Essen. Verdi hat die Tarif-Gespräche für gescheitert erklärt und leitet eine Urabstimmung ein. Dann könnten Busse und Bahnen wochenlang stillstehen.
Die Zeichen im Nahverkehr stehen auf Streik, diesmal auf einen unbefristeten Streik: Auch die dritte Runde in den Verhandlungen über einen neuen Manteltarifvertrag für die 30.000 Beschäftigten in den nordrhein-westfälischen Nahverkehrsbetrieben haben keine Einigung gebracht. Die Gewerkschaft Verdi erklärte anschließend die Verhandlungen für gescheitert und kündigte eine Urabstimmung über ordentliche Streiks an. Diese werde am 19. März eingeleitet und bis zum 9. April dauern, sagte Verdi-Nahverkehrsexperte Peter Büddicker am Mittwoch der Deutschen Presse-Agentur in Düsseldorf.
Osterferien sind in NRW vom 25. März bis zum 6. April. Ab dem 10. April könnte mit Arbeitskampfmaßnahmen begonnen werden, sagte der Gewerkschafter der dpa. Er schloss aber nicht aus, dass Streiks auch noch abgewendet werden könnten. Jetzt liege der Ball bei den Arbeitgebern, die die dritte Verhandlungsrunde am vergangenen Montag in Dortmund verlassen hätten. Verdi sei offen für sinnvolle Lösungen im Interesse der Belegschaft und der Unternehmen: „Wir sind ja nicht die GDL“, sagte Büddicker der „Rheinischen Post“.
Nach den vielen mehrtägigen Warnstreiks in den vergangenen Wochen könnten die Bus- und Bahnfahrerinnen und -fahrer nach der Urabstimmung auch unbefristet streiken. Das könnte den ÖPNV in den Städten theoretisch wochenlang am Stück lahmlegen. Für viele Pendlerinnen und Pendler war es bereits in den Warnstreiks eine Herausforderung, pünktlich zur Arbeit zu kommen.
Zweitägige Gespräche bereits nach einem gescheitert
Vor der entscheidenden dritten Runde hatten noch beide Tarifpartner in Gesprächen mit unserer Redaktion ihren Einigungswillen betont. Verdi-Branchenkoordinator Peter Büddicker hatte zugleich betont, wie weit die Positionen noch auseinander lägen. Offenbar zu weit. Die auf zwei Tage angelegten Gespräche in Dortmund wurden bereits in der Nacht zum Dienstag abgebrochen, teilte Verdi mit.
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Das vorliegende Arbeitgeberangebot biete keinen Spielraum für weitere Verhandlungen, erklärte die Gewerkschaft. Man sei den Arbeitgebern entgegengekommen, doch die hätten die Verhandlungen nach nur einem von zwei geplanten Verhandlungstagen für beendet erklärt. „Wir leiten nun eine Urabstimmung ein, um über Erzwingungsstreiks im ÖPNV zu entscheiden“, erklärte Peter Büddicker, Branchenexperte Busse und Bahnen.
Verdi kündigt „Erzwingungsstreiks“ im ÖPNV an
Die Beschäftigten sollen also über den Eintritt in einen regulären Arbeitskampf entscheiden. Stimmt eine Dreiviertel-Mehrheit dafür, kann das Nahverkehrs-Personal auch unbefristet in den Ausstand treten.
Der Kommunale Arbeitgeberverband (KAV) gab der Gewerkschaft die Schuld am Scheitern und erklärte, sie habe „völlig überraschend“ für den KAV die Verhandlungen für gescheitert erklärt. Man habe zwei zusätzliche freie Tage sowie höhere Zulagen angeboten, damit seien die Arbeitgeber an die Grenzen des wirtschaftlich und personalpolitisch noch Vertretbaren gegangen, erklärte Verhandlungsführer Peter Densborn. Verdi habe auf sechs zusätzliche freie Tage gefordert. Man habe die Vorschläge prüfen wollen und bereits einen neuen Termin ins Auge gefasst, bevor Verdi das Scheitern erklärte.
Auch die Lokführerstreiks treffen die Pendler
Ein schlechtes Signal auch für die dritte Runde in NRW: In Baden-Württemberg hatte Verdi bereits am Montagmittag das Scheitern der Verhandlungen erklärt und eine Urabstimmung angekündigt. Derzeit laufen in fast allen Ländern gleichzeitig Tarifrunden für den ÖPNV.
Für die Reisenden und Pendler mehr als unglücklich ist die Überschneidung mit dem Arbeitskampf der Lokführer. Die Gewerkschaft GDL von Claus Weselsky hat von diesem Dienstagmorgen an bis Mittwoch früh den nächsten Warnstreik angekündigt. Das trifft viele Bahn-Pendler ebenso, weil die Deutsche Bahn auch die S-Bahnen und Regionalbahnen betreibt. Nur etwa 40 Linien landesweit sind nicht vom neuerlichen Lokführerstreik betroffen.
Lokführerstreik und Unfälle: ADAC zählt 450 Kilometer Stau
Laut ADAC hat der Streik in Verbindung mit einigen schweren Unfällen etwa auf der A40 und der A1 am Dienstagmorgen den Verkehr enorm belastet: In der Spitze zählte der Automobilclub um 8.45 Uhr mehr als 450 Kilometer Staus auf den NRW-Autobahnen. „Die Ausschläge zu den Stoßzeiten waren deutlich höher als im Berufsverkehr üblich“, sagte ADAC-Sprecher Thomas Müther unserer Redaktion.
Besonders viel Geduld brauchten Pendler im Ruhrgebiet, so auf der A3 zwischen Köln und Oberhausen, der A40 zwischen Duisburg und Essen, der A52 von Düsseldorf nach Essen und der A43 von Wuppertal nach Recklinghausen. Sollte demnächst der ÖPNV tage- oder wochenlang ruhen, dürfte das ähnlich fatale Folgen für Berufsverkehr auf den Autobahnen und noch mehr den innerstädtischen Straßen haben.
In der Nahverkehrs-Tarifrunde geht es nicht um die Löhne, sondern vor allem um die Arbeitszeiten und -bedingungen des Bus- und Bahnpersonals. Hier gehen die Vorstellungen allerdings in völlig entgegengesetzte Richtungen. Wegen der hohen Arbeitsbelastung im Schichtdienst und unzähliger Überstunden fordert Verdi Entlastungstage für die Beschäftigten, Schicht- und Wechselschichtzulagen sowie die Erfassung von Überstunden ab der ersten Minute. Damit das Fahrpersonal nicht auch noch nach der Arbeit weite Wege zurücklegen muss, soll zudem Arbeitsbeginn und -ende am identischen Ort erfolgen.
Verkehrsbetriebe stecken beim Thema Personalsuche und Arbeitszeiten im Dilemma
„Dafür bräuchten wir Tausende neue Arbeitskräfte, wo sollen wir die hernehmen?“, fragt KAV-Mann Herbert. Spricht man mit Verkehrsbetrieben im Ruhrgebiet, sieht man sie in einem Dilemma: Weil es ihnen jetzt schon schwerfällt, genug Personal zu finden, sind die Dienstpläne eng getaktet - mit vielen Extraschichten und folglich Überstunden. Einerseits macht das den Beruf nicht eben attraktiver und somit die Personalsuche noch schwieriger. Andererseits würden geringere Arbeitszeiten oder mehr freie Tage perspektivisch vielleicht mehr Interessenten anlocken, aber kurzfristig die Personalknappheit weiter verschlimmern. Deshalb will der KAV stattdessen über Anreize reden, länger zu arbeiten. (mit dpa)