Essen. Kai Figge, einer der Gründer und Chefs der Bochumer IT-Sicherheitsfirma G Data, im Podcast: Russische Investorin Natalya Kaspersky steigt aus.
Die Bedrohungen im Cyber-Raum sind derzeit so groß wie nie. Zu dieser Einschätzung kommt das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) in seinem aktuellen Lagebericht. Das Bild der Behörde deckt sich mit den Erfahrungen, die Kai Figge, einer der Gründer und Chefs der Bochumer IT-Sicherheitsfirma G Data, macht. „Wir spüren ganz deutlich mehr Angriffe auf Unternehmen“, sagt Figge im Podcast „Die Wirtschaftsreporter“. Ob die angespannte Situation mit dem Ukraine-Krieg zu tun habe, könne er nicht sagen, klar sei aber: „Es gibt mehr Angriffe.“
Nach Darstellung von Figge ist es nicht die Frage, ob ein Unternehmen zur Zielscheibe von Hackern werde, sondern wann. „Es trifft jedes Unternehmen“, mahnt Figge, der zu den Pionieren seiner Branche gehört. Das Bochumer Unternehmen G Data hat nach eigenen Angaben im Jahr 1987 die weltweit erste Anti-Viren-Software entwickelt. Figge ist mit Andreas Lüning einer der beiden Gründer von G Data. Aus einer Garagen-Firma haben sie ein führendes deutsches IT-Sicherheits-Unternehmen aufgebaut.
Viele Betriebe seien trotz der wachsenden Risiken bisher kaum gewappnet im Kampf gegen kriminelle Hacker, gibt Figge zu bedenken. „Leider ist es in der Regel so, dass die Unternehmen in den allermeisten Fällen komplett unvorbereitet sind“, sagt Figge und hat dabei insbesondere Deutschlands Mittelstand im Blick. Das Ziel müsse sein, „den deutschen Mittelstand zu schützen“ und die Unternehmen „verteidigungsfähig zu machen“.
Viele Hackerangriffe stünden im Zusammenhang mit Erpressungen. Mit Hilfe von Schadprogrammen, sogenannter Ransomware, können Computersysteme verschlüsselt werden. Betroffene Unternehmen erhalten dann meist Lösegeldforderungen. Häufig stehe zwischenzeitlich der Betrieb still, was hohe Kosten verursache. Die Angreifer kämen häufig aus Russland, berichtet Figge. Er verweist auf eine unlängst vorgelegte Analyse, der zufolge im vergangenen Jahr rund 700 Millionen Dollar in Kryptowährung als Lösegeld gezahlt worden seien. Dreiviertel davon seien nach Russland geflossen. Russland könne demnach als „Marktführer“ im kriminellen Geschäft mit Ransomware und Erpressungsversuchen bezeichnet werden, sagt Figge. Der russische Staat mache es Hackern leicht, Angriffe auf ausländische Unternehmen zu starten.
„Die größte Sicherheitslücke sitzt vor dem Computer“
Um die Betriebe in Deutschland wehrhaft zu machen, müsste auch ein Bewusstsein für bestehende Risiken geschaffen werden, betont Figge. „Die größte Sicherheitslücke sitzt vor dem Computer“, sagt er. Die sogenannte Malware, die eine Erpressung ermögliche, komme beispielsweise in Unternehmen, wenn in Buchhaltungen vermeintliche Rechnungen oder in Personalabteilungen fingierte Bewerbungen angeklickt würden. Danach dauere es oft rund 200 Tage, bis ein Unternehmen einen Angriff bemerke. Figge fordert die Betriebe dazu auf, Notfallpläne zu entwickeln und Hackerangriffe zu simulieren, um Schwachstellen aufzuspüren.
Der Krieg von Russland gegen die Ukraine hat auch Auswirkungen auf den Eigentümerkreis von G Data. Die russische Unternehmerin Natalya Kaspersky, die vor mehr als zehn Jahren bei der Bochumer Firma eingestiegen ist, tritt nach Darstellung von Figge den Rückzug an. Nach Kriegsbeginn habe sie bereits ihr Aufsichtsratsmandat bei G Data niedergelegt. Auch von ihrem 17-Prozent-Aktienpaket wolle sie sich trennen. Auf das operative Geschäft der Bochumer IT-Sicherheitsfirma habe die russische Unternehmerin als Finanzinvestorin ohnehin keinen Einfluss gehabt, betont Figge, der mit seinem Gründer-Partner Lüning nach eigenen Angaben gemeinsam die Mehrheit im Unternehmen hält.
Im Wettbewerb um Fachkräfte für IT-Sicherheit habe das Ruhrgebiet viel zu bieten. „Es gibt weltweit keinen besseren Standort für IT-Sicherheit als Bochum“, sagt Figge. Eine besondere Rolle spiele dabei das Horst-
Görtz-Institut. Mit dem HGI gebe es eine exzellente Ausbildungsstätte für IT-Security in Bochum. Das sei auch den Headhunter von Branchengrößen wie Google und Facebook bekannt, die versuchten, in Bochum Fachkräfte zu rekrutieren. Im Umfeld des Instituts hätten sich zudem starke Unternehmen angesiedelt – die Bosch-Tochter Escrypt zum Beispiel und Volkswagen Infotainment, eine VW-Tochterfirma, die sich innerhalb des Konzerns mit IT-Themen befasst. Talente für sich gewinnen zu können, sei wichtig für G Data, erklärt Figge. Von den rund 550 Mitarbeitenden seien etwa 220 in den Bereichen Forschung und Entwicklung beschäftigt.
G Data-Gründer Figge rät Deutschland und Europa, mehr Eigenständigkeit in der digitalen Welt zu entwickeln. Es sei zu beobachten, dass China und Russland nach mehr Souveränität im digitalen Raum streben – durch eigene Technologien und Plattformen. Damit seien diese Länder Europa „weit voraus“, gibt Figge zu bedenken. „Das haben wir in Europa nicht geschafft. Wir sind hier fast zu 100 Prozent abhängig von amerikanischer Technologie, von amerikanischen Unternehmen.“ Deutschland und Europa agierten bisher hilflos. Zugespitzt spricht Figge von einem „digitalen Bankrott“. Dabei gebe es viel Technologie in Europa. Mit Blick auf einen möglichen Neustart bezeichnet Figge das Modell des europäischen Konzerns Airbus als Vorbild. Es habe einmal die Meinung vorgeherrscht, nur die Amerikaner könnten große Passagierflugzeuge bauen. Mit Airbus sei dies widerlegt worden.