Düsseldorf. Dax-Konzern baut riesige Munitionsfabrik. 200.000 Geschosse für die Bundeswehr und die Ukraine. Doch Proteste in der Provinz bremsen Aufrüstung.

Seit Bundeskanzler Olaf Scholz die „Zeitenwende“ ausgerufen hat, rüsten deutsche Konzerne auf. Die Waffenschmieden Rheinmetall, Diehl und Krauss-Maffei Wegmann planen eine Fabrik nach der anderen, bauen bestehende aus, investieren, was die Kasse hergibt. Sie wollen die Zeitenwende nicht verpassen. Doch bisher geht das nicht schnell genug. Kurz bevor sich Russlands Überfall auf die Ukraine das zweite Mal jährt, sind die Munitionsdepots der Bundeswehr leer und gehen der Ukraine im Verteidigungskampf die Geschosse aus. Mit einer neuen Fabrik in Niedersachsen will der Düsseldorfer Konzern Rheinmetall das ändern.

Wie wichtig vor allem der Nachschub an Munition ist, demonstrierte schon die Besetzung an den Spaten: Kanzler Olaf Scholz und Verteidigungsminister Boris Pistorius (beide SPD) kamen am Rosenmontag in die Lüneburger Heide, um nebst Dänemarks Ministerpräsidentin Mette Frederiksen am Rheinmetall-Stammwerk Unterlüß die Erde zu lockern. Gebaut wird hier das „Werk Niedersachsen“, in dem Artilleriemunition, Sprengstoff, Raketenantriebe und Gefechtsköpfe gefertigt werden sollen.

Rheinmetall will hier jährlich 200.000 Artilleriegeschosse fertigen

Rund 200.000 Artilleriegranaten will Rheinmetall hier künftig pro Jahr produzieren, dazu 1900 Tonnen Sprengstoff, der für Artillerie-, Panzer- und Mörsermunition benötigt wird. Allerdings werden sich die Ukraine und die Bundeswehr noch gedulden müssen, bis der Nachschub kommt: Nach einem Jahr Bauzeit, also im Frühjahr 2025, werde zunächst eine Kapazität von 50.000 Geschossen erreicht, teilte Rheinmetall mit, ein Jahr später 100.000 und erst später die vollen 200.000 Geschosse. Es ist ein Wettlauf mit Putins Kriegswirtschaft, die beim Munitionsnachschub derzeit vorne liegt.

Kanzler Scholz sprach von einem „besonderen Tag“ für die „Sicherheit unseres Landes und ganz Europas“. Rheinmetall schaffe mit den Investitionen in das Werk „die Grundlage dafür, die Bundeswehr und unsere Partner in Europa eigenständig und vor allem dauerhaft mit Artilleriemunition zu versorgen“. Gleichzeitig rief er seine europäischen Partner auf, ihre Bestellungen zu bündeln und der Rüstungsindustrie Abnahmesicherheit für die nächsten Jahrzehnte zu geben. „Wir müssen weg von der Manufaktur - hin zur Großserien-Fertigung von Rüstungsgütern“, sagte Scholz mit Blick auf die Gefahr durch Russland.

Rheinmetall: Die Munitionalager der Bundeswehr sind leer

Rheinmetall baut das Werk für 300 Millionen Euro auf eigene Kosten, wie der Dax-Konzern betont. In Unterlüß entstehen rund 500 neue Arbeitsplätze. Es soll das Herz der weltweiten Munitionsfertigung der Düsseldorfer werden und rund 30 Prozent der ab 2025 angepeilten Produktion von jährlich 700.000 Artilleriegranaten liefern, die Rheinmetall in Deutschland, Spanien, Südafrika, Australien und Ungarn produzieren will.

„Zur Sicherung der strategischen Souveränität Deutschlands im Bereich der Munitionsherstellung schaffen wir eine nationale Produktionsstätte, die neue Maßstäbe setzt und vor allem die Versorgung der Bundeswehr sicherstellen wird“, sagte Rheinmetall-Chef Armin Papperger. Denn die Lager der Bundeswehr seien leer: Rheinmetall schätzt ihren Bedarf auf Munition im Wert von 40 Milliarden Euro.

