Anröchte. Marc Mues, Landwirt in Anröchte möchte auf 20 Hektar Auslauffläche für Hühner Solarmodule bauen. Eine verstaubte EU-Verordnung verhindert das.
Europa, die Regierungen im Bund und dem Land Nordrhein-Westfalen sowieso – alle haben sich die Klimawende auf die Fahnen geschrieben. Dass ein Umstieg auf Erneuerbare Energientatsächlich langsamer als möglich vorankommt, hat viel mit bürokratischen Hürden und Stolperfallen zu tun, die beinahe absurd anmuten.
Was Marc Mues vorhat, erscheint so simpel wie sinnvoll. Der Landwirt aus Anröchte ist Herr über rund 65.000 Hühner, die – keine Sorge – nicht alle bis zum Umfallen eng nebeneinander auf der Stange sitzen müssen. Freilandhaltung, sowieso. Rund 9000 Tiere leben sogar ein Bioleben.
Im Auslauf unterscheidet sich das kein bisschen, allein beim Futter, erklärt der Fachmann. „Jedes Huhn muss vier Quadratmeter Lauffläche haben“, sagt Mues mit Verweis auf eine europäische Vermarktungsnorm für Eier aus dem Jahr 2007.
Doppelvermarktung verboten
Weites Land rund um die Hühnerställe gibt es bei Mues in Anröchte reichlich, alles in allem rund 20 Hektar. Weil eine alte EU-Verordnung aus 2007 zudem vorschreibt, dass die Hühner bei ihrem Freilauf nicht auf ödem Boden spazieren sollen, ist Vegetation erwünscht. Allerdings nur zur Zierde, hat Mues, der Weihnachtsbäume vermarktet und auf der Freilauffläche angebaut hat, feststellen müssen. Die EU untersagt grundsätzlich eine Doppelnutzung der Hühner-Auslauffläche.
Jetzt stehen in Anröchte Tannen mit gekappten Spitzen, damit kein Geschäft mehr mit den Bäumen zu machen ist. Den Hühnern bieten sie nun Schutz vor Sonne und Greifvögeln. So schreibt es die EU auch vor. Sogar Unterstände müssen nachgewiesen werden.
Geradezu ideal geeignet dazu sind aus Mues’ Sicht aufgeständerte Photovoltaikmodule, bieten sie doch den aus Brüssel geforderten Hühnerschutz und dienen gleichzeitig dem Ausbau der Erneuerbaren Energien, der auch von der EU – „fit for 55“ – gewünscht wird. Stünde nur nicht die Eiervermarktungsverordnung im Weg.
Von Zeit zu Zeit werden Verordnungen unter die Lupe genommen. Die Eierverordnung soll im kommenden Jahr auf den Prüfstand. „Ich hoffe, dass der Ausschluss von Doppelnutzung der Fläche bei konventioneller Freilandhaltung dann fällt und wir hier doch noch mit Agri-PV beginnen können“, sagt der Anröchter Landwirt.
Andernfalls werde komplett auf Bio umgestellt. Was das in Sachen Energieerzeugung über den Hühnerköpfen brächte, erklärt sich, wenn auch nicht schnell. Ob Biohuhn oder konventionelles, bei den Freilaufflächen unterscheiden sie sich nicht. Allerdings gibt es für Bio-Eier eine eigene, offenkundig nicht ganz so antiquierte Vermarktungsnorm. Die Bio-Verordnung lässt minimalen Spielraum, wie das Landesamt für Natur, Umwelt und Verbraucherschutz (Lanuv) NRW feststellte – zwar erst im zweiten Anlauf, nachdem sie vom scheidenden Arnsberger Regierungspräsidenten Hans-Josef Vogel einen entsprechenden Wink bekamen, aber immerhin. In der Öko-Eier-Novelle aus 2018 heißt es im besten Bürokratensprech, dass „ … Energien und Ressourcen verantwortungsvoll genutzt werden sollten…“. Kurzum: Auf der vier Hektar großen Auslauffläche von Mues’ Biohühnern steht nach dem grünen Licht aus dem Lanuv an die zuständige Anröchter Verwaltung und einem entsprechenden Beschluss des Gemeinderats der Doppelnutzung mit PV nichts mehr im Weg.
Diesen Gemeinderatsbeschluss habe es gebraucht, um im großen Stil Agri-PV zu ermöglichen. „Einstimmig“, betont der parteilose Bürgermeister Alfred Schmidt, sei das Votum ausgefallen. Die 11.000-Seelen-Gemeinde Anröchte möchte die Energiewende und die Interessen des alt eingesessenen Landwirts Mues nicht durchkreuzen. Am liebsten hätten sie für die Zukunft aber gerne Klarheit, was genehmigt werden darf. „Für mich liegt es auf der Hand, dass man solche Flächen so weiterentwickelt. Jetzt bekommen wir allerdings zahlreiche Agri-PV-Anträge und brauchen verlässliche Vorgaben“, fordert Schmidt von der Politik im Land, beim Bund und wenn es sein muss auch in Brüssel eine klare Linie für diese Art Ausbau der Erneuerbaren Energien.
20 Millionen Euro Invest
Marc Mues möchte PV-Module mit bis zu 20 Megawatt Leistung bauen lassen, ein Megawatt pro Hektar. Für die vier Hektar Bio-Fläche, die demnächst bebaut werden sollen, hat er einen Antrag auf Netzanschluss bei Westnetz bereits gestellt. Zwei Projektierer stehen gerade im Wettstreit um die Umsetzung.
Den Strom müsste Mues dann vermarkten. Aktuell wäre das ein sehr gutes Geschäft, denn er bekäme für jede Kilowattstunde 30 bis 40 Eurocent – mehr als für ein Ei. Aktuelle Prognose an der Leipziger Börse für 2023: Tendenz stark steigend auf über 60 Eurocent.
Die 20 Millionen Investition für eine 20 Hektar-PV-Anlage wäre also für alle ein Gewinn. Für Mues sowieso, für die Gemeinde, deren Steuerzahler Familie Mues seit rund 250 Jahren ist, sicher auch – und nicht zuletzt für mehr Unabhängigkeit in der Energiefrage.
Den Bürokratie-Dschungel durchforsten (zu lassen), der hier und da zu lange Schatten auf einen möglichst schnellen Ausbau Erneuerbarer Energien wirft, wäre also sicher eine honorige wie sinnvolle Aufgabe für NRW-Wirtschafts- und Klimaministerin Mona Neubaur und ihr Pendant im Bund, Robert Habeck. Und nicht zuletzt für die EU-Kommission um die deutsche Chefin Ursula von der Leyen.
Baugesetz ändern
Der Landesverband Erneuerbare Energien (LEE) fordert den Abbau von Hürden für Agri-PV-Anlagen. Unabhängig von der Frage, welchen Beitrag sie zum Umsatz eines landwirtschaftlichen Betriebes durch die Stromerzeugung erwirtschaften, müssten sie als der landwirtschaftlichen Nutzung dienende Anlagen im Baugesetzbuch
§ 35 aufgenommen und in vollem Umfang privilegiert werden, um Genehmigungsprozesse zu beschleunigen.