Sprockhövel. Die Schuh-Riesen Salamander, Reno und Görtz sind insolvent. Für einen Schuh-Händler aus der Region läuft’s. Er macht alles anders als die Großen.

Er regt sich jetzt erst noch mal auf, hatte er im Vorgespräch auch schon getan. Über die „irrsinnige“ Energiepolitik in Deutschland. Über die Corona-Zeit, Lockdowns, dass der Staat ihm den Laden zusperrte. Über Bürokratie, ausufernde gesetzliche Vorschriften, Dokumentationspflichten. „Als Unternehmer“, sagt der Schuhhändler Christian Geller aus Sprockhövel dann, „stehst du immer mit einem Bein im Knast.“

Viele Schuh-Unternehmen aber, so der jüngste Eindruck, stehen mit einem Bein auch in der Insolvenz. Oder gar mit beiden Beinen. Salamander, Görtz oder Reno sind prominente Beispiele. Die Insolvenzen großer Ketten, zu denen sich der Modehändler Peek & Cloppenburg gesellt, sorgten in den vergangenen Monaten für Aufsehen. Ist die Schuhbranche, in der allein im vergangenen Jahr laut Handelsverband Textil Schuhe Lederwaren (BTE) bundesweit 1500 der zuvor 11.500 Schuhgeschäfte dichtgemacht haben, am Ende? Kommt drauf an.

Christian Geller, der in der Region fünf Filialen in Sprockhövel (zwei), Meinerzhagen, Hagen-Bathey und Essen-Burgaltendorf betreibt, hält die Insolvenzen der Großen zum Teil für eine „langfristig gesunde Entwicklung“, weil eine Marktbereinigung stattfinden müsse. Offenbar betreffen ihn die Schwierigkeiten der Branche kaum, sagt Geller doch: „Wir sind ein solides Unternehmen.“ Dafür jedoch muss er vieles anders handhaben als die Großen.

Schuhgröße 39 (links) trifft Größe 54 2/3: Christian Geller zeigt, wie groß der Unterschied zwischen den beiden Schuhen ist.
Schuhgröße 39 (links) trifft Größe 54 2/3: Christian Geller zeigt, wie groß der Unterschied zwischen den beiden Schuhen ist. © FUNKE Foto Services | Ralf Rottmann

Bestlage Innenstadt? Auf keinen Fall!

Es fängt an mit dem Standort. Bestlage Innenstadt? Wo die Ketten sitzen, um präsent zu sein? Er würde dort nie eine Filiale eröffnen, versichert Geller. Zu teure Mieten, zu wenige Parkplätze. Also sitzt der 49-Jährige etwa in Niedersprockhövel, ländliche Gegend, grüne Wiese, hier kommt keine Kundschaft zufällig vorbei. Dafür hat er die A 43 um die Ecke, 1200 m² zur Verfügung (davon 400 m² Lagerfläche), Verkauf auf zwei Stockwerken. Und: rund 70 Parkplätze. „Parkplätze“, sagt Geller, „sind das Lebenselixier. Die Leute müssen in den Laden reinfahren können.“

Bei Schuhmode Geller – Familienunternehmen seit 1986 – können die Kunden das. Oder zumindest können sie ganz nah an den Laden ranfahren. Klingt wie ein US-amerikanischer Ansatz, und um Raum, Platz und Komfort geht es auch, wenn Geller über weitere seiner Erfolgsfaktoren spricht.

60.000 Paar Schuhe vorrätig und Millionenkosten für Ware

Während viele Händler an Lagerkapazitäten sparen, stehen bei ihm meterlange Regale gefüllt mit Ware, auf Paletten stapeln sich die Schuhkartons. Die Frühjahr- und Sommerkollektion ist gerade geliefert worden. 60.000 Paar Schuhe habe er hier an seinem zentralen Standort in Niedersprockhövel. Das kostet – ihn zwar keine Miete, weil dieses Gelände seiner Firma gehört (auch ein Erfolgsfaktor). Aber so viel Ware muss man sich erst mal leisten können.

