Essen. Die Mehrheit der Pflegekräfte denkt übers Aufhören nach, 28 Prozent suchen bereits eine andere Arbeit. Das ergab eine YouGov-Umfrage für Indeed.

Droht Deutschland der Pflexit? Die ab Mittwoch geltende Impfpflicht in Gesundheits- und Pflegeeinrichtungen treibt viele Kliniken und Altenheime um – doch ein viel älteres Problem ist das deutlich größere: Wegen der hohen Arbeitsbelastung will aktuell mehr als jede vierte Fachkraft die Branche verlassen. Das geht aus einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts YouGov für das nach eigenen Angaben weltgrößte Jobportal Indeed hervor, die unserer Redaktion exklusiv vorliegt.

Die Düsseldorfer Deutschland-Zentrale von Indeed hatte erst vor wenigen Wochen den hiesigen Stellenmarkt analysiert und festgestellt, dass sich die ausgeschriebenen Stellen in der Alten- und Krankenpflege türmen, weil sich auf frei werdende Arbeitsplätze kaum noch jemand bewirbt. Die unter der Pandemie weiter erschwerten Arbeitsbedingungen haben viele Stammkräfte aus dem Beruf getrieben, was die Belastung für das verbliebene Personal noch mehr verschärft. Diese Abwärtsspirale lässt die Sorgen nach einem Pflexit, also der Flucht aus den Pflegeberufen wachsen. Dabei bräuchte Deutschland wegen der Alterung seiner Gesellschaft Zehntausende zusätzliche Pflegekräfte. Allein in NRW fehlen laut einer Barmer-Analyse bis 2030 rund 230.000 Kräfte.

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Aktuell droht eine akute weitere Zuspitzung des Fachkräftemangels, die YouGov-Umfrage unter Pflegekräften ergab dramatische Ergebnisse: Demnach denken zwei von drei Befragten übers Aufhören (69 Prozent) nach, die Hälfte von ihnen oft, die andere manchmal. Noch größer ist die Unzufriedenheit unter den Intensivpflegekräften, die in der Corona-Pandemie besonders oft an die Grenzen ihrer Belastbarkeit gekommen sind: Acht von zehn der examinierten Kräfte mit Zusatzqualifikation stellen die weitere Ausübung ihres Berufs infrage, 42 Prozent tun dies oft.

YouGov-Umfrage: Jede vierte Kraft bereits auf Jobsuche

Und beim Grübeln und Hadern bleibt es nicht mehr: Mehr als jede vierte Pflegekraft (28 Prozent) sucht aktuell bereits einen neuen Job außerhalb der Pflege, zwölf Prozent wollen in eine andere Tätigkeit im Gesundheitswesen wechseln, 16 Prozent ganz raus aus der Branche. Besonders oft suchen jüngere Beschäftigte zwischen 18 bis 34 Jahren den Absprung.

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Nach den Gründen gefragt, gibt die Hälfte (49 Prozent) der Befragten die Arbeitsbelastung an, 39 Prozent das Gehalt. Jede vierte Pflegekraft will wegen der Arbeitszeiten den Beruf wechseln, was am wachsenden Personalmangel in Kliniken und Pflegeheimen liegen dürfte. Jedem fünften fehlt die Anerkennung. Die wenigsten stören sich an den direkten Pandemie-Folgen, zu denen auch die Impfpflicht gehört, nur fünf Prozent gaben das als Kündigungsgrund an. Allerdings wollen von den wenigen Ungeimpften (Impfquote: 91 Prozent) sechs von zehn die Branche verlassen. Und auch bei vielen Geimpften ist die einrichtungsbezogene Impfpflicht einer von vielen Störfaktoren.

Indeed-Ökonomin: Impfpflicht ist nicht der Hauptgrund

„Zu wenig Gehalt und die einrichtungsbezogene Impfpflicht sind durchaus Gründe für Pflegekräfte, ihre Arbeit aufzugeben, aber es sind nicht die Hauptgründe“, betont Indeed-Ökonomin Annina Hering. Denn: „Aus der Pflege werden die Beschäftigten durch solche Faktoren getrieben, die Menschen dauerhaft erschöpfen – zu große Arbeitslast, schlechte Arbeitsbedingungen, zu wenig Anerkennung und unflexible Arbeitszeiten.“

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Es liege an den Betreibern von Kliniken und Einrichtungen, ihre Arbeitsbedingungen und Strukturen so zu verbessern, dass die Arbeitskräfte wieder ausreichend Energie schöpfen können und nicht ausbrennen. „Wir sehen eine starke Dynamik bei den Stellenanzeigen in der Pflege und einen großen Personalbedarf, der perspektivisch noch steigen wird. Die Beschäftigten in der Pflege zu halten, wird mit Hinblick auf die dramatisch hohe Zahl von Pflegekräften, die aufhören wollen, eine große Herausforderung gegen den Fachkräftemangel in diesem Bereich”, warnt Hering.