Essen/Bochum. Lueg-Chef Martijn Storm baut das Filialnetz des Bochumer Autohändlers kräftig um, auch Standorte im Ruhrgebiet sind betroffen.
Pünktlich zur Verabredung mit Lueg-Chef Martijn Storm steht ein Rettungswagen vor der Tür. Das Fahrzeug stammt aus einem Werk des Bochumer Familienunternehmens – und symbolisiert den Wandel der Traditionsfirma, die im Jahr 1868 als Wagenfabrik begonnen hat. Martijn Storm, der Sprecher des Vorstands der Fahrzeug-Werke Lueg, hat große Pläne. Der 48-jährige Manager aus den Niederlanden öffnet oder schließt Standorte, baut neue Geschäfte auf und kauft Betriebe zu. Auch die Marke Ferrari spielt in seiner Strategie eine Rolle.
Herr Storm, das Unternehmen Lueg, das Sie führen, ist bekannt als einer der größten Mercedes-Händler in Deutschland. Kürzlich habe Sie aber mit einem neuen Geschäft begonnen: mit dem Bau von Rettungswagen. Warum dieser Schritt? Haben Sie als Mercedes-Händler nicht genug zu tun?
Storm: Entscheidend ist, dass wir zu einem breit aufgestellten Unternehmen geworden sind. Das ist der Kern unserer Zukunftsstrategie, die auf dem Zusammenspiel von drei Geschäftsbereichen basiert: Karosserie- und Fahrzeugbau, Mobilitätsdienstleistungen und Fahrzeughandel. Bislang wurden wir als Mercedes-Händler wahrgenommen.
Was macht den Bau von Rettungswagen attraktiv für Lueg?
Storm: Das Geschäft passt zu uns. Wir haben in Bochum im Jahr 1868 als Wagenfabrik begonnen. Der Fahrzeugbau entspricht also unserer Tradition. Durch den Erwerb der Wietmarscher Ambulanz- und Sonderfahrzeug GmbH – kurz WAS – sind wir vor zwei Jahren Europas führender Hersteller von Kranken- und Rettungswagen geworden. Rund 600 unserer insgesamt etwa 2500 Beschäftigten arbeiten in diesem Bereich. Wir reden hier von einem sehr beständigen Markt. Damit sind wir weniger abhängig vom Fahrzeughandel, der erfahrungsgemäß Schwankungen unterliegt.
Lueg stellt also Rettungsfahrzeuge in eigenen Werken her?
Storm: Genau. Wir betreiben Werke für den Fahrzeugbau im niedersächsischen Emsbüren und in Polen. Dabei geht es insbesondere um Fahrzeug-Aufbauten, die wir mit unserer Mannschaft vornehmen. Dabei sind wir unabhängig von Marken. Das Grundgerüst der Fahrzeuge kann von Ford oder MAN kommen, aber auch von Mercedes. Wir wollen in diesem Bereich wachsen und können uns auch weitere Zukäufe vorstellen.
Einstieg in das Batterie-Recycling durch Gemeinschaftsunternehmen
Auch ins Batterie-Recycling steigen Sie ein. Warum ein weiteres Geschäft, das wenig mit dem Fahrzeughandel zu tun hat?
Storm: Auch hier geht es darum, dass wir als Unternehmen vielfältiger werden wollen. Gemeinsam mit einem Partner bauen wir gerade ein Werk für das Batterie-Recycling von Elektrofahrzeugen in Meppen, in dem rund 80 Mitarbeiter beschäftigt sein werden. Wir sind mit 40 Prozent an dem Vorhaben beteiligt. Das Batterie-Recycling wächst, unser Einstieg in diesen Markt ist für uns also eine strategische Investition in die Zukunft.
Wie sehen Ihre Pläne aus?
Storm: Neben dem Bau der Recycling-Anlage werden wir über unsere Standorte in Nordrhein-Westfalen, Sachsen und der Schweiz ein dezentrales Logistiknetz für Entladung und Demontage von Lithium-Ionen-Batterien aufbauen. Damit sichern wir heute schon die künftige Auslastung unserer Standorte. Denn es werden durch die rasante Entwicklung der Elektromobilität künftig völlig neue Qualifikationen erforderlich sein – wie beispielsweise das sichere Entladen der Batterie.
