Essen. Neue Sorgen um Thyssenkrupp: Der Umbau der Stahlwerke wird laut IG Metall teurer als gedacht. Aufsichtsrats-Vize nennt die Lage „hochgefährlich“.
Schon wieder schlechte Nachrichten für Thyssenkrupp: Der geplante Umbau des Stahlstandorts Duisburg wird nach Darstellung der IG Metall teurer als bisher geplant. Der Finanzbedarf sei von 2,5 Milliarden Euro auf 3,2 Milliarden Euro gestiegen, erklärt die Gewerkschaft in einem am Montag (28. März) veröffentlichten Schreiben an die Beschäftigten von Thyssenkrupp Steel. „Stahl braucht Geld. Und zwar mehr, als wir erwartet haben“, sagt der frühere IG Metall-Chef Detlef Wetzel, der stellvertretender Aufsichtsratsvorsitzender des Unternehmens ist. „Der Finanzbedarf ist gestiegen, weil die Transformation teurer wird als erwartet. Außerdem drücken die Folgen des Ukraine-Kriegs auf die Zahlen.“ Wetzel bezeichnet die aktuelle Situation des Unternehmens als „hochgefährlich“.
Thyssenkrupp strebt an, Stahl in Zukunft ohne klimaschädliche Hochöfen zu produzieren. Dafür ist der Bau neuer Anlagen erforderlich, die den Standort Duisburg für Jahrzehnte prägen könnten. Bis spätestens 2026 soll die erste sogenannte Direktreduktionsanlage stehen, bei der Wasserstoff statt Kohle zum Einsatz kommen soll. Im Jahr 2030 soll eine weitere der rund 150 Meter hohen Anlagen hinzukommen. So will Deutschlands größter Stahlkonzern den Ausstoß des Klimagases Kohlendioxid (CO2) um 30 Prozent reduzieren.
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Die IG Metall fordert den von Martina Merz geführten Mutterkonzern Thyssenkrupp auf, die notwendigen finanziellen Mittel für einen Umbau des Stahlstandorts trotz der Krise infolge des Ukraine-Kriegs bereitzustellen. Eindringlich warnt Wetzel davor, Thyssenkrupp Steel drohe im Wettbewerb mit anderen Stahlherstellern abgehängt zu werden. „Wir können nicht warten“, mahnt Wetzel. „Wenn wir warten, ist es irgendwann zu spät.“
Konzernchefin Merz bereitet Belegschaft auf harte Zeiten vor
Thyssenkrupp-Chefin Merz hat die Belegschaft des Konzerns vor wenigen Tagen wegen des Ukraine-Kriegs auf harte Zeiten vorbereitet. Ausgaben würden nun „auf den Prüfstand“ gestellt. Pläne für eine Verselbstständigung der Stahlsparte legte die Managerin ebenfalls erstmal auf Eis.
Um den Finanzbedarf von Thyssenkrupp zu ermitteln, haben die Arbeitnehmervertreter dem Vernehmen nach die Unternehmensberatung Roland Berger beauftragt. Untersucht werden sollte dabei, wie viel Geld für Thyssenkrupp Steel im Falle einer Verselbstständigung notwendig ist. Dabei seien eine Reihe von Daten und Annahmen in die Berechnungen eingeflossen – unter anderem zu Rohstoff- und CO2-Preisen sowie zu potenziellen Erlösen aus der Stahlerzeugung. Auch eine staatliche Förderung von Investitionen und laufenden Kosten sei bereits eingepreist worden. Das Ergebnis von einem auf 3,2 Milliarden Euro gestiegen Finanzbedarf habe schon vor Ausbruch des Krieges in der Ukraine auf dem Tisch gelegen. Mit der aktuellen Krise könnte sich die Lage noch einmal verschlechtert haben.
