Essen. Im WAZ-Interview spricht Jürgen Großmann außergewöhnlich offen über seine Arbeit als Top-Manager beim Energieversorger RWE. Seine Arbeit beim Essener Dax-Konzern habe ihn verändert, sagt Großmann. Außerdem verrät er, warum er 1000 Tage auf Rotwein verzichtet.
Sie haben kürzlich betont, der Job mache Ihnen Spaß. Woher nehmen Sie die Kraft?
Jürgen Großmann: Wer wie ich als Quereinsteiger neu zu einer Firma kommt, braucht eine gewisse Zeit, um das Unternehmen in jeder Hinsicht zu verstehen. Wenn man dann ein Team um sich herum hat, auf das man sich verlassen kann, dann macht es eben irgendwann auch sehr viel Spaß.
Sie sind beim Umbau von RWE weit vorangekommen, aber hätten Sie mit derart großen Widerständen gerechnet?
Großmann: Vieles ist doch sehr viel sanfter gewesen, als es nach außen den Anschein hatte.
Hat Sie die Arbeit verändert, womöglich misstrauischer gemacht?
Großmann: Natürlich verändert man sich auch persönlich durch einen solchen Job. Ein Vorstandschef hat es in einem großen börsennotierten Konzern mit einer Vielzahl von Einflussfaktoren zu tun, und ich muss mich anders bewegen als in dem Unternehmen, das mir selbst gehört.
Umgänglicher?
Großmann: Zugegeben: Ich bin nicht immer sehr diplomatisch. Aus meinem Herzen habe ich nie eine Mördergrube gemacht. Wenn ich sauer bin, zeige ich es auch. Aber das ist eine Viertelstunde später wieder vorbei, und alle Beteiligten wissen das auch.
Jemand, der wie Sie als Eigentümer die Georgsmarienhütte führte, soll einen multikulturellen Konzern mit Finanzleuten, Gewerkschaftern und Oberbürgermeistern leiten. Das ist ein Experiment - oder?
Großmann: Mir wurde gelegentlich vorgeworfen: Der benimmt sich bei RWE so, als ob's sein eigenes Unternehmen wäre. In finanzieller Hinsicht fasse ich das als großes Kompliment auf. Ich gehe mit dem Geld von RWE mindestens so sorgfältig um, wie ich es mit meinem eigenen auch tue.
Braucht man als Chef eine Prätorianergarde um sich herum, eine Art Leibwächtertruppe, wie sie von den römischen Kaisern eingesetzt wurde?
Großmann: Nein. Ich brauche das nicht. Schauen Sie mal, wie viele Führungskräfte bei Vorstandswechseln normalerweise ausgetauscht werden. Nach meinem Amtsantritt bei RWE war das anders.
Wie sieht heutzutage gute Unternehmensführung aus?
Großmann: Manchmal wird mir gesagt: Wir haben ein Recht auf Führung. RWE ist ein so aufgegliedertes Unternehmen, dass ein Holding-Vorstand überfordert ist, wenn er in alle Kleinigkeiten hineinregiert. Wir müssen an der Spitze grundsätzliche Spielregeln festlegen und deutlich machen, in welche Richtung wir RWE entwickeln wollen. Zu straff geführte Unternehmen sind nicht immer zukunftsfähig. Aber klar ist auch: Am Ende bin ich derjenige, der seinen Kopf hinhält. Weggeduckt habe mich noch nie.
Manche Chefs holen sich schwache Leute, um selbst heller strahlen zu können.
Großmann: Schwache Leute ziehen Schwächere an – und Starke ziehen Stärkere an. Es ist immer mein Ziel gewesen, die Besten zu bekommen.
Ist Manfred Schneider einer der Besten, Ihr neuer Aufsichtsratschef?
Großmann: Manfred Schneider ist einer der kompetentesten Aufsichtsratschefs, die es in Deutschland gibt. Ansonsten werde ich mich nicht in die Auswahl oder Bewertung des Gremiums Aufsichtsrat einmischen. Der Aufsichtsrat wählt den Vorstand aus – nicht umgekehrt.
