Essen. Im Fall Galeria Karstadt Kaufhof hätte viel Steuergeld gespart werden können, so der Insolvenzjurist Christoph Niering. Folgende Gründe nennt er.

Die Krise des Warenhauskonzerns Galeria Karstadt Kaufhof legt den Verdacht nahe, dass es gute Zeiten sein müssten für Deutschlands Insolvenzverwalter. Doch das Gegenteil sei der Fall, sagt der Kölner Insolvenzverwalter Christoph Niering. Sein Berufszweig habe in den vergangenen Monaten eine beispiellose Auftragsflaute erlebt. Niering, der den Berufsverband der Insolvenzverwalter und Sachwalter Deutschlands (VID) führt, kritisiert in diesem Zusammenhang die milliardenschweren Staatshilfen für angeschlagene Unternehmen. Häufig würden Firmen, „die eigentlich vom Markt her keine Existenzberechtigung mehr hätten, mit Hilfe von Steuergeldern über Wasser gehalten“, sagt der Jurist. Galeria Karstadt Kaufhof sei dafür „ein treffendes Beispiel“. Niering ist seit mehr als 30 Jahren tätig und hat seitdem nach eigenen Angaben mehr als 2000 Insolvenz- und Eigenverwaltungsverfahren betreut, unter anderem bei den Traditionsvereinen Schwarz-Weiß Essen, Moskitos Essen und Alemannia Aachen. Seine Kanzlei Niering Stock Tömp hat rund 70 Mitarbeitende und auch ein Büro in Essen. Hier unser Interview mit Christoph Niering im Wortlaut:

Herr Niering, in der Corona-Krise und angesichts des Ukraine-Kriegs sind viele Unternehmen in Deutschland schwer unter Druck geraten. Das müssten gute Zeiten für Insolvenzverwalter sein, die anrücken, wenn Firmen in eine Schieflage geraten.

Niering: Im Gegenteil, die Insolvenzverwalter haben eine Auftragsflaute in einem bisher nicht dagewesenen Umfang erlebt. Die Insolvenzzahlen haben sich in den letzten drei Jahren auf einem historisch niedrigen Niveau bewegt. Auch heute nähern wir uns erst ansatzweise dem Niveau von 2019, als das Land wirtschaftlich blendend dastand.

Woran liegt das?

Niering: Wir haben nicht mehr das freie Spiel der wirtschaftlichen Kräfte, in dem Insolvenzen auch der Marktbereinigung dienen. Stattdessen erleben wir ein staatlich gelenktes Insolvenzgeschehen. Wenn es umfassende staatliche Hilfen gibt, dann werden häufig auch Unternehmen, die eigentlich vom Markt her keine Existenzberechtigung mehr hätten, mit Hilfe von Steuergeldern über Wasser gehalten.

Sie spielen auf den Warenhauskonzern Galeria Karstadt Kaufhof an?

Niering: Galeria Karstadt Kaufhof ist ein treffendes Beispiel, ja. Eigentlich geht es hier um eine seit Jahren schrumpfende Branche. Ohne die staatlichen Finanzspritzen hätte es wahrscheinlich schon bei der ersten Insolvenz im Jahr 2021 tiefere Einschnitte geben müssen. Das hätte viel Steuergeld gespart – und den Beschäftigten auch viel leidvolle Ungewissheit.

Aber die Beschäftigten sind doch so oder so die Leidtragenden in dieser Situation.

Niering: Ja, absolut. Aber ich erlebe bei meiner Arbeit immer wieder, wie qualvoll auf Arbeitnehmerseite die jahrelange Ungewissheit über die eigene berufliche Zukunft ist. Unzählige Personalmaßnahmen, Sanierungstarifverträge und wiederholte Insolvenzen sind für Mitarbeitende zermürbend. Ein Ende mit Schrecken ist häufig besser als ein Schrecken ohne Ende. Das ist auch volkswirtschaftlich von zunehmender Bedeutung. Unternehmen, die aus eigener Kraft nicht existieren können, binden Arbeitskräfte, die bei wirtschaftlich gesunden Unternehmen besser aufgehoben wären. Wir haben heute generell einen Arbeitskräftemangel, der weit über einen Mangel an Fachkräften hinausgeht. Restaurant- und Einzelhandelsbetriebe können vielfach nicht oder nur eingeschränkt öffnen, weil ihnen die Leute fehlen.

