Hagen. Insolvenz heißt nicht gleich Pleite. Doch viele Insolvenzverwalter liquidieren angeschlagene Unternehmen lieber, statt sie zu sanieren. Das ist besonders fatal in der jetzigen Wirtschaftskrise, wenn die Insolvenzen wieder steigen. Dass es auch anders geht, zeigt das Beispiel Sinn-Leffers.

In einigen Tagen schon könnte die insolvente Modekette Sinn-Leffers wieder ein ganz normales Unternehmen sein. Die Hagener fiebern dem 24. März entgegen. Ab diesem Tag ist der Insolvenzplan rechtskräftig und das Insolvenzverfahren in Rekordgeschwindigkeit abgeschlossen – in rund acht Monaten nach der Insolvenzanmeldung. „Dann können wir endlich wieder durchstarten“, sagt ein Sprecher.

Gerade in Zeiten der Krise ist Sinn-Leffers ein Musterbeispiel dafür, dass eine Insolvenz nicht automatisch das Ende für ein Unternehmen bedeutet. Was bei Opel derzeit als Schreckensszenario an die Wand gemalt wird, war für Sinn-Leffers die Chance, schnell wieder auf die Beine zu kommen.

Sanierungsmittel Insolvenzplan

Der Hagener Einzelhändler wurde in einem so genannten Insolvenzplanverfahren in Eigenverwaltung wieder aufgepäppelt. Was bürokratisch klingt, heißt nichts anderes: Die Geschäftsführung blieb an Bord, ihr wurde mit Detlef Specovius von der Kanzlei Schultze & Braun ein erfahrener Insolvenzexperte an die Seite gestellt. Zusammen mit Insolvenzverwalter Horst Piepenburg erarbeitete die Geschäftsführung einen Insolvenzplan.

Ein solcher Plan regelt unter anderem, wie das Unternehmen fortgeführt werden kann und wie die Gläubiger an ihr Geld kommen. Dafür müssen sie in der Regel zwar eine zeitlang auf ihre Forderungen verzichten, sehen am Ende aber mehr Geld wieder als bei einer Zerschlagung.

Was ist ein Insolvenzplan?

Der Insolvenzplan wurde mit der Insolvenzrechtsreform 1999 eingeführt. Er ist eine Möglichkeit zur Sanierung eines Unternehmens, wird aber noch viel zu wenig genutzt.

Hier finden Sie mehr Informationen zur Funktion und zum Inhalt eines Insolvenzplanes

Dennoch werden in Deutschland immer noch zu viele Firmen von den Insolvenzverwaltern liquidiert statt saniert. Und das, obwohl das neue Insolvenzrecht, das seit 1999 gilt, die Sanierung vor die Zerschlagung stellt. Das dafür vorgesehene Insolvenzplanverfahren wenden die Verwalter kaum an, wie aktuelle Zahlen der Wirtschaftsauskunftei Creditreform im „Mittelstandsmonitor 2009“ zeigen:

Demnach gab es im vergangenen Jahr nach Hochrechnungen rund 29.800 Firmenpleiten in Deutschland. Jedoch nur für 640 Unternehmen wurde ein Insolvenzplan erstellt – also in 2,15 Prozent der Fälle. Damit liegt der Anteil der Sanierungen auch zehn Jahre nach Einführung des neuen Insolvenzrechts weit hinter den Erwartungen zurück: Der Gesetzgeber hatte mit einer Quote von fünf bis zehn Prozent gerechnet.

Vielen Insolvenzverwaltern fehlt betriebswirtschaftliches Denken

Stellt sich die Frage nach dem Warum? Insolvenzrechtler Hans Haarmeyer gibt vor allem den Insolvenzverwaltern und den Gerichten die Schuld. „Das Recht ist gut, doch Gerichte und Insolvenzverwalter bringen die betriebswirtschaftliche Qualifikation nicht mit“, wettert er. 95 Prozent seien Juristen; statt unternehmerischen Handelns gelte bei ihnen meist „Haftungsvermeidung als oberstes Prinzip.“ „Gäbe es in Deutschland 1000 Insolvenzverwalter weniger, dann hätten wir ein deutlich professionelleres Niveau“, sagt der Wissenschaftler.

Peter Kranzusch, Insolvenzexperte am Institut für Mittelstandsforschung in Bonn, unterstreicht das: Zehn Jahre nach der Rechtsänderung fehle vielen Verwaltern noch immer die Erfahrung. Er schätzt: Nur zehn bis 20 Prozent der Insolvenzverwalter haben bislang überhaupt versucht, einen Insolvenzplan aufzustellen.

Hinzu kommt: Solch ein Plan ist für Insolvenzverwalter mit deutlich mehr Arbeit verbunden als die Zerschlagung. Neben einer gründlichen Analyse des Unternehmens müssen die Insolvenzverwalter bei den Gläubigern oft erst einmal Überzeugungsarbeit leisten. Für den höheren Aufwand kann der Verwalter zwar auch mehr kassieren. Aber die finanziellen Anreize dafür sind viel zu bescheiden, meinen die Experten. Haarmeyer fordert deshalb eine radikale Reform des Vergütungsrechts. Sein Vorschlag: Wer den einfachen Weg der Liquidation geht, bekommt die Hälfte des Regelsatzes. Wer die Sanierung erfolgreich abschließt, das Dreifache.