Können Sie den Rücktritt von Thomas Fischer als RWE-Chefkontrolleur nachvollziehen?
Großmann: Ich freue mich, dass Herr Fischer weiter dem Aufsichtsrat angehören wird. Anders als oft behauptet, habe ich mit ihm als Vorsitzenden nie Probleme gehabt. Er ist ein hochintelligenter und eloquenter Aufsichtsrat. Er respektiert, dass sich dieses Gremium nicht in das Tagesgeschäft einmischen soll. Das ist mir viel lieber als jemand, der jeden Tag im Büro auf derselben Etage sitzen will.
War es nicht Fischer, der eine Änderung der Geschäftsordnung durchsetzen wollte, die Ihren Spielraum einschränkt?
Großmann: Wollte er das denn?
Wir hatten den Eindruck . . .
Großmann: Der nicht immer stimmen muss. Ein Vorstand kann mit einer großen Spannbreite von Geschäftsordnungen leben.
Ist es gefährlich, dass in der Krise immer häufiger der Ruf nach dem Staat laut wird?
Großmann: Ja. Sicherlich hat es auf der Marktseite Exzesse gegeben, die nicht gut waren. Aber zuviel Staat hilft jetzt auch nicht weiter. Schauen Sie sich an, wo der Staat als Unternehmer tätig war, beispielsweise bei den Landesbanken. Hier sind die Probleme ja noch größer als bei vielen Publikumsgesellschaften im Finanzsektor oder bei den Privatbanken. Ich kann verstehen, wenn ein Steuerzahler sagt: Erst hatten die Spitzenbanker eine super Party – und nun wird uns allen die Rechnung präsentiert.
Fühlen Sie sich als Angehöriger einer verfolgten Kaste?
Großmann: Die der Besserverdiener?
Die der Manager.
Großmann: Ich sehe mich weiterhin als Unternehmer. Auch bei RWE geht es mir nicht um die risikolose Verwaltung von anderer Leute Geld. RWE gehört international zu den größten Investoren überhaupt. Wir schaffen neue Arbeitsplätze – 2500 im vergangenen Jahr und fast 900 weitere im ersten Quartal 2009. Unsere Neubauprojekte stabilisieren zehntausende Jobs bei Zulieferern. Unser Einkauf sichert allein in Deutschland rund 25 000 Arbeitsplätze. Und wir senken nun zum dritten Mal in diesem Jahr die Gaspreise. Etwas unternehmen ist eben das Gegenteil von unterlassen.
Ist eine Zielvorgabe für eine Eigenkapitalrendite von 25 Prozent eine Ursache der Krise?
Großmann: Langfristig vorschreiben kann man diese Rendite sicher nicht. Sie kommt auch nicht immer, in Konjunkturtälern gibt es sogar Verluste. Aber wenn eine solche Rendite erzielbar ist, muss doch ein Unternehmen stolz sein dürfen, wenn es sie erreicht hat.
Ist es weltfremd, Managern mit Anstandsregeln zu kommen?
Großmann: Wenn ein Manager nicht eine gewisse Ethik, eine gewisse Moral hätte, dann wäre er kein guter Manager.
Aktionärsvertreter loben Sie und sagen, RWE habe „den roten Bruder” überholt, den Düsseldorfer Eon-Konzern. Das freut Sie doch sicherlich?
Großmann: Alle im Unternehmen wollen RWE nach vorne bringen. Eon ist ein anderes Unternehmen. Wir sind scharfe Wettbewerber, ohne erbittert zu sein – außerdem geschätzte Partner, da wir in Deutschland gemeinsam Kernkraftwerke betreiben und in Großbritannien neue bauen wollen.
Schönes Stichwort. Sind die Briten klüger als die Deutschen?
Großmann: Sie ziehen jedenfalls aus einer globalen Herausforderung andere Schlüsse als wir. Die Sonne scheint in Großbritannien nicht häufiger als in Deutschland. Und der Wind bläst auch ähnlich stark. Trotzdem sind die Briten der Meinung, dass sie sich nicht auf eine hundertprozentige Versorgung mit erneuerbaren Energien im Jahr 2050 verlassen können – und deshalb die Kernenergie brauchen. Das finde ich klug.
