Duisburg/Essen. Folgen des Ukraine-Kriegs belasten Thyssenkrupp: Für 17.000 Stahl-Beschäftigte gibt es nun Regeln für Kurzarbeit, um Stellenabbau zu verhindern.

Um Stellenabbau in den Stahlwerken von Thyssenkrupp angesichts des Ukraine-Kriegs zu vermeiden, setzt der Betriebsrat auf das Instrument Kurzarbeit. Tekin Nasikkol, Gesamtbetriebsratschef von Thyssenkrupp Steel, sagte im Gespräch mit unserer Redaktion, es sei mit dem Vorstand eine Einigung zum Thema Kurzarbeit erzielt worden, die am 25. März im Arbeitnehmergremium zur Entscheidung stehe. „Insgesamt werden die Kolleginnen und Kollegen, die von Kurzarbeit betroffen sind, sehr gut geschützt“, betonte Nasikkol. „Das ist ein wichtiges und richtiges Signal in diesen Zeiten. Ich wüsste nicht, wann es eine ähnlich gute Regelung aus Sicht der Beschäftigten gegeben hat.“

Das Ziel des Betriebsrats sei gewesen, die Einbußen der Beschäftigten so gering wie möglich zu halten. „Dies ist uns gelungen“, sagte Nasikkol. Kurzarbeit werde im April kommen, „aber nicht sofort“. Die geplante Vereinbarung sehe vor, dass das Kurzarbeitergeld vom Unternehmen in den ersten drei Monaten auf 85 Prozent des Gehalts aufgestockt werde, danach auf 90 Prozent. Zusätzlich sollen die Beschäftigten eine tägliche Pauschale erhalten. Die Pauschale soll bei zehn Euro in den ersten zehn Tagen und danach bei 15 Euro liegen. Die Vereinbarung gelte für rund 17.000 Beschäftigte von Thyssenkrupp Steel. Ausgenommen seien Tochterfirmen, darunter Electrical Steel in Gelsenkirchen sowie die Standorte Rasselstein und Hohenlimburg. Hier sollen Mitarbeitervertreter gegebenenfalls separat verhandeln.

„Kurzarbeit verhindert Arbeitslosigkeit, deswegen ist es ein gutes Instrument“, sagte Nasikkol. Bei Thyssenkrupp Steel läuft ein Programm zum Arbeitsplatzabbau, mit dem 3750 Stellen entfallen sollen. „Einen weiteren Personalabbau lehne ich ab“, fügte der Arbeitnehmervertreter hinzu. „Die Beschäftigungssicherung bis März 2026 ist nicht verhandelbar.“

Wie viele Beschäftigte bei Thyssenkrupp Steel in Kurzarbeit gehen, sei noch nicht klar, berichtete der Gesamtbetriebsratschef. „Die Prüfung läuft gerade. Aber sicher ist: Für alle die, die betroffen sind, gibt es jetzt eine gute Regelung.“ Auch die Frage, wie lange angesichts des Krieges in der Ukraine Kurzarbeit erforderlich sei, lasse sich „derzeit nicht seriös beantworten“.

„Jetzt sind wir wieder im Krisenmodus“

Nasikkol, der auch Mitglied des Aufsichtsrats von Thyssenkrupp ist, forderte Konzernchefin Martina Merz dazu auf, schnell Klarheit für die Stahlsparte mit ihren rund 26.000 Beschäftigten zu schaffen. „Wir haben uns trotz der Corona-Krise nicht unterkriegen lassen und waren auf einem wirklich guten Weg. Jetzt sind wir wieder im Krisenmodus“, beschrieb er die Stimmung im Unternehmen. „Da kommen in der Belegschaft Ängste und Sorgen hoch. Umso wichtiger ist, dass Frau Merz nun klarmacht, dass wir beim Umbau Kurs halten. Was nicht passieren darf: Dass nichts passiert.“

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Der Arbeitnehmervertreter forderte von Vorstandschefin Merz eine Zusage dafür, dass an den milliardenschweren Plänen für den Aufbau einer klimaneutralen Stahlproduktion nicht gerüttelt werde. „Noch in diesem Jahr muss die Investitionsentscheidung für die Direktreduktionsanlage kommen, damit die Anlage wie geplant 2025 in Betrieb gehen kann“, sagte Nasikkol. „Wir erwarten, dass sich Frau Merz zu diesem Zeitplan bekennt. Frau Merz hat bei ihrem Amtsantritt mal gesagt, sie liebe den Stahl. Aber von Luft und Liebe allein können wir nicht leben. Sie muss ihre Liebe auch unter Beweis stellen.“ Nasikkol sagte, „es wäre fatal, jetzt wichtige Entscheidungen für die Zukunft unserer Stahlstandorte zu verschieben, weil mit dem Ukraine-Krieg auch andere Themen im Fokus stehen“.