Tausende Unternehmen könnten gerettet werden

Der Professor ist sich sicher, dass hierzulande jedes Jahr bis zu 4000 Betriebe mit über 100.000 Arbeitsplätzen gerettet werden könnten, wenn deren Konkursverwalter qualifizierter wären und sich an einer Fortführung und Sanierung der Betriebe versuchen, statt von vornherein nur zu liquidieren.

Ein fataler Zustand gerade in der derzeitigen Krise. Creditreform erwartet dieses Jahr einen sprunghaften Anstieg der Unternehmenspleiten auf bis zu 35.000. „Ich befürchte, dass wesentlich mehr sanierungsfähige Unternehmen liquidiert werden“, sagt Haarmeyer. Denn in Krisenzeiten seien Unternehmen noch schwieriger zu sanieren.

Aber auch an den Gerichten, die für die Einsetzung der Verwalter zuständig sind, übt Haarmeyer heftig Kritik. Oft sei deren Auswahl völlig intransparent und sie würden nicht auf die Qualifikation des Verwalters achten. Auch die Gläubiger hätten meist keinen Einfluss darauf, wer ihnen als Insolvenzverwalter vor die Nase gesetzt wird.

Keine Zulassungsordnung

Wer in Deutschland als Insolvenzverwalter arbeiten darf, ist im Übrigen nicht näher bestimmt. Eine Zulassungsordnung gibt es nicht, auch keine Vergabeordnung. Die Insolvenzordnung schreibt nur vor, dass beauftragte Personen unabhängig und für den jeweiligen Fall geeignet sein müssen. Wer das ist, entscheidet der zuständige Insolvenzrichter am Amtsgericht. Haarmeyer sieht hier dringenden Handlungsbedarf seitens des Gesetzgebers.

Für die Unternehmen wird die Auswahl des Insolvenzverwalters damit zur Schicksalsfrage. Der Modehändler Sinn-Leffers hatte Glück. Mit Horst Piepenburg bekam das Unternehmen einen erfahrenen Mann an die Seite, der schon an den Insolvenzverfahren von Babcock Borsig und der Drogeriekette Ihr Platz beteiligt war. Beide gelten als Musterfälle für eine gelungene Sanierung in der Insolvenz.

Was Insolvenzverwalter verdienen

Die Vergütung der Insolvenzverwalter ist in der Insolvenzrechtlichen Vergütungsordnung geregelt. Sie richtet sich nach dem Wert des Geldes, das zum Schluss an die Gläubiger ausgeschüttet wird (Insolvenzmasse). Festgelegt sind folgende Regelsätze:

- bis 25.000 Euro 40 Prozent

Für alles, was darüber hinausgeht, gelten dann diese Sätze:

- bis 50.000 Euro 25 Prozent

- bis 250.000 Euro 7 Prozent

- bis 500.000 Euro 3 Prozent

- bis 25 Millionen Euro 2 Prozent

- bis 50 Millionen 1 Prozent

- für alles darüber liegt 0,5 Prozent

Zuschläge kann es für Mehrarbeit und besondere Sachkunde geben.

Der Verband der Insolvenzverwalter lässt die Kritik an der eigenen Zunft nur bedingt gelten. Der Verbandsvorsitzende Siegfried Beck sieht die Ursachen vor allem bei den Unternehmen selbst: „Nach meinem Eindruck kann das Schattendasein des Insolvenzplanverfahrens weder mit der mühevollen Arbeit noch mit fehlenden finanziellen Anreizen begründet werden.“ Hauptgrund sei, dass die Unternehmen die Insolvenzanträge viel zu spät stellen würden, meist erst dann, wenn die Ressourcen aufgebraucht sind. Das Problem sieht auch Haarmeyer. Die Insolvenz sei noch immer ein gesellschaftliches Stigma und werde zu wenig als Chance begriffen.

Chancen in der Insolvenz

Bei Sinn-Leffers war das anders. Der Investor des Unternehmens, die Deutsche Industrie-Holding (DIH), zog frühzeitig die Reißleine und stellte den Antrag auf Insolvenz, als es noch gar nicht akut war. Unter dem Schutz des Insolvenzrechtes war es jedoch leichter möglich, sich von Altlasten zu befreien.

So konnte Sinn-Leffers laufende Mietverträge kurzfristig kündigen. Die hohen Mietkosten waren ein Grund dafür gewesen, warum die Modekette ins Trudeln geraten war. Das Insolvenzrecht lässt aber auch eine schnellere Trennung von Mitarbeitern zu.

Die Einschnitte bei Sinn-Leffers waren entsprechend hart: 1200 Arbeitsplätze fielen weg, 22 von 47 Filialen wurden dicht gemacht. Dafür versicherte die Geschäftsführung, dass die verbleibenden 2500 Stellen gesichert sind und man sich nun für die Zukunft gerüstet sieht. Insolvenzverwalter Piepenburg sieht denn auch Sinn-Leffers als "ein Modell für weitere Sanierungsfälle in der derzeitigen Wirtschaftskrise".

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