Essen. Bei Thyssenkrupp regt sich vor der Hauptversammlung Kritik von Investoren. Die Fondsgesellschaft Deka lehnt die geplante Dividenden-Zahlung ab.

Gegenwind für die Thyssenkrupp-Führung vor der Hauptversammlung: Mit der Sparkassen-Fondsgesellschaft Deka lehnt ein einflussreicher Investor die geplante Dividende des Essener Industriekonzerns ab. „Das Unternehmen hat im vergangenen Jahr nicht die Barmittel erwirtschaftet, um einen Gewinn ausschütten zu können“, sagt Deka-Experte Ingo Speich im Gespräch mit unserer Redaktion. Thyssenkrupp sei „noch nicht dividendenfähig“. Die Dividende müsste „aus der Substanz gezahlt werden, sofern die Hauptversammlung zustimmt“, kritisiert Speich. Das Unternehmen plant erneut eine virtuelle Hauptversammlung. In früheren Jahren stand das Management regelmäßig in einem Bochumer Kongresszentrum den Aktionärinnen und Aktionären Rede und Antwort. Am 3. Februar will sich der Vorstand um Konzernchefin Martina Merz nun digital zu Wort melden. Die Rede der Managerin wird allerdings schon vorab veröffentlicht. Aktionärsvertreter Speich fordert in unserem Interview, Thyssenkrupp brauche „dringend Fortschritte“.

Herr Speich, Thyssenkrupp will erstmals seit Jahren wieder eine Dividende zahlen. Das heißt: Endlich bekommen die Aktionärinnen und Aktionäre wieder Geld vom Unternehmen. Ist das ein gutes Signal?

Speich: Nein, es ist das falsche Signal. Eine Dividende auf Biegen und Brechen hilft niemandem weiter. Wir lehnen die Dividende ab, denn Thyssenkrupp ist trotz positiver Entwicklungen noch nicht dividendenfähig. Weil Thyssenkrupp nicht ausreichend liquide Mittel generieren konnte, müsste die Dividende aus der Substanz gezahlt werden, sofern die Hauptversammlung zustimmt.

Es ist aber sehr wahrscheinlich, dass es bei der Hauptversammlung grünes Licht für die Auszahlung gibt. Der Anteil Ihrer Fondsgesellschaft Deka an Thyssenkrupp hält sich in Grenzen. Die Essener Krupp-Stiftung als Großaktionärin fordert hingegen schon lange eine Dividende und findet die Ausschüttung gut. Geht es Ihnen vor allem um Show?

Speich: Uns geht es um ein realistisches Bild: Das Unternehmen hat im vergangenen Jahr nicht die Barmittel

Ingo Speich von der Sparkassen-Fondsgesellschaft Deka kritisiert die Gewinnausschüttung beim Essener Stahl- und Industriegüterkonzern Thyssenkrupp.
Ingo Speich von der Sparkassen-Fondsgesellschaft Deka kritisiert die Gewinnausschüttung beim Essener Stahl- und Industriegüterkonzern Thyssenkrupp. © FUNKE Foto Services | Ralf Rottmann

erwirtschaftet, um einen Gewinn ausschütten zu können. Daher gibt es auch schon seit Jahren eine Diskussion im Konzern, die sich um den „negativen Cashflow“ dreht. Thyssenkrupp braucht hier dringend Fortschritte.

Sind Sie unzufrieden mit Vorstandschefin Martina Merz?

Speich: Frau Merz hat einiges erreicht, aber es ist noch zu wenig. Positiv ist, dass sie wichtige Verkäufe von Konzernteilen gut über die Bühne gebracht hat. Ich denke nicht nur an die große Aufzug-Sparte, sondern beispielsweise auch an das italienische Edelstahlwerk Terni von Thyssenkrupp sowie das Geschäft mit Anlagen für den Bergbau. An anderen Stellen hakt es. Es ist weiterhin unklar, was aus der Stahlsparte wird. Auch vom angekündigten Börsengang des Wasserstoffgeschäfts Nucera ist bislang nichts zu sehen.

Ist es denn überhaupt sinnvoll, solche Projekte mitten in einer historischen Energiekrise anzugehen?

Speich: Der Thyssenkrupp-Vorstand darf die wichtigen strategischen Entscheidungen nicht auf die lange Bank schieben. Wer etwas ankündigt und nicht liefert, verspielt Vertrauen an den Kapitalmärkten. Unklarheiten schlagen sich negativ auf den Börsenwert nieder. Das zeigt sich bei Thyssenkrupp.

Seit Jahren gibt es immer wieder Spekulationen zu möglichen Fusionen der Stahlsparte von Thyssenkrupp. Wäre aus Ihrer Sicht das Modell einer „Deutschen Stahl AG“ der heimischen Hersteller sinnvoll?

Speich: Was aus dem Stahl wird, ist die Schlüsselfrage bei Thyssenkrupp. Von ihr hängt auch ab, wie es mit allen anderen Aktivitäten weitergeht. Doch hier geht es nicht voran. Das liegt nicht allein an Thyssenkrupp. Auch von Salzgitter gibt es ablehnende Signale mit Blick auf einen möglichen Zusammenschluss. Aus wirtschaftlicher Perspektive wäre eine Zusammenarbeit der deutschen Stahlhersteller sicherlich sinnvoll. Die Konzerne sind auf staatliche Unterstützung angewiesen. Daher sollten sich die Unternehmen auch selbst möglichst wettbewerbsfähig aufstellen und das tun, was in ihrer Macht liegt.

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Wie schlägt sich die Stahlsparte von Thyssenkrupp?

Speich: Leider hinkt Thyssenkrupp im Wettbewerb hinterher. Das hat auch damit zu tun, dass der Konzern über Jahre hinweg zu wenig in den Stahl investiert hat. Das wirkt sich jetzt negativ aus. Das Problem mangelnder Wettbewerbsfähigkeit zeigt sich auch bei anderen Sparten von Thyssenkrupp. Hier hat das Management um Frau Merz noch viel Arbeit vor sich.

Was ist Thyssenkrupp aus Ihrer Sicht – ein Stahlhersteller oder ein Technologiekonzern?

Speich: Genau das ist der Punkt. Das Zielbild bei Thyssenkrupp ist nicht klar. Wohin will das Unternehmen? Frau Merz muss das Profil des Konzerns schärfen. Thyssenkrupp hat durchaus das Potenzial, erfolgreich zu sein. Dafür müssen aber die entscheidenden Probleme gelöst werden – insbesondere beim Stahl. Thyssenkrupp befindet sich seit vielen Jahren in der Defensive. Daher wirkt auch der Vorstand wie ein Getriebener. Es wird Zeit, dass Thyssenkrupp in die Offensive geht.