Der Ukraine geht im Verteidigungskrieg gegen Russland die Munition aus

Mit dem Hochfahren der Produktion soll sie aber nicht nur die eigenen Bestände auffüllen, sondern vor allem auch die Ukraine stärker unterstützen können. Die europäischen Partner können die versprochenen eine Million Artilleriegeschosse im Jahr nicht liefern, die Ukraine gerät militärisch immer stärker unter Druck. Und in den USA als wichtigstem Waffenlieferanten stellen im Wahlkampf um die Präsidentschaft die Republikaner die militärische Unterstützung für die Ukraine grundsätzlich infrage.

Doch während Rheinmetall massiv von Scholz‘ Zeitenwende profitiert und rund 38 der 100 Milliarden Euro aus dem Sondervermögen einsammeln will, herrscht in der Bevölkerung keineswegs Rüstungseuphorie. Aufgrund massiver Widerstände hatte Rheinmetall-Chef Papperger im vergangenen Sommer den geplanten Bau einer Pulverfabrik in Sachsen abgesagt. Stattdessen will er die Produktion am bestehenden Standort im bayerischen Aschau am Inn ausweiten. Auch in Unterlüß setzt er auf bestehende Strukturen, denn neue Standorte bedeuten in der Regel Proteste und lange Genehmigungszeiten. Dennoch wurde auch der Spatenstich am Rosenmontag von Protesten begleitet: Rund 400 Friedensaktivisten und Bauern demonstrierten vor dem Werk - die Friedensaktivisten gegen Waffen, die Bauern gegen teureren Agrardiesel.

In Troisdorf stellten sich CDU und Grüne gegen Munitionsfabrik

Dass aber auch die Erweiterung eines Werks keineswegs mal eben durchgewunken wird, hat der Konkurrent Diehl im rheinischen Troisdorf erfahren müssen. Die Diehl-Tochter Dynitec wollte ihre Produktion von Artilleriegeschossen und Sprengstoff ausweiten, um der Ukraine mehr liefern zu können. Doch der CDU-Bürgermeister und die Grünen im Stadtrat stellten sich dagegen und blockierten die dafür benötigte Erweiterungsfläche mit einem Vorkaufsrecht.

Auch Mette Frederiksen, die Ministerpräsidentin des Nato-Partners Dänemark, kam zum Baustart für das neue Munitionswerk in die Lüneburger Heide. Mit Rheinmetall-Chef Papperger und Kanzler Scholz betonte sie, wie wichtig das Werk sei.
Auch Mette Frederiksen, die Ministerpräsidentin des Nato-Partners Dänemark, kam zum Baustart für das neue Munitionswerk in die Lüneburger Heide. Mit Rheinmetall-Chef Papperger und Kanzler Scholz betonte sie, wie wichtig das Werk sei. © Getty Images | Pool

Deutschland sei „unfähig zur Zeitenwende“, urteilte die Neue Zürcher Zeitung nach der Troisdorfer Demonstration kommunaler Verhinderungsmacht. Auch Verteidigungsminister Pistorius und seine liberale Mitkämpferin Agnes Strack-Zimmermann zeigten sich entsetzt darüber, dass ausgerechnet christdemokratische und grüne Kommunalpolitiker diese wichtige Fabrik verhindern. In Berlin fordern die Union in der Opposition und die Grünen in der Regierung neben Strack-Zimmermann am lautesten mehr und schnellere Waffenlieferungen an die Ukraine.

Anders lief es für Rheinmetall in Weeze: Hier baut der Konzern eine Fabrik für Teile des Kampfflugzeugs F-35. Mit den US-Partnerfirmen Northrop Grumman und Lockheed Martin sollen hier bereits ab dem kommenden Jahr mindestens 400 Rumpfmittelteile für den Kampfjet gefertigt werden.

Rheinmetall rechnet mit Aufträgen von 15 Milliarden Euro in diesem Jahr

Nebenbei ist es auch Kampf der Konzerne um Marktanteile. „Die Ukraine wird dieses Jahr allein von uns mehrere hunderttausend Schuss bekommen“, kündigte Papperger gegenüber dem „Tagesspiegel“ an, darüber hinaus „mehrere dutzend Schützen- und Kampfpanzer“ sowie Flugabwehrsysteme. Von der Bundeswehr erwarte er im laufenden Jahr Rüstungsaufträge im Wert von 15 Milliarden Euro. Rheinmetall eilt von Rekordgewinn zu Rekordgewinn. Die im Dax notierte Aktie vervielfachte ihren Wert nach dem Marschbefehl Putins - von rund 90 Euro im Februar 2022 auf 345 Euro an diesem Rosenmontag. mit dpa