Hagen. Online-Lieferdienste liegen im Trend, sind in der Region aber Fluch und Segen. Ein Siegener Gastronom kritisiert die Plattform Lieferando scharf.
Er wollte sich nicht aufregen, nicht im Urlaub. Tat Hüseyin Fidan dann doch. Minutenlang klagte der Gastronom aus Siegenam Telefon über Lieferando und die „ganz bösen Sachen“, für welche die Essens-Bestellplattform verantwortlich sei. „Sie“, urteilt Fidan, „machen uns das Leben extrem schwer.“ Ohne Dienste wie Lieferando, und das ist nicht nur Fidans Dilemma, geht es allerdings heutzutage kaum noch. Fidan sagt nämlich auch: „Wir sind abhängig von Lieferando.“
Online-Bestellungen auch von Essen liegen im Trend, und die Corona-Pandemie mit ihren Lockdowns und Restaurantschließungen hat dies noch verstärkt. „Die Pandemie hat uns gezeigt, dass alle liefern müssen“, sagt Fidan. Wie das aber bei Veränderungen oft ist, bringt das einige Schwierigkeiten mit sich. Insbesondere im ländlichen Raum haben Essens-Lieferungen so ihre Tücken.
Keine Lieferung durch Lieferando auf dem Land
Viele, vor allem kleinere gastronomische Betriebe wie Imbisse, haben keine eigene Webseite oder bieten auf dieser keine Bestell- und Bezahlmöglichkeiten an. Manchmal ist sogar nicht mal die Speisekarte im Internet abrufbar. Auch die Auslieferung des Essens stellt viele vor Probleme. Wer fährt das Essen aus? Zum anderen können auch die auf dem Land größeren Distanzen problematisch werden. Weite Fahrstrecken lohnen sich wirtschaftlich nicht, gerade bei Einzellieferungen. Das Zusammenfassen mehrerer Bestellungen kann dafür zu Verspätungen führen und das Essen kalt werden lassen.
Hier kommen Lieferdienste wie Lieferando ins Spiel – zumindest in der Theorie: Lieferando ist ein bundesweit verfügbarer und bekannter Online-Marktplatz. Über die Webseite oder die App kann der Nutzer nachschauen, welche Restaurants in seiner Nähe Online-Bestellungen annehmen. Lieferando digitalisiert die Speisekarten, leitet die Essensbestellungen an die Gastro-Betriebe weiter, wickelt auch die Bezahlung ab, bietet den teilnehmenden Restaurants Vermittlung, Werbung, Sichtbarkeit und Auffindbarkeit. Das alles gegen eine Provision von in der Regel 14 Prozent einer jeden Bestellung.
In 60 Städten bietet der Marktführer zudem – bei einer Provision von dann 30 Prozent – auch die Auslieferung des online bestellten Essens an. Allerdings nicht im ländlichen Raum. „Gerade auf dem Land liefern Restaurants selbst aus“, sagt Lieferando-Sprecher Oliver Klug. Deshalb ist der Dienst in der Region nur teilweise hilfreich.
Ohne Lieferservice „geht es heutzutage nicht mehr“
Fidan, der in Siegen Restaurant und Lieferservice (Casa’s Pizza) betreibt, setzt laut eigener Aussage 28 Mitarbeiter im Monat ganz oder zum Teil als Fahrer für die Auslieferung des bestellten Essens ein. Von morgens 11 Uhr bis abends 11 Uhr, erklärt er.
Der Unternehmer – der zusätzlich zu Lieferando eine eigene Webseite und App mit Bestell- und Bezahlfunktion unterhält – liefert bei einem Mindestbestellwert ab 6,90 Euro aus. Hinzu komme eine Liefergebühr von 1,90 Euro. Seine Lieferkosten beziffert er auf im Schnitt 5,50 Euro. Er klingt nicht, als sei er damit glücklich, stellt den Lieferservice aber nicht ein. „Es geht heutzutage nicht mehr ohne“, sagt der 55-Jährige.
Scharfe Kritik an Lieferando
Dieses grundsätzliche Problem, dem viele Gastro-Betriebe in der Region dadurch begegnen, dass sie das – häufig telefonisch bestellte – Essen klassisch durch die Kunden abholen lassen, hat wenig mit Fidans eingangs erwähnter scharfer Kritik an Lieferando zu tun. Die richtet sich vielmehr gegen das Geschäftsgebaren des Marktführers, den Fidan als „Monopolist“ bezeichnet, weil Lieferando in den vergangenen Jahren Konkurrenten übernommen habe, etwa Lieferheld.
Fidan wirft dem Platzhirsch vor, auf Google mit dem Namen seiner Firma zu werben. Auch nehme Lieferando 14 Provision netto von seinem Brutto-Umsatz; „normal“ fände er, wenn die Provision von seinem Netto-Umsatz einbehalten würde, während Lieferando die Höhe der Provision „marktüblich“ nennt, „ebenso wie die Art ihrer Berechnung“.
Fidan beklagt, dass bei großen Ketten negative Kundenbewertungen „auf einmal verschwinden“ würden. Zudem bekämen die Großen von Lieferando bessere Konditionen. Das sei „eine Riesenschweinerei“. Er nennt als Beispiel, dass Nachtisch und Getränke bei ihm nicht zum Mindestbestellwert gerechnet werden dürften. Bei großen Ketten erlaube Lieferando dies jedoch. „Das ist Wettbewerbsverzerrung. Wenn ich Lieferando darauf anspreche, sagen die mir, ich hätte ja die Möglichkeit zu kündigen. Aber was soll ich machen? Soll ich auf 1000 Euro Umsatz pro Tag verzichten?“, bemerkt er.
Lieferando: Mehr als 130.000 Euro Jahreserlös pro Restaurant
Auch hätte Lieferando seine Webseite „geklont“ – ohne seine Erlaubnis und sein Wissen. Dazu erklärt Lieferando, dass man allen teilnehmenden Restaurants, von denen viele keine eigene Webseite unterhielten, die Einrichtung einer Internetpräsenz anbiete, sogenannte Mini-Sites. Diese erhöhten die Chancen der Restaurants, gefunden zu werden (etwa über Suchmaschinen), und seien ein optionaler Zusatzservice, ohne Mehrkosten, jederzeit abschaltbar.
Im Übrigen vermittele man den teilnehmenden Gastronomen, von denen gerade die kleineren von Lieferandos Service, Bekanntheit und Werbung profitierten, im Durchschnitt Jahreserlöse in Höhe von mehr als 130.000 Euro pro Restaurant, nach Abzug der Provision. Es gebe keine Aufnahmegebühr oder Grundgebühr. „Schon deshalb geht es Lieferando nur so gut wie seinen Restaurantpartnern“, betont das Unternehmen.
Zwischen Partnerschaft und Abhängigkeit
Partner – davon möchte Fidan aus beschriebenen Gründen nicht sprechen. Möglicherweise ist es daher in der Region mit Lieferservice im Allgemeinen und Marktführer Lieferando im Speziellen so, wie es Fidan beschreibt: Sie sind Fluch und Segen zugleich.
„Ich nutze Lieferando, die bringen mir auch neue Kunden, die ich sonst gar nicht erreiche“, erklärt der Gastronom aus Siegen einerseits. Andererseits „können wir nicht mehr ohne Lieferando, dafür ist die Seite zu stark beworben.“