Die Menschen werden gute Gründe haben, warum sie sich für einen Arbeitgeber entscheiden.

Niering: Selbstverständlich und das ist ja auch gut so, gerade wenn man sich aus eigener Überzeugung für einen bestimmte Branche oder einen konkreten Arbeitgeber entschieden hat. Jahrzehntelange Betriebszugehörigkeiten sind ja nicht die Ausnahme, sondern spiegeln die Verbundenheit mit dem Arbeitgeber und den Kollegen wider. Gerade das vertraute Umfeld im Kollegenkreis hält viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter auch in der Unternehmenskrise an Bord.

Sie betonen das marktwirtschaftliche Prinzip, aber wo bleibt das Soziale?

Niering: Wir leben in einer sozialen Marktwirtschaft, das gilt seit langem auch für das Insolvenzverfahren. Die Absicherung der Betriebsrenten über den Pensions-Sicherungs-Verein und der letzten drei Monatsgehälter über das Insolvenzgeld der Arbeitsagentur sind zwei handfeste Beispiele hierfür. Das Geld kommt übrigens nicht vom Staat, sondern aus Töpfen, in die alle deutschen Arbeitgeber einzahlen.

Drei Monate sind schnell vergangen.

Niering: Richtig, aber in Insolvenzverfahren ist Schnelligkeit gefragt. Kunden und Lieferanten erwarten kurzfristig Klarheit über die unternehmerische Zukunft. Das Ziel ist, das Unternehmen zu sanieren oder die Beschäftigten zügig in neue Arbeitsverhältnisse zu bringen. Gerade jetzt, wo die Arbeitslosenquote gering und der Arbeitskräftemangel groß ist. Das kann gelingen, wie ein aktuelles Beispiel aus einem meiner Insolvenzverfahren zeigt. Ein Lieferant für Kfz-Ersatzteile mit 25 Standorten musste nach Ablauf des dreimonatigen Insolvenzgeld-Zeitraums rund 1000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter freistellen. Gemeinsam mit der Arbeitsagentur haben wir für die Betroffenen einen Tag im Unternehmen organisiert, bei dem sich Arbeitgeber den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern vorgestellt haben – und nicht umgekehrt. Das war ein Werben um die begehrten Arbeitskräfte. Einige Arbeitgeber haben sogar Prämien ausgelobt für Leute, die besonders schnell wechseln. Auch ältere Beschäftigte haben sofort etwas Neues gefunden.

Es stellt sich aber die Frage, ob sich das Beispiel übertragen lässt auf andere Branchen, den Einzelhandel etwa.

Niering: Generell bin ich mir sicher, dass die Menschen, die wissen, dass sie gebraucht werden, mit einem ganz anderen Gefühl zur Arbeit gehen. Wer arbeitet schon gerne für einen Betrieb, in dem nicht klar ist, ob es morgen die Kündigung gibt? Ich bin überzeugt: Insolvenzen können auch für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter eine große Chance sein.

Gilt das aus Ihrer Sicht auch für Galeria Karstadt Kaufhof?

Niering: Ich denke, ja.

Insolvenzverwalter haben eine starke Rolle, wenn sie das Ruder in Unternehmen übernehmen. Die Auswahl der jeweiligen Juristen erfolgt durch ein Amtsgericht – ohne Ausschreibung, ohne Korrekturmöglichkeiten und mit wenig Transparenz.

Niering: Es muss eine Auswahl innerhalb kürzester Zeit erfolgen, da geht es um Tage, manchmal auch um Stunden. Eine europaweite Ausschreibung ist daher nicht nur unpraktikabel, sondern könnte den Erhalt des Unternehmens oder die schnelle Sicherung der Insolvenzmasse gefährden. In mittleren und größeren Insolvenzverfahren liegt der Auswahlprozess allerdings seit einigen Jahren nicht mehr allein bei dem zuständigen Insolvenzrichter, sondern über den Gläubigerausschuss auch bei den Gläubigern.

