Essen. Für viele Schulabgänger wird die Suche nach einer Lehrstelle dieses Jahr zur Hängepartie. Die Firmen warten wegen der Wirtschaftskrise noch ab, ob sie ausbilden. Der DGB erwartet einen deutlichen Rückgang bei den Lehrstellen mit der Folge, dass viele Jugendliche leer ausgehen werden.

Der Bochumer Gewerkschafter Michael Hermund ist tief besorgt. Viele Schulabgänger hätten sich Dutzende Mal beworben und noch immer keinen Ausbildungsvertrag in der Tasche. In Gesprächen mit Jugendlichen spüre er deren große Verunsicherung. Bei manchem mache sich schon Resignation breit. Hermund befürchtet, dass am Ende viele von ihnen ohne Lehrstelle dastehen werden.

Denn die Unternehmen in Nordrhein-Westfalen halten sich derzeit bei der Lehrausbildung deutlich zurück. Wie eine Umfrage von DerWesten bei den Industrie- und Handelskammern ergab, wurden in den ersten vier Monaten dieses Jahres 7,4 Prozent weniger Ausbildungsverträge in den zugehörigen Betrieben abgeschlossen. Bei der IHK Essen waren es sogar minus elf Prozent, in Hagen minus 9,9 Prozent. Die meisten Großbetriebe haben in dieser Zeit ihre Verträge bereits unter Dach und Fach.

Kammer bestätigen abwartende Haltung

Auch die Regionaldirektion NRW der Bundesagentur für Arbeit spricht mittlerweile davon, dass die Krise auf den Ausbildungsmarkt durchschlägt. Die Zahlen sorgen für Alarmstimmung: Die NRW-Firmen meldeten bis Mai bei der Arbeitsbehörden über 8,4 Prozent weniger Lehrstellen als im Vorjahr, im Ruhrgebiet sind es sogar 9,3 Prozent. Besonders stark - mit über 20 Prozent - sind die Rückgänge in den Agenturbezirken Hagen, Solingen und Mönchengladbach.

Dennoch wollen die Kammern nichts von einem Einbruch am Ausbildungsmarkt wissen: Zwar würden dieses Jahr mehr Firmen als sonst noch abwarten, ob sie ausbilden oder nicht. Aber im Sommer werde sich die Situation deutlich verbessern, beschwören sie nicht zuletzt an die Adresse der eigenen Mitgliedsfirmen. „Da ist noch enormer Schwung drin“, sagt Jürgen Kaiser von der IHK Duisburg.

Auch das Handwerk in NRW sieht keine Anzeichen für einen Einbruch. „Die Stimmung in den Unternehmen ist so schlecht nicht“, berichtet Andreas Oehme, Geschäftsführer vom Westdeutschen Handwerkskammertag.

DGB geht von fünf Prozent weniger Lehrstellen aus

Der DGB in NRW dagegen schätzt die Entwicklung deutlich skeptischer ein. Der Vorsitzende Guntram Schneider erwartet am Ende des Ausbildungsjahres einen Rückgang bei den betrieblichen Lehrstellen in NRW um real fünf Prozent. „Ich male nicht schwarz, ich sehe die Realität“, sagte er. Viele Unternehmen überlegten, wo sie sparen. „Und sie tun das auch bei den Ausbildungsplätzen, was betriebswirtschaftlich falsch ist“, so Schneider. „Wenn wir aus der Krise wieder herauskommen, brauchen wir qualifizierte Fachleute.“

Den noch suchenden Jugendlichen läuft jedoch etwa zwei Monate vor Beginn des Ausbildungjahres die Zeit davon. Viele aber werden dieses Jahr länger mit der Unsicherheit leben müssen, ob sie einen Ausbildungsplatz bekommen. Andere werden lieber die zweitbeste Alternative wählen, statt abzuwarten.

Ausbildungswüsten in NRW

Dabei haben es Lehrstellensuchende in vielen Teilen NRWs ohnehin schwer. Regionen wie das Ruhrgebiet gelten im nationalen Vergleich als Ausbildungswüsten. Dort übersteigt die Nachfrage nach Lehrstellen das Angebot bei weitem, wie der Nationalatlas des Leipziger Leibniz-Institutes für Länderkunde zeigt. Zwar ist dieser auf dem Stand des Vorjahres. Doch Volker Bode vom Leibniz-Institut ist überzeugt: Wegen der Wirtschaftskrise dürfte sich in diesem Jahr die Situation weiter verschlechtert haben, trotz der günstigen demografischen Entwicklung.

Auch in NRW gibt es dieses Jahr rund sechs Prozent weniger Schulabgänger als im vorigen Jahr. Das entspannt die Situation zwar etwas. Doch sollte sich der Rückgang bei den Lehrstellen fortsetzen, dürften am Ende dennoch einige Jugendliche ohne Lehrstelle dastehen. Außerdem gibt es nach wie vor viele Altbewerber, die schon seit mindestens ein Jahr vergebens auf einen Lehrvertrag hoffen.

DGB-Chef Schneider spricht im Blick auf die Ergebnisse des Nationalatlas von einem strukturellen Problem in NRW. Das aber sei nur zu lösen, in dem es einen freiwilligen Finanzausgleich zwischen Firmen gibt, die ausbilden und denen, die nicht ausbilden.