Hagen. Der Gastronomie fehlen Mitarbeiter, weil viele nicht zurück wollen nach den Lockdowns. Was jetzt passieren muss, damit sich das ändert.
Jörg Templin ist besorgt. Dringend sucht er Mitarbeiter für sein Romantik-Hotel Astenkrone in Winterberg. Aber er findet keine. Ein Einzelproblem? „Nein“, sagt der Geschäftsführer. „Der Personalmangel legt sich über die ganze Branche.“ In der Corona-Krise seien viele Kräfte weggegangen, weil es keine Arbeit gab. Jetzt sind die Lokale wieder geöffnet – aber die alten Mitarbeiter kehren trotzdem nicht zurück. Weil sie nicht mehr wollen.
Ganz gleich ob Restaurants, Kneipen oder Hotels: Seit der Corona-Krise fehlen Fachkräfte und Aushilfen mehr denn je. Weil sie in Zeiten der Schließungen und Kurzarbeit nicht gehalten werden konnten. Und weil sie jetzt, da sie gebraucht werden, nicht mehr zurückkehren wollen.
Viele seien in Jobs gewechselt, die für sie attraktiver seien, weiß Thorsten Hellwig, Sprecher des Hotel- und Gaststättenverbandes NRW (Dehoga). Denn „es geht immer um das Gesamtpaket: Geld, Arbeitszeiten, Aufstiegsmöglichkeiten, Spaß. Das muss stimmen“. In der Gastronomie sei vieles davon nicht gegeben. Und das müsse sich dringend ändern. Aber wie?
1. Höhere Preise für Gäste
Ideen dazu hat Jörg Templin schnell parat: „Wir haben schon während des Lockdowns als Team besprochen, die Preise zu erhöhen“, sagt er. Denn was die Gastronomie dringend brauche, seien mehr Gäste, die mehr Geld für gutes Essen bezahlen. „Wir erhöhen die Preise natürlich nicht ohne Mehrwert“, betont Templin. Nachhaltig, regional, saisonal und bio, dafür stünden die Produkte. Auf Dauer käme das den Mitarbeitern zu Gute, denn nur mit mehr Einnahmen könnten langfristig sowohl höhere Gehälter als auch mehr Personal bezahlt werden. „Das ist ein langer Prozess, aber daran führt kein Weg vorbei.“
Ein weiterer sollte sein, den geringen Mehrwertsteuersatz beizubehalten und einzuführen, „dass der künftig auch für Getränke gilt“, fordert Dehoga-Sprecher Thorsten Hellwig. Dadurch erhielten die Betreiber finanzielle Freiräume, die sie auch für ihre Beschäftigten nutzen könnten.
2. Weniger Öffnungstage
Doch Geld allein bringe das Personal nicht zurück. Das hat auch Jörg Templin zu spüren bekommen und jetzt die Reißleine gezogen. Sein Hotel-Restaurant lässt er nun an zwei Tagen in der Woche zu. Nicht, weil ihm die Gäste fehlen: „Bei der Öffnung sind wir überrannt worden“, erzählt er. Aber um seine Mitarbeiter zu schützen. Denn die müssten in diesen Zeiten mehr arbeiten als je zuvor. Die Ruhetage seien ein guter Weg, um sie zu entlasten – und für andere attraktiver zu werden. Immerhin habe Templin bereits eine langjährige Mitarbeiterin verloren, „weil sie sich während Corona daran gewöhnt hat, an den Wochenenden frei zu haben. Diese Zeit will sie weiterhin mit ihrer Familie verbringen“. Hinzu käme, dass er vergangenen Winter wegen des Lockdowns keine Mitarbeiter einstellen konnte. Die fehlen ihm jetzt, denn untergekommen seien auch sie inzwischen in anderen Berufen, sagt der Hotelier.
3. Weniger Wechselschichten
Um den Beruf attraktiver zu machen, müsse sich deshalb eines dringend ändern, sagt Dehoga-Sprecher Hellwig: die Arbeitszeiten. Und damit sei nicht gemeint, dass Mitarbeiter in noch wechselhafteren Schichten arbeiten sollten. Das sei schon zu oft der Fall, betont auch Ursula Rode-Schäffer, Geschäftsführerin der Regionalagentur Hellweg-Hochsauerland. Eine bessere Arbeitsorganisation sei nötig, um dem Personal ein entsprechend besseres Freizeitangebot zu schaffen. „Aktuell ist es oft noch üblich, dass Personal in der Gastronomie morgens und abends arbeitet und nachmittags frei hat“, sagt sie. „Aber davon haben die Leute nichts.“ Besser wäre es, auf ein geteiltes Schichtsystem zu setzen, sagt sie, für mehr Planungssicherheit und klarere Arbeitszeiten. „Das wird schwierig sein, aber nicht unmöglich,“ so Rode-Schäffer.