Im klassischen Autohandel in NRW haben Sie in den vergangenen Jahren auch kräftig umgebaut. Einige Standorte haben Sie geschlossen – in Castrop-Rauxel, Bottrop, Marl und Hattingen zum Beispiel. Neu eröffnet haben Sie den Essener Standort für die Mercedes-Marke AMG. Verbirgt sich hinter dieser Neuordnung ein großer Plan?
Storm: Im Mittelpunkt steht immer die Frage, wie wir unsere Kunden am besten erreichen können. Wir wollen einen sehr guten Auftritt haben. Daher haben wir unsere Aktivitäten an einigen Standorten gebündelt und dort auch kräftig investiert. Für den Pkw-Handel mit Neuwagen heißt das: Wir sind jetzt in Bochum, Essen, Gelsenkirchen-Buer und Mülheim. Damit sind wir für unsere Kunden im mittleren Ruhrgebiet gut erreichbar. Gebrauchtwagen bieten wir ausschließlich in Essen-Kray an. Hinzu kommt unser „AMG Brand Center“, das zentral in Essen gelegen ist.
Der Mercedes-Konzern erwägt, seine unternehmenseigenen Autohäuser abzugeben. Damit könnten Standorte in Duisburg, Düsseldorf, Dortmund und Wuppertal zum Verkauf stehen. Wird Lueg zugreifen?
Storm: Das werden wir sehen, wenn es konkret wird. So weit ist es noch nicht. Natürlich werden wir uns die Sache genau anschauen, sobald sie aktuell wird. Aber wie immer gilt: Wir investieren nur mit Sinn und Verstand.
„Es entsteht einer der größten Nutzfahrzeug-Standorte von Mercedes in Deutschland“
Wie wichtig sind Lkw-Verkäufe für Ihre Unternehmensgruppe?
Storm: Der Handel mit Mercedes-Nutzfahrzeugen spielt für uns eine wichtige Rolle. Derzeit haben wir zwei Standorte im Ruhrgebiet, in Bochum-Wattenscheid und in Essen an der Pferdebahnstraße. Wir haben vor, unsere Aktivitäten in diesem Bereich Mitte des Jahres in Wattenscheid zu bündeln. Es entsteht einer der größten Nutzfahrzeug-Standorte von Mercedes in Deutschland. Wir werden dort rund 250 Beschäftigte haben.
Ihre Beschäftigten aus Essen sollen dann nach Wattenscheid wechseln?
Storm: Richtig. Wir wollen möglichst alle mitnehmen. Gerade bei den Monteuren ist es wichtig, dass wir niemanden verlieren. Lkw-Monteure werden händeringend gesucht. Daher bilden wir unsere Monteure auch selbst aus.
Lueg hat exklusive Vertriebslizenz von Mercedes für das Ruhrgebiet
Für Mercedes hat Lueg im mittleren Ruhrgebiet eine exklusive Vertriebslizenz. Der offizielle Verkäufer ist Mercedes, Ihr Unternehmen erhält pro Fahrzeug eine Provision. Mercedes setzt also die Preise. Sie wiederum haben den Vorteil, dass Ihnen andere Mercedes-Händler keine Konkurrenz machen. Richtig?
Storm: Unsere Partnerschaft mit Mercedes bietet uns große Vorteile, ganz klar. Wir haben ein Marktgebiet, das uns zugeschrieben ist, und damit haben wir Planbarkeit. Eine Art Amazon-Verkauf bei Mercedes-Neuwagen ist damit ausgeschlossen. Wir bei Lueg sehen dieses neue Agenturmodell als Chance, uns auf unsere Kernkompetenz zu konzentrieren und als Händler eine zentrale Rolle einzunehmen. Unser Anspruch ist es, die beste Beratungs- und Dienstleistungsqualität zu erbringen. Das ist es, was künftig den Unterschied machen wird.
Haben Sie noch die Sorge, dass der Online-Handel den klassischen Filialvertrieb im Autohandel verdrängt?