Warum fehlt die Kontrollmöglichkeit bei der Auswahl der Insolvenzverwalter durch eine höhere Instanz, wie es sonst bei Gerichtsentscheidungen die Regel ist?

Niering: Es geht um Schnelligkeit. Daher ist es auch so wichtig, dass ein Insolvenzverwalter uneingeschränkt unabhängig und qualifiziert ist.

Warum sind es Amtsgerichte und nicht etwa Landgerichte, die entscheiden?

Niering: Die Frage wird in der Fachwelt auch schon seit Jahren immer wieder diskutiert. Letztendlich ist es eine historische Entwicklung aus den Zeiten der Konkursordnung. Eine Aufwertung der komplexen Tätigkeit wäre sicherlich sinnvoll, wenn man allein schon die wirtschaftliche Bedeutung der Verfahren betrachtet. In Nordrhein-Westfalen haben wir zumindest die Konzentration auf wenige und sehr kompetente Gerichte.

Für Insolvenzverwalter sind es mitunter Mandate, die Millionensummen in die Kassen ihrer Kanzlei spülen.

Niering: Das sind vereinzelte Ausreißer. 80 bis 90 Prozent aller Insolvenzverfahren sind Klein- und Kleinstinsolvenzverfahren, bei denen die Mindestvergütung oft nur 1000 Euro beträgt. Über diese Mindestvergütung hinaus arbeitet der Insolvenzverwalter anders als Anwälte rein erfolgsbezogen und haftet auch bei komplexen Betriebsfortführungen persönlich – mit Haus und Hof. Zudem vergessen viele, dass nicht der Verwalter allein, sondern sein ganzes Kanzleiteam die Arbeit bewältigt, die dann über die Vergütungen finanziert werden muss.

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Sie können sich aber auch versichern lassen.

Niering: Ja, aber Versicherungen sind bekanntlich grundsätzlich sehr zurückhaltend bei der Schadensregulierung. Gerade unternehmerische Entscheidungen bergen immer die Gefahr in sich, dass die Versicherungen darin grob fahrlässiges Handeln sehen beziehungsweise sehen wollen und dann nicht zahlen.

Insolvenzen gelten als etwas Schlechtes. Das sehen Sie vermutlich anders.

Niering: Das Stigma der Insolvenz ist immer noch weit verbreitet. Aber eine Insolvenz ist sehr oft nicht das Ende, sondern beinhaltet auch die Perspektive für einen Neuanfang. Ich vergleiche das oft mit einem Ballon, der aufsteigen kann, weil er Ballast abwirft: Schulden, schlechte Miet- oder Lieferantenverträge. Das sind die Sandsäcke, die es loszuwerden gilt. Dann gewinnt ein Unternehmen wieder an Höhe.

Die Gläubiger sind die großen Verlierer…

Niering: … die ungesicherten Gläubiger. Die Banken sind gesichert und haben meist nicht viel zu befürchten. Auch Lieferanten, die unter Eigentumsvorbehalt agieren, sind insolvenzfest gesichert. Die Geschädigten sind die Gläubiger, die nicht gesichert sind – meist einfache Dienstleister wie Reinigungsfirmen und Handwerker.

Und im Fall Galeria Karstadt Kaufhof ist es auch der Staat, der Millionensummen für die vermeintliche Unternehmensrettung beigesteuert hat. Das ist ungewöhnlich.

Niering: Es ist wirklich eine Sondersituation, die wir in den vergangenen drei Jahren erlebt haben. Was der Staat unter anderem bei Galeria Karstadt Kaufhof gemacht hat, war vorher europarechtlich verboten. Da durfte der Staat Unternehmen in Schieflage grundsätzlich keine finanzielle Unterstützung zukommen lassen. Da wurde alles beihilferechtlich hinterfragt. Diese Zurückhaltung ist mit der Corona-Krise verschwunden. Plötzlich gab es Geld für alles und jeden, auch für Unternehmen, die eigentlich Insolvenz hätten anmelden müssen.