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Noch nie gab es in Deutschland so viele Teilzeitbeschäftigte und Hinzuverdiener. Jede zweite Stelle vergeben Firmen nur noch befristet. Das schürt Angst und Unsicherheit.

Arbeitnehmer in Deutschland sein, bedeutet immer mehr, sich von gesicherten Beschäftigungsverhältnissen zu verabschieden. „Die Angst vor dem Absturz in Hartz IV wächst“, sagt Professor Gerhard Bosch, Geschäftsführer des Instituts für Arbeit und Qualifikation (IAQ) der Universität Duisburg-Essen. Die Zunahme der Doppel-Jobs und Aufstocker und der daraus resultierenden Unberechenbarkeit des Alltags sorgten gerade am unteren Einkommensrand für wachsende familiäre Stress-Situationen.

Immer mehr bessern das Gehalt mit einem Nebenjob auf

Nach Angaben der Bundesanstalt für Arbeit ist jede zweiten Neueinstellung befristet. Zudem sind die Zahlen von Personen in Teilzeitarbeit seit 2001 ebenso gestiegen (20 Prozent) wie die Zahl derer, die sich mit einem Nebenjob das Gehalt aufbessern. 2,5 Millionen Menschen fahren nach der Schicht noch Taxi oder gehen am Wochenende kellnern. Das sind 1,2 Millionen mehr als vor neun Jahren.

„Der Trend geht seit mehreren Jahren eindeutig hin zu flexiblen Arbeitsformen. Im Vergleich dazu wird das normale Arbeitsverhältnis weniger“, sagt Sabine Klinger vom Nürnberger Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB). Dazu zählten auch die Aufstocker, Menschen die ihre Niedriglöhne vom Staat aufgebessert bekommen. 1,4 Millionen sind das heute, 200 000 mehr als vor fünf Jahren. 50 Milliarden Euro hat dieses Modell seit 2005 den Steuerzahler gekostet.

Viel mehr Angst beim Arbeitnehmer

Nach IAQ-Berechnungen verdienen 6,5 Millionen Menschen in Westdeutschland unter 9,50 Euro und in Ostdeutschland unter 6.87 Euro. In den vergangenen zehn Jahren ist die Zahl der Niedriglöhner um 2,3 Millionen gestiegen. Ein Grund mehr für Gerhard Bosch, einen gesetzlichen Mindestlohn zu fordern.

Auffällig bei allen neuen Formen der Beschäftigung ist: „Durch diese Flexibilisierung der Arbeit ist sehr viel mehr Angst auf den Arbeitnehmer abgeschoben worden. Früher mussten Arbeitgeber größere Risiken tragen, heute ist es meist auf Seiten der Beschäftigten“, so Sabine Klinger.

Von 35,8 Millionen Arbeitnehmern sind 12 Millionen teilzeitbeschäftigt – die höchste Quote (35,3) in den vergangenen neun Jahren. Darunter fallen auch die rund sieben Millionen Mini-Jobs. Professor Gerhard Bosch nennt diese „schleichendes Gift für die Gesellschaft“, da im Dienstleistungssektor oder in der Gastronomie insbesondere Frauen beschäftigt würden: „Wir können es uns als Gesellschaft nicht leisten, unsere Frauen immer besser auszubilden und sie dann in Mini-Jobs verstecken.“ Häufig würden sogar zwei Mini-Jobs angenommen, um wirtschaftlich über die Runden zu kommen.

Bosch fordert, die Bagatell-Grenze (also die Summe, ab der ein Arbeitgeber Sozial- und Krankenkassenbeiträge abführen muss) von 400 auf 200 Euro zu senken, damit Mini-Jobs nicht weiter reguläre Verhältnisse verdrängten.

Trend unaufhaltbar

Gleiches gelte für die 800 000 Zeitarbeiter. Ihre größtenteils niedrigere Bezahlung gegenüber den Festangestellten verhindere das Wachstum regulärer Jobs. Bei gleicher Bezahlung, wie sie Gewerkschaften fordern, würde die Leiharbeit schrumpfen.

Den Trend zur „dynamischen Beschäftigung“, wie Daniel Dettling, Gründer des Berliner Instituts für Zu­kunftspolitik, sie nennt, könne das jedoch nicht stoppen. „Die Geschichte zeigt uns, dass das, was wir in den letzten 50 Jahren als Normalarbeitsverhältnis kannten, eben nicht normal war.“

Schon immer habe sich ein Teil der Gesellschaft Geld hinzuverdienen müssen. In welche Richtung diese Dynamisierung gehe, habe die Politik jedoch in der Hand.