Storm: Autohäuser haben eine Zukunft, da bin ich mir sicher. Die Menschen wollen ein Auto spüren und riechen, bevor sie es kaufen. Sie wollen auch eine Probefahrt machen. Insbesondere das Geschäft mit Neuwagen ist beratungsintensiv. In früheren Zeiten sind unsere Kunden allerdings teils drei, vier oder fünf Mal bei uns gewesen, bevor sie gekauft haben. Jetzt sind es ein oder zwei Mal, weil sich die Menschen vorab im Internet informieren.
In der Vergangenheit hat Lueg auch Autos von Opel verkauft. Jetzt gehören noch Volvo und Ferrari zu den Marken, die sie anbieten. Warum konzentrieren Sie sich nicht auf Mercedes?
Storm: Die Mehrmarken-Strategie ist wichtig für uns. Das gehört zu unserer breiten Aufstellung. Wir möchten nicht abhängig sein von einem Hersteller. Lueg ist ein eigenständiges Familienunternehmen. Daher haben wir nicht nur Mercedes und Smart, sondern neben Volvo und Ferrari auch Fahrzeuge von Ineos im Programm.
Wie entwickelt sich das Ferrari-Geschäft?
Storm: Ferraris verkaufen wir in Meerbusch bei Düsseldorf, zusätzlich eröffnen wir voraussichtlich Ende des Jahres einen zweiten Standort in Münster.
Ferrari-Verkauf: Fahrzeugen, die bis zu zwei Millionen Euro kosten können
Haben Ferrari-Käufer besondere Ansprüche?
Storm: Absolut. Wir reden hier von Fahrzeugen, die von 350.000 Euro bis zu zwei Millionen Euro kosten können. Für uns bedeutet das auch: Wir sind so etwas wie Beziehungsmanager. Mit unseren Kunden sprechen wir auch über Fragen wie: Was denkt mein Nachbar, wenn bei mir ein Ferrari vor der Tür steht? Hier geht es um Premium-Lifestyle.
Setzen Sie gezielt auf Luxusautos, weil es die Mittelklasse schwer hat?
Storm: Das ist nicht der Grund, es geht darum, dass es aus unser Sicht Fokus braucht und es schwer ist, Mainstream-Marken und Luxus-Marken in einem Autohaus unter einem Dach zu vertreiben. Daher haben wir uns vor einigen Jahren auch von Opel verabschiedet. Und wir haben uns gezielt dagegen entschieden, Mainstream-Marken wie BYD ins Programm zu nehmen.
Autos von Volvo verkaufen Sie in Witten und in Mülheim im Volvo-Zentrum Rhein Ruhr. Können Sie sich vorstellen, zusätzliche Standorte zu übernehmen?
Storm: Ja, wenn sich die Chance bietet, ist das eine Option für uns.
Auch außerhalb von NRW ist Lueg aktiv – mit Mercedes-Autohäusern in der Schweiz sowie in Sachsen. Wollen Sie daran festhalten?
Storm: Das wollen wir. In der Schweiz haben wir sieben Standorte im Großraum Luzern. Auch mit unseren Autohäusern in Sachsen sind wir sehr zufrieden.
Lueg-Chef Storm: „Elektro-Euphorie kann da nicht aufkommen“
Welchen Anteil haben mittlerweile Elektroautos an Ihren Verkäufen?
Storm: Etwa zehn Prozent der Fahrzeuge, für die sich unsere Kunden entscheiden, sind vollelektrisch. Hinzu kommen rund 50 Prozent Plug-in-Hybride. Die Verbrenner nehmen also einen Anteil von 40 Prozent ein.
Das klingt nicht gerade nach Elektro-Euphorie.
Storm: Das stimmt. Elektro-Euphorie kann da nicht aufkommen. Unsere Kunden entscheiden, was sie haben möchten. Und sie sehen, dass die Ladeinfrastruktur noch zu wünschen übriglässt und bei Elektroautos ein Restwertrisiko besteht.
Zwischenzeitlich hatte Mercedes-Chef Ola Källenius das Ziel, im Jahr 2030 möglichst nur noch Elektrofahrzeuge auszuliefern.
Storm: Ich bin skeptisch, dass wir schon 2030 an diesem Punkt sind. Am Ende entscheiden die Kunden – und die haben unterschiedliche Wünsche, die wir erfüllen wollen.