Auch die Bundesregierung müsse nun aktiv werden, mahnte Nasikkol: „Die Bundesregierung ist in der Verantwortung, die Stahlindustrie beim Umbau zu unterstützen. Die Förderrichtlinien lassen zu, dass der Staat bis zu 50 Prozent der Investitionssumme für unsere Zukunftsprojekte übernimmt. Darauf setzen wir.“ Der Stahl sei „systemrelevant“. Daher müsse die Bundesregierung dafür Sorge tragen, dass die Industrie nicht unter die Räder komme.

Reicht die Erdgas-Versorgung für die Zukunftspläne?

Thyssenkrupp Steel plant, die Hochöfen am Standort Duisburg durch sogenannte Direktreduktionsanlagen zu ersetzen, die ohne Kohle auskommen und damit weniger klimaschädliches Kohlendioxid (CO2) ausstoßen. Die Anlagen sollen zunächst mit Erdgas und später mit Wasserstoff betrieben werden. Sollte der Gaslieferant Russland ausfallen, könnte dies Probleme bei Thyssenkrupp Steel erzeugen.

„Es ist richtig, dass die neue Direktreduktionsanlage erst einmal mit Erdgas betrieben werden soll“, sagte Nasikkol. „Daher ist es wichtig, dass es Versorgungssicherheit gibt. Trotzdem sind unsere Umbaupläne umsetzbar. Erdgas als Rohstoff für die Stahlerzeugung ist ohnehin nur für den Übergang vorgesehen.“ Die Zukunft liege beim Wasserstoff. „Eine Lehre aus dem Ukraine-Krieg ist: Wir müssen schneller als bislang geplant unabhängig werden von russischen Erdgas-Lieferungen und möglichst rasch Anlagen zur Wasserstoff-Erzeugung in Deutschland aufbauen.“

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Thyssenkrupp-Chefin Merz verfolgt seit einiger Zeit Pläne für eine Abspaltung der Stahlsparte. Angesichts des Ukraine-Kriegs liegt das Vorhaben nun auf Eis. Zur Frage, ob die Verselbstständigung von Thyssenkrupp Steel zu den Akten gelegt werden sollte, sagte Nasikkol: „Diese Frage muss Frau Merz beantworten.“ Es müsse eine schnelle Entscheidung kommen, wie sich der Konzern ausrichten wolle. Eine Sitzung des Thyssenkrupp-Aufsichtsrats steht in der kommenden Woche an. „Welchen Weg will das Unternehmen gehen? Die Weichen dafür müssen am 24. März bei der nächsten geplanten Aufsichtsratssitzung gestellt werden – Punkt“, sagte Nasikkol.

Offen für Einstieg des Landes NRW bei Thyssenkrupp Steel

Mit dem Ukraine-Krieg sei für die Stahlsparte „eine schwierige Situation entstanden“, so der Gesamtbetriebsratschef. „Die Autoindustrie fährt ihre Produktion herunter, das wirkt sich direkt bei uns aus. Wenn die Autoindustrie einen Schnupfen hat, bekommen wir schnell eine Lungenentzündung.“ Hinzu kämen gestiegene Kosten für Thyssenkrupp Steel. „Die Rohstoff- und Energiekosten sind explodiert. Das macht uns zu schaffen.“ Das Unternehmen leide auch unter gestörten Lieferketten. „Russland und die Ukraine sind eigentlich wichtige Rohstoff-Lieferanten für uns. Jetzt fallen sie teilweise aus.“

Mit Aufmerksamkeit blickt Nasikkol auch auf die bevorstehende NRW-Landtagswahl im Mai. „Die NRW-Landesregierung – sei es die aktuelle oder die künftige – sollte darüber nachdenken, als starker Ankeraktionär bei Thyssenkrupp Steel einzusteigen“, sagte Nasikkol. „Wenn der Staat schon so viel Geld für den Umbau unserer Industrie gibt, ist es auch von Vorteil, wenn die Allgemeinheit an künftigen Gewinnen beteiligt wird.“