In ihrem Schreiben an die Belegschaft betonen die Arbeitnehmervertreter, IG Metall und Betriebsrat hätten immer gesagt, sie könnten sich eine Verselbstständigung von Thyssenkrupp Steel unter bestimmten Umständen vorstellen, ebenso einen Verbleib im Konzern. Entscheidend sei die Frage der Finanzen. Nur wenn die Stahlsparte mit ihren rund 26.000 Beschäftigten genügend Kapital erhalte, habe das Geschäft eine Zukunft. Wetzel fordert Klarheit vom Thyssenkrupp-Vorstand. „Es gibt keinen Plan für die Zukunft von Stahl. Wir verlangen vom Vorstand, dass er ein alternatives Konzept vorlegt“, sagt Wetzel. „Er muss die Frage beantworten, wo das Geld herkommt, das wir jetzt brauchen.“
Auch Tekin Nasikkol, Gesamtbetriebsratschef von Thyssenkrupp Steel, betont, „es wäre fatal, jetzt wichtige Entscheidungen für die Zukunft unserer Stahlstandorte zu verschieben, weil mit dem Ukraine-Krieg auch andere Themen im Fokus stehen“.
Hoffen auf finanzielle Unterstützung vom Staat
Finanzielle Unterstützung für den anstehenden Umbau der Stahlwerke erhoffen sich Vorstand und Arbeitnehmervertreter auch vom Staat. „Der Staat ist gefragt, ganz klar“, sagt Wetzel dazu. „Eines muss man allerdings auch klar erkennen: Der Staat wird nur Geld zuschießen, wenn der Konzern vorher alle Hebel in Bewegung gesetzt hat und sich seiner Verantwortung stellt. Der Ball liegt also eindeutig im Feld der Anteilseigner. Erst wenn die Aktionäre ihren Teil geleistet haben, wird auch der Staat zur Zahlung von Hilfen bereit sein.“
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Nach einer ersten Investitionsphase bis zum Jahr 2030 plant Thyssenkrupp Steel bis 2045 einen weiteren Umbau, der nach Angaben von Vorstandschef Bernhard Osburg derzeitigen Berechnungen zufolge Investitionen in Höhe von sieben Milliarden Euro erfordert.
Die Stahlindustrie gehört derzeit zu den größten Verursachern von klimaschädlichem Kohlendioxid. Allein aus den Hochöfen von Thyssenkrupp stammen Unternehmensangaben zufolge rund 2,5 Prozent des bundesweiten Kohlendioxid-Ausstoßes. Deutschlands Branchenprimus Thyssenkrupp Steel stellt jährlich etwa elf Millionen Tonnen Rohstahl her. Ab 2030 will Thyssenkrupp pro Jahr rund drei Millionen Tonnen CO2-neutralen Stahl produzieren.
IG Metall: „Wenn Geld gebraucht wird, sind die Aktionäre gefragt“
Der seit Jahren angeschlagene Konzern gerät wegen des Ukraine-Krieges massiv unter Druck. In einer Pflichtmitteilung von Thyssenkrupp für die Börse erklärte die Konzernleitung vor wenigen Tagen, das Unternehmen stelle sich auf negative Folgen für den Geschäftsverlauf angesichts der „weitreichenden gesamtwirtschaftlichen und geopolitischen Folgen des Kriegs“ ein. Seit Jahren schon hat Thyssenkrupp von der Substanz gelebt. Meist floss mehr Geld ab, als in die Kasse kam. Als wichtiges Etappenziel bezeichnete der Vorstand daher seit Monaten, einen ausgeglichenen Cashflow zu erzielen. Doch mit Blick auf dieses Ziel zeigt sich der Vorstand nun pessimistisch. Die Prognose zum Cashflow ist ausgesetzt.
Vor Beginn des Krieges in der Ukraine hatte Konzernchefin Merz noch Hoffnungen auf eine Dividende für die Aktionäre geschürt. „Es wird Zeit für eine Dividende“, sagte Volker Troche, Vorstand der Krupp-Stiftung, die größte Thyssenkrupp-Aktionärin ist, unlängst im Podcast „Die Wirtschaftsreporter“. Detlef Wetzel hingegen sieht die Anteilseigner in der Pflicht, wenn es nun um den Umbau der Werke geht. „Wenn Geld gebraucht wird, sind die Aktionäre gefragt. Das hören die natürlich nicht gerne, aber so ist das nun mal: Eigentum verpflichtet.“