Essen. Bei der Hauptversammlung von Thyssenkrupp zeigen sich Aktionäre besorgt angesichts tödlicher Unfälle. Ein Fall in Duisburg steht im Fokus.

Tödliche Unfälle bei Thyssenkrupp haben Aktionäre bei der Hauptversammlung auf den Plan gerufen. Die Sparkassen-Investmentgesellschaft Deka und der Dachverband der Kritischen Aktionärinnen und Aktionäre zeigten sich besorgt angesichts der Vorkommnisse. „Mit Besorgnis stellen wir eine Zunahme der Arbeitsunfälle in der Stahlsparte fest. Im vergangenen Jahr waren hier in Deutschland leider zwei Todesfälle zu beklagen“, sagte Deka-Experte Ingo Speich. An das Thyssenkrupp-Management richtete er den „dringenden Appell, die Arbeitssicherheit nicht aus dem Auge zu verlieren“. Speich legte dem Unternehmen nahe, die Vorkehrungen zum Schutz der Beschäftigten zu überprüfen.

Besondere Aufmerksamkeit erregte im vergangenen Herbst der Tod eines jungen Arbeiters, der auf dem Werksgelände von Thyssenkrupp Steel in Duisburg-Bruckhausen aufgefunden worden war. Der 26-Jährige, der zu einem Subunternehmen gehörte, war bisherigen Erkenntnissen zufolge in ein metertiefes Schlackebecken gefallen und in dem zähen Schlamm erstickt.

Der Fall zeige, dass schlechte Arbeitsbedingungen in Subunternehmen der Thyssenkrupp-Stahlsparte „massive Risiken für die Gesundheit und Sicherheit“ der Beschäftigten bedeuteten, bemängelt der Dachverband der Kritischen Aktionärinnen und Aktionäre. „Thyssenkrupp muss sicherstellen, dass auch beauftragte Subunternehmen die Sicherheits- und Arbeitseinweisung entsprechend der Sprachkenntnisse der Beschäftigten durchführen“, erklärte der Dachverband unter Verweis auf die Herkunft des bulgarischen Arbeiters, der tödlich verunglückte. Der Aktionärsverband spricht sich angesichts der Vorfälle dafür aus, dem Thyssenkrupp-Vorstand mit Konzernchefin Martina Merz an der Spitze die Entlastung zu verweigern.

„In jedem Fall wirft der Fall große Fragen und Bedenken hinsichtlich des Arbeitsschutzes und der Sicherheitsvorkehrungen bei Thyssenkrupp Steel und hinsichtlich grundlegender Arbeitsrechte und Arbeitsstandards bei den Subunternehmen auf“, sagt Philipp Lottholz als Redner der Kritischen Aktionärinnen und Aktionäre bei der digitalen Thyssenkrupp-Hauptversammlung. Aus Gesprächen mit Beschäftigten von Subunternehmen gehe hervor, dass es eine „mangelhafte Überwachung von Arbeitsstandards“ gebe, vor allem weil Verträge und Sicherheitsunterweisungen nur auf Deutsch ausgestellt würden „und nach Aussagen der Arbeiter nicht in ihrer jeweiligen Sprache angeboten werden, während sie jedoch kein Deutsch sprechen“.

Subunternehmen von Thyssenkrupp im Blick

„Es ist bis heute unklar, welche Konsequenzen Thyssenkrupp aus dem Fall gezogen hat“, heißt es in der Stellungnahme der Kritischen Aktionärinnen und Aktionäre zur Hauptversammlung. „Es fehlen klar kommunizierte Maßnahmen, um die weithin berichtete Ausbeutung und die von Angst geprägten Arbeitsverhältnisse von Arbeitskräften zu beenden, die das Risiko von Unfällen erhöhen.“

Thyssenkrupp-Personalvorstand Oliver Burkhard spricht während der Hauptversammlung von einem „tragischen Todesfall“ und nennt auch den Namen des Verunglückten: Refat Süleyman. Es sei weiterhin unklar, wie sich das Unglück ereignet habe. „Die behördlichen Untersuchungen dauern hierzu nach wie vor an“, berichtet Burkhard.

Leichnam in einem Schlammbecken entdeckt

Thyssenkrupp sei „außerordentlich an einer Aufklärung interessiert“, betont Burkhard. Fest stehe bisher: Der Verstorbene sei am Freitag, 14. Oktober vergangenen Jahres, nach Abschluss von Reinigungsarbeiten an Verkehrsschildern, die er zusammen mit einem Kollegen im Entsorgungsbetrieb bis etwa neun Uhr morgens durchgeführt habe, vermisst und zunächst trotz tagelanger Suche nicht gefunden worden. „Erst am Montag, den 17. Oktober, wurde sein Leichnam beim Entleeren eines Saugfahrzeugs in einem Schlammbecken entdeckt“, so Burkhard. „Bei den bisherigen Untersuchungen konnte kein Zusammenhang mit den Arbeitsbedingungen vor Ort festgestellt werden.“

Eine „gute Unterweisung“ der Beschäftigten sei eine wichtige Voraussetzung für sicheres Arbeiten, betont Burkhard während der Hauptversammlung. Der jeweilige Arbeitgeber sei verpflichtet, die Beschäftigten verständlich über etwaige Gefahren auf dem Werksgelände zu informieren. „Thyssenkrupp darf diese Unterweisung für Werkvertragsunternehmen nicht übernehmen“, merkt Burkhard an. Als „Hilfestellung“ stelle der Stahlkonzern den Subunternehmen aber Informationsmaterial in 14 Sprachen zur Verfügung.

Thyssenkrupp: Streichen Subunternehmen bei Regelverstößen „von unserer Liste“

Wenn Thyssenkrupp Regelverstöße von Subunternehmen feststelle, könne dies Konsequenzen für die beauftragten Betriebe geben, „die dann von unserer Liste gestrichen werden“, so Burkhard. „Diese Fälle gab es auch schon – zum Beispiel aufgrund von Verstößen im Bereich der Arbeitssicherheit.“

podcast-image

Thyssenkrupp Steel hatte kurz nach dem tödlichen Unfall erklärt: „Grundsätzlich gelten für alle auf unserem Werksgelände tätigen Personen einheitlich hohe Sicherheitsstandards. Wir differenzieren nicht zwischen eigenen Beschäftigten, Partnerfirmen oder Besuchern.“ Auch im Geschäftsbericht 2021/22 betont Thyssenkrupp, in Sachen Arbeitssicherheit behalte das Unternehmen auch die „Subunternehmen im Blick“. Das erklärte Ziel laute hier, „die geltenden Standards auch auf Partnerfirmen anzuwenden“.