4. Arbeitszeiten umgestalten
Jedenfalls dann nicht, wenn die gesetzlichen Voraussetzungen angepasst werden, sagt Hellwig vom Dehoga. Denn könnte man die Arbeitsstunden flexibler verteilen, wäre das ein positiver Anreiz, glaubt er. Auch wenn es weiterhin Dienste am Wochenende oder in den Abendstunden geben werde. „Flexiblere Arbeitszeiten heißt nicht, dass Beschäftigte mehr Stunden in der Woche arbeiten sollen. Aber die Stunden könnten in Absprache mit ihnen anders verteilt werden: Statt auf fünf Tage in der Woche zum Beispiel auf vier Tage.“
Das könnte ein echter Anreiz sein, glaubt Hotelier Jörg Templin. „Genau so eine Anfrage habe ich erst vor wenigen Tagen von einem Bewerber bekommen“, erzählt er. Der wohne weiter entfernt, habe Familie und wollte deshalb nicht nach Winterberg ziehen. „Er fragte, ob es die Möglichkeit gibt, die Stunden auch auf weniger Tage zu verteilen, damit er nicht umziehen muss. Ich hätte ihm das gerne angeboten, aber das ist gesetzlich nicht erlaubt.“
Dabei sei es so wichtig, auf die Bedürfnisse der Leute zu reagieren, sagt Templin. Es müsse möglich sein, den Beruf im Gastgewerbe mit seinen familiären Abläufen in Einklang zu bringen. „Ansonsten laufen uns bald alle Mitarbeiter weg.“
5. Für Nachwuchs sorgen
Dass der Job nicht immer leicht ist, weiß auch Jakob Szöcs. Seit zehn Jahren arbeitet der 30-Jährige in der Gastronomie, bereits sieben davon in dem Winterberger Hotel Astenkrone. „Ich bin ein gut gelaunter Mensch“, sagt er über sich, „und was mir an dem Beruf gefällt, ist, dass ich das an die Gäste bringe und immer wieder mit anderen Menschen in Kontakt komme.“ Das klappe nicht immer, „manche Gäste haben im Moment wenig Verständnis für unsere Situation und dafür, dass es auch mal länger dauert“, sagt Szöcs. „Aber wir wollen arbeiten und das ändern, indem wir mehr Kräfte und Aushilfen für uns gewinnen.“
Die Hotellerie und Gastronomie sei eine tolle Branche, sagt Jörg Templin. Leider werde der Beruf zu oft belächelt, „das ist schade, aber das merke ich schon, wenn wir auf Ausbildungsmessen sind“. Die Arbeitszeiten seien dann meistens das große Thema. „Dabei kann es toll sein, unter der Woche frei zu haben“, sagt Templin. „Wir müssen die Vorteile der Gastronomie aufzeigen und die Bedingungen verbessern. So viel Vielfalt gibt es in keinem anderen Berufszweig.“
So viele Mitarbeiter werden in Südwestfalen gesucht
Es gibt viele freie Stellen im Gastgewerbe, nur besetzt werden sie nicht, lautet das Resümee der Agenturen für Arbeit (AA) in Südwestfalen. Pressesprecher Ulrich Brauer aus Hagen: „Es waren schon immer freie Stellen gemeldet, aber jetzt sind sie einfach nicht mehr leicht zu besetzen. Bedienkräfte und Gastronomen fehlen, das Personal ist abgewandert.“
Im August dieses Jahres meldete die AA Siegen insgesamt 147 freie Stellen im Gastgewerbe. Zum Vergleich: Im Jahr 2020 waren es 75. Im Bezirk Iserlohn waren im August 116 Stellen frei (2020: 59), in Hagen 39 (2020: 18). Die meisten freien Stellen gibt es derzeit im Bezirk Meschede-Soest, im August waren dort 446 gemeldet, vor einem Jahr waren es 256.