Essen. Evonik will das Russlandgeschäft trotz des Kriegs in der Ukraine fortführen. In Marl verzögert sich womöglich die Umstellung von Kohle auf Gas.
Er habe lange überlegt, ob er diese Worte wählen solle, und sich dann bewusst dazu entschieden, von Feindschaft zu sprechen. „Unser Feind ist das russische Regime“, sagt Evonik-Chef Christian Kullmann. Das „autokratische Regime von Putin“ habe in der Ukraine einen Krieg begonnen, und wer einen Krieg beginne, sei mehr als nur ein Gegner, er sei „ein Feind“.
Gleichwohl will der Essener Spezialchemiekonzern Evonik weiterhin in Russland Futtermittelzusätze für die Nahrungsmittelindustrie verkaufen. „Das sind Geschäfte, die die Bevölkerung in Russland erreichen. Und die Bevölkerung ist nicht unser Feind“, argumentiert Kullmann bei einer digitalen Pressekonferenz zur Evonik-Jahresbilanz. Klar sei, dass sein Konzern zu den Wirtschaftssanktionen stehe. Alle Verbindungen kappen wolle das Unternehmen allerdings nicht. Unter dem aktuell geltenden „Sanktionsregiment“ werde Evonik die Geschäfte, die mit Russland noch möglich seien, fortführen.
Bilanzielle Gründe seien für diese Entscheidung nicht ausschlaggebend gewesen, erklärt Kullmann. Im vergangenen Jahr habe Evonik in Putins Reich knapp 200 Millionen Euro Umsatz erwirtschaftet – bei einem Konzernumsatz von 15 Milliarden Euro. Zudem könnte der Essener Chemiekonzern die Futtermittelzusätze, um die es vor allem geht, Kullmanns Darstellung zufolge „problemlos auch in anderen Regionen der Welt verkaufen“.
„Die Situation ist schwierig“
Kullmann betont auch, dass Russland bislang an Deutschland die vertraglich zugesagten Mengen an Gas, Kohle und Öl liefere. „Genauso sollten wir uns jetzt hier bei diesen Futtermitteladditiven von unserer Seite aus verhalten, um eine Situation zu schaffen, die den Menschen nicht weiter zusetzt.“
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Eigene Werke betreibt der Revierkonzern in Russland nicht. Die rund 60 Evonik-Beschäftigten in dem Land seien vor allem in Moskau tätig. Deutsche Mitarbeiter habe Evonik angesichts des Kriegs bereits über Dubai ausgeflogen. Von drei Mitarbeitenden in der Ukraine habe Evonik erst eine Beschäftigte in Sicherheit nach Deutschland bringen können. Zu den anderen gebe es Kontakt. „Die Situation ist schwierig. Wir versuchen zu helfen, so gut es geht“, sagt Kullmann.
Mit einem Jahresumsatz von rund zehn Millionen Euro ist die Ukraine als Absatzmarkt von vergleichsweise geringer Bedeutung für Evonik. Weltweit gehören rund 33.000 Beschäftigte in mehr als 100 Ländern zum Revierkonzern, in dem Marken wie Degussa, Hüls und Goldschmidt aufgegangen sind. Mit dem Konzernsitz in Essen und dem Chemiestandort Marl, wo das Unternehmen rund 7000 Menschen beschäftigt, ist Evonik einer der großen Arbeitgeber in NRW. Die Mehrheit der Evonik-Aktien gehört der RAG-Stiftung, die auf dem Essener Welterbe-Areal Zollverein residiert. Aufgabe der Stiftung ist es, Geld für die Ewigkeitskosten des Steinkohlenbergbaus zu erwirtschaften.
Kohlekraftwerk in Marl läuft möglicherweise länger
Am Standort Marl will Evonik die Energieversorgung auf Gas umstellen. Angesichts der unsicheren Versorgungslage überprüft Evonik die Pläne nun. Das Kohlekraftwerk könnte länger als bisher geplant in Betrieb bleiben.
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Trotz der Corona-Pandemie und der Ukraine-Krise verbreitet Kullmann Zuversicht mit Blick auf das Evonik-Geschäft. In der nun vorgestellten Bilanz liegt das bereinigte Ergebnis vor Zinsen, Steuern und Abschreibungen – in der Konzernsprache Ebitda genannt – mit 2,38 Milliarden Euro um 25 Prozent über dem Wert des Vorjahres. „Wir werden weiter wachsen – und das kräftig“, kündigt Kullmann an. Für das Gesamtjahr rechne Evonik mit einem Anstieg des Umsatzes auf 15,5 bis 16,5 Milliarden Euro. Das bereinigte Ebitda soll auf 2,5 bis 2,6 Milliarden Euro steigen.
Die Aktionäre können in diesem Jahr mit einer Dividendenrendite von etwa vier Prozent rechnen. Bei der Hauptversammlung am 25. Mai soll eine Steigerung der Gewinnausschüttung von 1,15 auf 1,17 Euro je Aktie beschlossen werden.
Als Spezialchemiekonzern ist Evonik ein Lieferant für viele Branchen. Produkte, die so entstehen, sind etwa Elektroautos, Polstermöbel und Kosmetikartikel. Ein wichtiger Abnehmer ist die Gesundheitsindustrie. Als Pharmazulieferer stellt Evonik Lipide für mRNA-Impfstoffe her, unter anderem für den Impfstoffpionier Biontech.