Zwischen einer Million und 1,5 Millionen Euro bezahle er jeweils, wenn im Februar/März die Sommerkollektion und im August/September die Ware für den Winter geliefert werde. Zurückgeben kann er nichts. Was er bestellt hat, gehört ihm – bis er es weiterverkauft hat. So viel Ware vorrätig zu haben ist teuer, aber auch eine Notwendigkeit, damit Kunden in seinen Filialen fündig werden und nicht online bestellen. „Ohne das Lager wären wir aufgeschmissen. Man muss relevant sein für die Kunden. Auswahl ist das A und O“, sagt Geller.

Auswahl ist das A und O, sagt Christian Geller. Er bietet in seiner zentralen Filiale in Niedersprockhövel 60.000 Paar Schuhe an.
Auswahl ist das A und O, sagt Christian Geller. Er bietet in seiner zentralen Filiale in Niedersprockhövel 60.000 Paar Schuhe an. © FUNKE Foto Services | Ralf Rottmann

Kein Online-Handel, aber große Größen und Outdoorware

Einen Online-Versand gibt es bei ihm nicht, auch nicht über Internet-Marktplätze wie Amazon oder Zalando. „Ich“, sagt Geller, „bin kein Päckchenpacker.“ Stattdessen setzt er auf Beratung und Auswahl vor Ort. Das Sortiment, zu dem auch Bekleidung, Socken, Accessoires oder Schulranzen gehören, setzt nicht zuletzt auf Kinderschuhe (die gleich neben den Schulranzen angeboten werden...) und große Größen. Kinderschuhe bis Größe 42, Damenschuhe bis 46, Herrenschuhe bis 51. Mitunter geht noch mehr. Das XXXL-Produkt ist ein Herrenschuh in 54 ⅔.

Zudem setzt Geller auf Outdoorware, zum Beispiel Wander-, Lauf-, Funktions- oder neuerdings Barfuß-Schuhe. „Viele Ketten aber vernachlässigen Outdoor“, sagt er, der das Unternehmen mit seinem Vater Klaus (84) führt. Mit dem Outdoor-Angebot umgeht er auch ein Problem, das er als typisch deutsch beschreibt: den Unwillen vieler seiner Landsleute, für Schuhe mehr Geld auszugeben, mehr auf Qualität zu setzen. „Der Schuh hat keinen Stellenwert in Deutschland, der Schuh ist zu weit weg vom Kopf“, sagt Geller.

Wenn es aber um Outdoorware gehe, sei alles anders. Heutzutage spiele die Musik im Freizeitbereich. „Sportgerät darf was kosten. Da ist man raus aus der Preisdiskussion“, berichtet Geller.

„Multikrisen-Cocktail“ für die Schuhbranche

Natürlich bleibt auch er nicht von den allgemeinen Turbulenzen, mit denen seine Branche zu kämpfen hat, gänzlich verschont. Dieser „Multikrisen-Cocktail“, von dem Axel Augustin spricht, der Geschäftsführer des Handelsverbands Textil, Schuhe, Lederwaren (BTE). Einige Zutaten des schädlichen Gesöffs: die Online-Konkurrenz mit unerreichter Auswahl, hohe Lagerkosten und Mieten, Saisonware, auf der man sitzen bleibt, die Energiekrise, die Inflation, die Corona-Lockdowns mit den langen Ladenschließungen. Geller nennt des Weiteren die vielen Preisschlachten und Sale-Aktionen im Schuhhandel als Grund für die – teils hausgemachten – Probleme und sagt: „Wir haben zu viel Fläche und zu viel Ware am Markt.“

Deshalb hofft er langfristig auf eine Marktbereinigung, zu der es aber möglicherweise nur eingeschränkt kommen wird. Gehen beispielsweise die großen Ketten in eine Planinsolvenz, kann das für ein Unternehmen ein taktisches Mittel sein, um Mietverträge neu zu verhandeln, Stellen abzubauen, Altlasten loszuwerden, wie Axel Augustin betont. Geller ärgert sich über solche Planinsolvenzen. Er hat zwar großes Verständnis dafür, dass Arbeitsplätze gesichert werden sollen, aber „ich zahle dann mit meinen Steuern die Gehälter meiner Mitbewerber“, sagt er.

Hinzu kommt, dass die Pleite eines der Großen der Branche unmittelbar nichts Gutes für seine Geschäfte verheiße. „Dann machen die erst mal einen Räumungsverkauf, fluten den Markt mit billiger Ware“, sagt er. Auch deshalb muss er andere Wege gehen.