Berlin. Geht es um Geld für Geschäftsideen, offenbart eine neue Studie ein deutliches Missverhältnis zwischen Frau und Mann. Woran das liegt.

„Tu-nah“, hat Deniz Ficicioglu (40) ihr Produkt getauft, das seit Herbst des vergangenen Jahres unter anderem bei Rewe und Rossmann erhältlich ist. Nah dran, aber doch ganz anders. Denn in der Dose, die optisch den gängigen Thunfischangeboten ähnelt, steckt kein Meerestier. Ein hauptsächlicher Bestandteil sind Meeresalgen.

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Die hellblaue Blechbüchse soll der Idee der Start-up-Gründerin gewissermaßen aus den Kinderschuhen helfen. Meeresalgen, sagt Ficicioglu, könnten nachhaltig produziert werden. „Die Alge braucht kein Süßwasser, kein Ackerland, keine Dünger, keine Pestizide und kann einfach im offenen Meer kultiviert werden. Doch niemand will sie essen“, erzählt die Unternehmerin, der es grundsätzlich darum geht, die Alge zu einer Zutat für die Lebensmittelindustrie zu machen.

Gründerinnen: Nur zwei Prozent des in Start-ups investierten Kapitals ging an Frauen

In drei Finanzierungsrunden haben Investoren bereits mehrere Millionen Euro in das Unternehmen von Deniz Ficicioglu gesteckt. Auch 2023 gelang es der Gründerin, Kapitalgeber zu überzeugen. Damit war sie eine der wenigen Frauen in Deutschland.

Einer neuen Auswertung der Prüfungs- und Beratungsgesellschaft EY zufolge flossen im vergangenen Jahr gerade einmal zwei Prozent des in Deutschlands in Start-ups investierten Kapitals an Jung-Unternehmen mit rein weiblichen Gründungsteams. Konkret sammelten Gründerinnen 102 Millionen Euro ein. 87 Prozent des Kapitals, das entspricht 4,9 Milliarden Euro, ging an Start-ups, die nur von Männern gegründet wurden. Den Rest – 608 Millionen Euro – sammelten Firmen ein, in denen sowohl Männer als auch Frauen das Gründungsteam bilden, heißt es in der Auswertung, die EY erstmals durchführte und die dieser Redaktion exklusiv vorlag.

Start-up-Verbandsvorsitzende Verena Pausder: „Männer investieren in Männer“

Die Vorstandsvorsitzende des Bundesverbands Deutsche Start-ups, Verena Pausder, hält die Ergebnisse für alarmierend. Pausder sagt dieser Redaktion, der Anteil der Gründerinnen in Deutschland sei noch immer zu niedrig, was auch an der zu stark männerdominierten Investmentlandschaft liege. „Männer investieren tendenziell eben eher in Männer und damit geht unserer Volkswirtschaft enorm an Wertschöpfung verloren. Frauen sehen andere Trends, Kundenbedürfnisse und Geschäftsmodelle – deshalb müssen ihre Themen genauso Finanzierung finden wie rein männliche Teams“, erklärt Pausder, die seit Ende des vergangenen Jahres die Interessenvertretung der Jung-Unternehmen in Deutschland anführt.

Die Vorsitzende des Start-up-Verbands, Verena Pausder, will den Gründerstandort Deutschland voranbringen.
Die Vorsitzende des Start-up-Verbands, Verena Pausder, will den Gründerstandort Deutschland voranbringen. © dpa | Marijan Murat

Geht es um das ganz große Geld, wird die finanzielle Schieflage zwischen weiblichen und männlichen Gründerteams noch dramatischer: EY zufolge lag der Frauenanteil an allen Start-ups, die im vergangenen Jahr Geld erhielten, bei 12,2 Prozent. Bei den Jungunternehmen, die eine Finanzierung von mindestens 50 Millionen Euro erhielten, betrug der Frauenanteil in den Gründungsteams hingegen nur 1,8 Prozent. Je größer die Finanzierungsrunden, desto kleiner ist also der Frauenanteil.

Analyse: Was Gründe für die finanzielle Schieflage zwischen Frauen und Männern sind

Neben der männlich dominierten Investorenlandschaft sieht EY auch in den Themen, auf die sich Frauen bei ihren Gründungen konzentrieren, einen Grund für die Schwäche bei Finanzierungen. So ist der Frauenanteil zum Beispiel in der Gesundheitsbranche recht hoch. Fast jedes vierte Gründungsmitglied (24 Prozent) ist weiblich. Auch in den Bereichen Recruitment (20 Prozent), AdTech (18 Prozent) und E-Commerce (17 Prozent) gründen vergleichsweise viele Frauen. Doch gerade bei diesen Geschäftsbereichen sitzt das Geld bei Kapitalgebern weniger locker. „Generell erhalten Start-ups, die auf dem Knowhow aus dem MINT-Bereich basieren, deutlich mehr Kapital als andere Jungunternehmen“, erklärt EY-Partner Thomas Prüver und nennt als Beispiel Technologie-Start-ups, bei denen Frauen in den Gründungsteams deutlich unterrepräsentiert seien.

Deutschlands Gründerszene ist auch ansonsten noch weit weg von Parität. Der Frauenanteil an allen Start-up-Gründungen, also auch jenen, die zum Beispiel mithilfe von Eigenkapital finanziert sind, lag 2022 dem Female Founders Monitor zufolge bei 20,3 Prozent. „Traditionelle Rollenbilder, wenig Vorbilder und gängige Geschlechterklischees erschweren es mitunter Frauen, in diesen Bereichen Fuß zu fassen“, heißt es auf Anfrage aus dem Hause von Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne). Gleichzeitig verweist die Bundesregierung auf zahlreiche Initiativen und Förderprogramme, die Gründerinnen unterstützen sollen.

„Tu-nah“-Gründerin hat gar keine deutschen Investoren an Bord

Doch auch strukturell muss sich etwas ändern, so der Start-up-Verband. Dort fordert man schon länger eine Ausweitung des Mutterschutzes auch auf Selbstständige und auch die volle Absetzbarkeit beruflich bedingter Kinderbetreuungskosten. Auch die FDP im Bundestag will da ansetzen: „Familienpolitik und Wirtschaftspolitik müssen viel stärker miteinander verzahnt werden“, sagt die Abgeordnete Nicole Bauer. Die SPD drängt vor allem auf mehr weibliche Geldgeberinnen. „Frauen investieren in Frauen und genau dort setzen wir an“, sagt Vize-Fraktionschefin Verena Hubertz. Die CDU-Politikerin Nadine Schön erklärt: „Wir sind noch lange nicht bei Equality angekommen.“

Gründerin Deniz Ficicioglu überraschen die Ergebnisse der EY-Studie nicht. Bei vielen deutschen Kapitalgebern dominieren eben Männer. Im Ausland sehe das anders aus. Wunderfish, die Firma, die Ficicioglu mitaufgebaut hat, hat vielleicht auch deshalb ausschließlich Investoren aus anderen Ländern. Das Start-up will in den nächsten Jahren nun die Kraft der Meeresalgen entfesseln. Aromen, Bindemittel, Proteinquelle – Algen könnten ziemlich viele herkömmliche Zusatzstoffe in Nahrungsmitteln ersetzen. Die Gründerin: „Es geht darum, die richtige Kombination aus Algenarten zu finden. Wir hatten auch schon Prototypen, die dann nach Parmesan geschmeckt haben.“