Reden wir in Deutschland zu viel über Risiken?
Großmann: Risiken müssen stets wohlbedacht werden. Aber irgendwann muss eine Gesellschaft sagen: Jetzt liegen die Argumente auf dem Tisch, jetzt entscheiden wir. Das hat in Deutschland 2002 zum Atomausstieg geführt. Wir weisen darauf hin, dass sich die Lage seitdem geändert hat. Denken Sie an das Thema Klimaschutz. Deutschland ist mit seinen Plänen zum Ende der Kernkraft international in einer Sonderrolle. Warum sollten wir nicht mit deutschem TÜV, mit deutscher Gründlichkeit und mit deutscher Atomaufsicht im europäischen Euratom-Rahmen Kernkraftwerke betreiben?
Was haben Sie gegen erneuerbare Energien?
Großmann: Gar nichts, im Gegenteil. Die erneuerbaren Energien auszubauen, ist richtig, und das machen wir auch massiv. Leider wird Windstrom nicht immer dann erzeugt, wenn der Verbrauch dafür da ist. Wir haben im Moment zu geringe Speichermöglichkeiten für Strom. Solange solche Probleme nicht gelöst sind, bleibt der Anteil der erneuerbaren Energien auf 35 bis 40 Prozent beschränkt.
Kann man eine Rechnung aufmachen, welchen Preis die erneuerbare Energie für die Verbraucher hat?
Großmann: Allein über die Einspeiseregelung zahlt der deutsche Durchschnittshaushalt in diesem Jahr über seine Stromrechnung rund 40 Euro für die erneuerbare Energie. Hinzu kommen die Kosten für Netzausbau, Netzanschluss und Regelenergie.
Ihr Prestigeprojekt, die milliardenschwere Übernahme des niederländischen Versorgers Essent, ist in der Schwebe. Wann sind Sie am Ziel?
Großmann: Wir haben seit dieser Woche die formale Unterstützung vieler Aktionäre sicher. Diskutiert wird noch in Noord-Brabant, dem größten Anteilseigner von Essent. Auch dort hoffen wir auf ein positives Votum. Die Transaktion soll, wie geplant, im dritten Quartal 2009 abgeschlossen werden. Am vergangenen Dienstag haben wir einen Nachhaltigkeitsvertrag mit Essent abgeschlossen. Das ist ein überzeugender Beweis dafür, dass wir uns dem niederländischen Markt verpflichtet fühlen und stark investieren werden.
Sie haben sich vorgenommen: 1000 Tage ohne Rotwein. Wie lange noch?
Großmann: Bis zum 26. Juni 2010. Ich verhandele allerdings mit Blick auf dieses Datum gerade mit meiner Frau über eine Testphase im Juni nächsten Jahres, damit ich am 26. wieder mit Genuss trinken kann und nicht gleich "duhn" bin. Es hat mir ja keiner geglaubt, dass ich Abstinenz so lange durchhalte.
Sie verhandeln mit Ihrer Frau über den Rotwein?
Großmann: Am 1. Oktober 2007 habe ich meiner Frau versprochen, auf Alkohol zu verzichten. Sie war der Meinung, dass ich in meinem RWE-Job so aufgehen würde, dass Raubbau am eigenen Körper droht, wenn ich wie gewohnt weiter trinke.
Können Sie es empfehlen?
Großmann: Wenn Sie abnehmen wollen, gleichzeitig aber einen neuen stressigen Job beginnen, kann ich es nicht empfehlen. Die Rotwein-Abstinenz habe ich übrigens durch Schokoladen-Konsum überkompensiert.
Also lag Ihre Frau falsch?
Großmann: Nein. Mir hat es insofern genützt, weil das eigene Gedächtnis besser wird. Man kann sich an sehr viel mehr Sachen erinnern. Das hilft mir nicht nur bei RWE.