Dortmund. Der Netzbetreiber Amprion hat den Kohleausstieg 2030 simuliert – und warnt vor Stromengpässen bis Blackout. Zehn-Punkte-Plan soll das verhindern.

Bis 2030 soll das letzte Kohlekraftwerk in Deutschland abgeschaltet werden. Die Ampel hat ihr Ziel gesetzt, nun jagen es alle, die es verwirklichen sollen, durch den Realitätscheck. Nach den Stromerzeugern fordern auch die Netzbetreiber schnellere Genehmigungsverfahren und vieles mehr von der neuen Bundesregierung. Nicht ohne zu betonen, was ansonsten droht: Versorgungsengpässe in Dunkelflauten bis hin zu Stromausfällen, Netz-Überlastungen an windreichen Sonnentagen und massiv steigende Stromimporte, etwa von Atomstrom aus den Nachbarländern.

Das legt die erste Analyse des Dortmunder Netzbetreibers Amprion nahe. Er sieht „eine erhebliche Gefahr, dass ein Kohleausstieg bis 2030 zu einer Reduzierung des heutigen Niveaus an Versorgungssicherheit und Systemrobustheit führen kann“. Und stellt zehn Bedingungen auf, die es zu erfüllen gelte, damit das nicht passiert.

Amprion: Ampel-Pläne ambitioniert, aber möglich

Amprion-Chef Hans-Jürgen Brick erklärt, die Pläne der Ampel seien sehr ambitioniert, aber möglich, und der Koalitionsvertrag enthalte dafür auch erste geeignete Maßnahmen. Doch müsse dafür einiges getan werden, insbesondere für die Netzstabilisierung. Und er betont: „Nichts davon duldet mehr eine Aufschiebung.“ Gemeint sind ein schnellerer Netzausbau, vor allem aber milliardenschwere Investitionen in neue Anlagen zur Stabilisierung des Netzes.

Das sind neben regelbaren Gaskraftwerken auch 200 bis 250 zusätzliche Regulierungsanlagen (Phasenschieber), die kurzfristige Spannungsänderungen ausgleichen können. Allein sie würden laut Technikvorstand Hendrik Neumann rund zehn Milliarden Euro kosten und er rechnet nicht damit, dass bis 2030 so viele gebaut werden können. Deshalb sei es wichtig, Anreize für Anlagen zu setzen, die das Netz stabilisieren können, wozu neben Kraftwerken auch Großspeicher und neue Elektrolyse-Anlagen für die Wasserstoff-Produktion geeignet wären.

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Denn komplizierter als der bloße Bau von Windrädern und Solarparks ist es, ein zunehmend grünes Stromnetz stabil zu halten. Es muss immer genau so viel Strom hineinkommen wie gerade verbraucht wird. Noch fahren vor allem Kohlekraftwerke hoch, wenn zu wenig Windstrom im Netz ankommt – und fahren umgekehrt runter, wenn genug oder zu viel Ökostrom fließt. Zudem können ihre Generatoren kurzfristige Spannungsabfälle binnen Sekunden ausgleichen.

Spannungsabfälle aufzufangen, wird umso schwieriger, je weniger regelbare Kraftwerke laufen. Amprion meint daher, dass die Kohlekraftwerke, auch wenn sie 2030 abgeschaltet werden, vorerst als Reserve gebraucht werden. Der Koalitionsvertrag sieht dafür neue, im Vergleich zur Kohle weniger klimaschädliche Gaskraftwerke vor, doch ob bis 2030 genügend gebaut wurden, um die restlichen 17 Gigawatt (GW) Kohlekapazität zu ersetzen, scheint fraglich.

Nord-Süd-Trassenausbau muss beschleunigt werden

Die zweite große Sorge ist, dass der neue Ökostrom etwa von der Küste auch im Westen und Süden ankommt, sprich der Netzausbau bis dahin entscheidend beschleunigt werden kann. Kernelement dafür wären die von Amprion geplanten, je ein Kilometer breiten Trassen-Korridore A und B vom Norden ins Rheinland (A) und nach Westfalen (B). Die Stromautobahn A könnte im Idealfall bis 2027 stehen, Leitung B bis 2030 – was eine Punktlandung wäre. Und die Voraussetzung dafür, dass nicht ständig massenhaft Windkraftanlagen „abgeregelt“, sprich aus dem Wind gedreht werden müssen, wenn der zu kräftig bläst.

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In den vergangenen Jahren gingen so bereits 2,5 bis 2,8 Prozent der Ökostrom-Produktion ins Nichts. Dabei werden aktuell zuerst fossile Kraftwerke gedrosselt und Ökostrom-Anlagen nur im Notfall. Die Menge an kurzfristig herunterzuregelndem Strom wird bis 2030 der Prognose zufolge zwei- bis dreimal so groß sein – und häufiger Erneuerbare Energien treffen. Der Ökostrom wird aber gebraucht, um den wachsenden Energiehunger zu decken.

Genehmigungsdauer auf drei Jahre halbieren

Die geplanten Stromautobahnen könnten die Zwangsabschaltungen verringern. Nur müssen sie dafür erst einmal gebaut werden, und bei den Anwohnern beliebt sind die kilometerbreiten Trassen nicht. Eine zentrale Forderung lautet daher, die Genehmigungsverfahren von heute bis zu sechs Jahren auf „maximal drei Jahre“ zu verkürzen.

Doch was ist im umgekehrten Fall – wenn nicht zu viel, sondern zu wenig Strom im Netz ist? Sind 2030 alle Kohlekraftwerke vom Netz, braucht es mehr Importe aus den Nachbarländern, etwa von französischem oder tschechischem Atomstrom, um die deutschen Netze zu füllen. Der Amprion-Studie zufolge werde Deutschland dann in mehr als jeder zehnte Stunde (elf Prozent) auf Stromimporte angewiesen sein. Reichen die nicht aus, drohen im Extremfall Stromausfälle.

32 Minuten Stromausfälle – pro Jahr

Den Hochrechnungen zufolge werden die Importe für etwa 17 bis 32 Minuten pro Jahr nicht reichen, was bedeutet, dass zumindest einzelne Verbraucher in dieser Zeit keinen Strom erhalten, der Simulation zufolge droht dies vor allem in den Abendstunden der Wintermonate Dezember bis Februar. Die Stromausfälle wären dann auch grenzüberschreitend, betroffen wären Belgien, Dänemark, Luxemburg und die Niederlande. Da laut Gesetz fünf Stunden pro Jahr toleriert werden, wäre das aber noch im Rahmen.

Amprion ist einer von vier Netzbetreibern in Deutschland und vor allem für den Westen verantwortlich. „Da erhebliche Kohlekraftwerkskapazitäten in Nordrhein-Westfalen und damit in der Regelzone der Amprion verortet sind, ist das Amprion-Übertragungsnetz in besonderem Maße von den veränderten politischen Vorgaben betroffen“, betont das Dortmunder Unternehmen.

Bundesnetzagentur wacht über Versorgungssicherheit

Die Versorgungssicherheit und Netzstabilität, betont Amprion, müsse an oberster Stelle stehen. Darüber wacht allen voran die Bundesnetzagentur. Sie verbietet schon heute im Zweifel, dass systemrelevante Kohlekraftwerke zu früh ganz eingemottet werden. Das bedeutet: Ohne genügend fossile Reserven und neue Leitungen wird der von SPD, Grünen und FDP als „Idealfall“ beschriebene Kohleausstieg 2030 verschoben.