Essen. Gerät der Westen in einen Handelsstreit mit China, hat in NRW vor allem die Metallindustrie ein Problem. Das sagen Arbeitgeber und IG Metall.

Die Zeiten sind eigentlich hart genug. Seit fast zwei Jahren bremsen unterbrochene Lieferketten die Produktion in Deutschland, Putins Krieg in der Ukraine hat den Handel mit Russland auf Eis gelegt und lässt die Energiepreise explodieren. Doch während die heimische Industrie das alles bisher mehr oder weniger gut verkraftet, droht in Ostasien schon die nächste Zäsur, deren Folgen alles bisherige in den Schatten stellen könnte. Die Wirtschaft blickt mit Sorge auf Chinas Militärmanöver vor Taiwan.

Sollte China Taiwan angreifen und die westliche Welt darauf mit Handelsbeschränkungen reagieren, träfe das in NRW vor allem die exportstarke Metall- und Elektroindustrie. Denn China ist ihr größter Kunde und mit riesigem Abstand der wichtigste Lieferant von Teilen, elektronischen Komponenten und Vorprodukten. Entsprechend besorgt äußerten sich Arbeitgeber und IG Metall auf Anfrage unserer Redaktion. Trotzdem warnen Arbeitgeberpräsident Arndt Kirchhoff und IG-Metall-Landeschef Knut Giesler nicht jetzt schon vor Sanktionen, sondern setzen auf neue Handelsabkommen in Fernost und ein Signal der Stärke des Westens gegenüber China.

Kirchhoff: China erschwert bereits den Handel mit uns

Einen Vorgeschmack auf stockenden Handel mit dem Riesenreich hat die hiesige Wirtschaft schon bekommen: „Wir haben zuletzt durch Corona erlebt, wie sehr Lieferströme durch Betriebsschließungen und Stilllegungen der großen Häfen in China beeinträchtigt wurden“, sagt Metall-NRW-Präsident Kirchhoff. China habe zuletzt bereits einen restriktiveren Kurs gefahren, auf mehr Autonomie gesetzt „und damit den Handel zwischen unseren Ländern erschwert“, klagt er, „zusätzliche Handelsbeschränkungen würden diese Entwicklung noch deutlich beschleunigen“.

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Laut einer Auswertung von Daten des Landestatistikamtes durch Metall NRW exportierte die größte Industriebranche 2021 Produkte im Wert von 7,9 Milliarden Euro nach China, mehr als in jedes andere Land. Es folgen die USA (7,7 Milliarden Euro) und Frankreich (7,5 Milliarden Euro). Noch größer ist die Bedeutung Chinas als Lieferant: Aus der Volksrepublik importierten die Metall- und Elektrobetriebe in NRW Produkte für 23,7 Milliarden Euro, schon der zweitgrößte Lieferant Niederlande kommt nur auf sechs Milliarden.

IG Metall befürchtet Druck auf Arbeitsplätze

„Handelsbeschränkungen würden den Druck auf die Branche und ihre Arbeitsplätze erhöhen und hätten wahrscheinlich erhebliche Auswirkungen“, warnt Knut Giesler, Chef der IG Metall in NRW. Er gibt sich aber trotzig und sähe durch eine Abkehr von China mittelfristig „auch Chancen für eine Regionalisierung der Wertschöpfungsketten“. Es sei klug, jetzt „Absatzmärkte in Europa zu sichern und auszubauen“. Das hätten die Unternehmen durch Corona und den Ukraine-Krieg aber schon selbst erkannt.

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Weder Gewerkschaft noch Arbeitgeber wollen Handelsbeschränkungen um jeden Preis von der Bundesregierung verhindert wissen. Kirchhof sagt selbstbewusst: „Wir erleben einen grundsätzlichen Konflikt zwischen Autokratien und Demokratien mit immensen Herausforderungen auch für die Politik. Hier können wir nur bestehen, wenn die Demokratien dieser Welt zusammenstehen und nicht nur moralisch, sondern insbesondere auch wirtschaftlich Stärke zeigen.“

Metall NRW: Auch China hat viel zu verlieren

Auch IG-Metall-Chef Giesler betont, Deutschland und Europa müssten sich „mit ihren demokratischen Grundwerten und ihrem Wirtschafts- und Gesellschaftsmodell behaupten“. Das solle „sehr viel stärker der Maßstab politischen und wirtschaftlichen Handelns gegenüber Ländern werden, die internationales Recht oder Menschenrechte missachten“.

Kirchhoff schickt mit Blick auf den Taiwan-Konflikt noch eine Warnung an Peking hinterher: „Die Chinesen sind auch auf Exporte nach und auf gute Handelsbeziehungen mit Europa angewiesen. Das sollten sie nicht aufs Spiel setzen. Auch China hat viel zu verlieren.“

Neue Handelsabkommen mit Südostasien gefordert

Der Chef des gleichnamigen Autozulieferers betont, die NRW-Industrie sei auf offene Märkte angewiesen. Er fordert von der Bundesregierung, neue Handelsabkommen im indopazifischen Raum abzuschließen. Damit sollten Europäer am besten mit den Amerikanern zusammen China gegenüber Stärke demonstrieren und den Menschen vor Ort zeigen, dass es ihnen im freiheitlich-demokratischen Wirtschaftssystem westlicher Investoren besser geht. Großen Nachholbedarf sieht er auch in Afrika, wo der Westen den Chinesen Lücken gelassen habe. „In die sind sie hineingestoßen, aber nicht unbedingt zum Wohl dieser Länder“, so Kirchhoff.

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China war in den vergangenen Jahrzehnten Mittelpunkt der Globalisierung und ihr wohl größter Gewinner. Der Markt von 1,2 Milliarden Menschen lockte fast alle großen deutschen Industrieunternehmen ins Reich der Mitte, obwohl sie dort nur mit chinesischen Partnern und unter allerlei staatlichen Auflagen produzieren dürfen. 2021 hat die Regierung in Peking dann mit ihrem neuen Fünf-Jahres-Plan noch strengere Regulierungen und das Ziel angekündigt, sich unabhängiger von westlichen Investoren zu machen. Schon das sorgte für große Unruhe in der deutschen Industrie.

Unternehmen werden wieder mehr Teile einlagern

„Wir sind nach China gegangen, haben Technologie transferiert und den Leuten Arbeit gegeben“, sagt Kirchhoff nicht ohne verärgerten Unterton, der Westen habe entscheidend dazu beigetragen, „dass China in den vergangenen 30 Jahren 700 bis 800 Millionen Menschen aus der Armut holen konnte.“ Ob die NRW-Unternehmen sich nun um neue Handelspartner bemühen sollten? „Wir erleben ja schon seit einigen Jahren, wie verletzlich unsere Lieferketten sind. Sie müssen wieder viel robuster werden. Deswegen müssen wir unsere globalen Zulieferungen auf ein breiteres Fundament stellen. Dann sind wir auch bei politischen Interventionen einzelner Staaten resistenter.“

Zudem werde es einen Trend zurück zu mehr Lagerung geben, glaubt Kirchhoff: „Ich gehe davon aus, dass sich die Bevorratungs- und Beschaffungsstrategien in allen Branchen ändern werden.“ Der große Nachteil der global organisierten Just-in-time-Logistik ist während der Pandemie mehr als deutlich geworden: Fehlt irgendwo ein Teil, stockt deshalb anderswo die Produktion eines anderen Teils, brechen weltweite Lieferketten sehr schnell in sich zusammen.