Duisburg. Bei Thyssenkrupp Steel beklagt Gesamtbetriebsratschef Nasikkol „Funkstille“ zu Ministerpräsident Wüst – und ruft nach einem Stahlgipfel.
Tekin Nasikkol macht keinen Hehl aus seiner Enttäuschung. Seit dem „Stahl-Aktionstag“ Ende Oktober vergangenen Jahres habe er keinen Kontakt mehr zu Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) gehabt, erzählt der Gesamtbetriebsratschef von Deutschlands größtem Stahlkonzern Thyssenkrupp Steel. Es habe „Funkstille“ geherrscht, berichtet Nasikkol am Tag nach der Landtagswahl vor Journalisten in den Räumen des Betriebsrats neben der Duisburger Konzernzentrale. SPD-Spitzenkandidat Thomas Kutschaty hingegen sei in den vergangenen Monaten mehrmals auf dem Werksgelände gewesen. Ein ähnliches Gespräch mit Wüst habe es nicht gegeben. „Aber vielleicht kommt ja das Angebot noch“, sagt Nasikkol.
Wüsts überraschender Auftritt vor Stahlarbeitern beim Aktionstag der IG Metall im vergangenen Jahr war der erste offizielle Termin des CDU-Politikers als Chef der Landesregierung und Nachfolger von Armin Laschet, was IG Metall-Bezirksleiter Knut Giesler seinerzeit als „tolles Zeichen“ wertete.
Nasikkol indes macht nun nach der Wahl klar, dass er sich von der NRW-Landesregierung mehr Einsatz für die Stahlindustrie erhofft hätte. Er reiche nicht aus, „Sonntagsreden“ zu halten oder „Lippenbekenntnisse“ abzulegen. „Jetzt muss gehandelt werden“, sagt Nasikkol, der frisch im Amt als Gesamtbetriebsratschef bestätigt worden ist. Erstmals nach mehr als zwei Jahren versammelten sich laut Betriebsrat rund 3000 Beschäftigte von Thyssenkrupp Steel am Duisburger Stahlstandort zu einer Betriebsversammlung in Präsenz.
Hoffnungsträgerin Mona Neubaur
Vom zukünftigen Ministerpräsidenten erwarte er, dass dieser einen „Stahlgipfel“ anberaume und „alle relevanten politischen und wirtschaftlichen Akteure“ an einen Tisch bringe. „Pionierhaftes Denken“ und mutige Entscheidungen seien nun gefragt, sagt Nasikkol. Hoffnungen setzt er auch in Mona Neubaur, die Chefin der NRW-Grünen, die unlängst Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck bei einem Besuch auf dem Stahlstandort Duisburg begleitet hat.
Obwohl die Zeit dränge, habe Thyssenkrupp nach wie vor keine Klarheit darüber, wie und wann das Unternehmen staatliche Fördermittel zum Aufbau einer klimaneutralen Stahlproduktion erhalte. Der Betriebsrat hofft, dass der Staat etwa die Hälfte der Investitionskosten für den Bau einer neuen Anlage der Hochofen-Nachfolgetechnologie übernimmt. Von insgesamt rund einer Milliarde Euro ist die Rede, wenn es um den Neubau der sogenannten Direktreduktionsanlage geht. Für Thyssenkrupp Steel sei es schon schwer genug, 500 Millionen Euro für die Investition selbst zu erwirtschaften, sagt Nasikkol.
Er warnt die EU-Kommission daher davor, den Stahlunternehmen Kapital zu entziehen, indem die Zertifikate zum Ausstoß des Klimagases Kohlendioxid (CO2) verteuert werden. Stahlkonzerne, die den Aufbau einer klimaneutralen Produktion auf den Weg bringen, sollten nach Ansicht von Nasikkol nicht zusätzlich belastet werden. „Die Dekarbonisierung darf nicht zu Deindustrialisierung führen“, sagt er.
Künftig will Thyssenkrupp den Stahl auf Basis von Wasserstoff statt Kohle herstellen. Für eine Übergangsphase, in der nicht ausreichend Wasserstoff zur Verfügung steht, ist der Konzern allerdings auf Erdgas angewiesen. Bezahlbare Gaspreise und eine sichere Versorgung sind angesichts des Krieges von Russland gegen die Ukraine allerdings keine Selbstverständlichkeit.
Nasikkol fordert Investitionsentscheidung bis zum Sommer
Nasikkol fordert vom Konzernvorstand, noch bis zum Sommer eine Investitionsentscheidung für den Bau der neuen Direktreduktionsanlage zu treffen. Thyssenkrupp-Finanzchef Klaus Keysberg erklärte vor wenigen Tagen, noch bis zum Jahr 2025 könne der Hochofen 9 in Duisburg weiter betrieben werden, dann solle er durch die neue grüne Technologie abgelöst werden. Den Umstieg auf die neue Technologie bezeichnet Keysberg als „alternativlos“ und fordert grünes Licht der EU-Kommission für die erhoffte staatliche Förderung in Millionenhöhe.
Der Betriebsrat von Thyssenkrupp Steel warnt davor, dass Deutschlands Stahlindustrie abhängt werden könnte. Die vergleichsweise junge Firma H2GS will in Nordschweden eine umweltfreundliche Stahlproduktion in großem Maßstab aufbauen. H2GS plant, fünf Millionen Tonnen Stahl annähernd klimaneutral bis zum Jahr 2030 zu produzieren. Zum Vergleich: Deutschlands Branchenprimus Thyssenkrupp Steel stellt jährlich etwa elf Millionen Tonnen Rohstahl her. Ab 2030 will Thyssenkrupp pro Jahr rund drei Millionen Tonnen CO2-neutralen Stahl produzieren. Duisburg ist derzeit Europas größter Stahlstandort. Deutschland dürfe nicht einfach dabei zuschauen, „wie andere Länder auf der grünen Wiese ein Stahlwerk bauen wollen“, sagt Nasikkol.