Essen. Verdi lehnt in der Tarifrunde Sonderregelungen für den kriselnden Textilhandel ab und fordert Mitsprache der Beschäftigten bei „Click & Collect“.

Der Handel ist gespalten: Während das Geschäft mit Lebensmitteln, Drogerieartikeln, Möbeln und Gartenbedarf floriert, herrscht vor allem bei Mode-, Textil- und Schuhanbietern Flaute. Mitten in der Corona-Pandemie starten in der kommenden Woche die Tarifverhandlungen für den Einzel, Groß- und Versandhandel. Zu pauschalen Zugeständnissen für Branchen in der Krise ist die Gewerkschaft Verdi nicht bereit.

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Auch wenn die Tarifverhandlungen im Handel traditionell in den Händen der Landesverbände liegen, ahnt Stefanie Nutzenberger, dass die bevorstehenden Gespräche mit den Arbeitgebern angesichts der nicht enden wollenden Corona-Krise besonders hart werden können. „Die Situation ist zugespitzter als in den letzten Tarifrunden“, sagt die Leiterin des Fachbereichs Handel im Verdi-Bundesvorstand.

Verkäuferinnen müssen sich mit Maskenverweigerern anlegen

Sie sieht die Kluft unter den bundesweit 5,1 Millionen Beschäftigten des Mega-Wirtschaftszweigs. „Viele leisten Großartiges unter schwersten Bedingungen. Andere sind in Kurzarbeit und wissen nicht, wie ihr Leben weitergeht“, beschreibt Nutzenberger den Zwiespalt. Allen Beschäftigten im Handel sei gemein, dass ihr Risiko, sich mit dem Coronavirus anzustecken, hoch sei und sie sich überdies „mit Maskenverweigerern anlegen“ und zunehmend Aggressionen innerhalb der Kundschaft ertragen müssten.

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Forderungen aus dem Arbeitgeberlager, in dieser besonderen Situation über Einmalzahlungen statt über lineare Tariferhöhungen und Öffnungsklauseln für kriselnde Branchen zu verhandeln, erteilt Nutzenberger noch vor den ersten Gesprächen eine klare Absage. „Im Handel wird Geld verdient, die Unternehmen jammern aber auch in diesem Jahr“, verweist die Verdi-Frau auf das Umsatzplus von 4,8 Prozent, das der Einzelhandel im Corona-Jahr 2020 erwirtschaftete. Es war der höchste Zuwachs seit 1994.

„Die Tarifbindung hat ein kritisches Maß erreicht“

Verdi weiß aber auch, dass Öffnungsklauseln wie sie zuletzt die Metall- und Elektroindustrie mit der IG Metall ausgehandelt hatte, im Handel ihre Wirkung verfehlen würde. Denn nach Angaben der Gewerkschaft wenden ohnehin 80 Prozent der Einzelhandelsvertriebe keinen Tarifvertrag an. Unter ihnen sind nach Gewerkschaftsangaben die von selbstständigen Kaufleuten geführten Supermärkte von Edeka und Rewe, aber auch Ketten wie dm, Rossmann, Obi, Thalia, Amazon, Zalando, Hornbach, C&A, Kik, Woolworth und viele andere. Nutzenberger zeigt sich alarmiert: „Die Tarifbindung hat ein kritisches Maß erreicht.“

Supermärkte und Drogerien laufen Warenhäusern den Rang ab

Kein Verständnis zeigt sie deshalb dafür, dass der Handelsverband Deutschland Amazon als Mitglied aufgenommen habe, der US-Internetriese aber nicht nach Tarif bezahle. Auch deshalb will Verdi ab nächster Woche einen neuen Versuch unternehmen, die Allgemeinverbindlichkeit der Tarifverträge auszuhandeln. Die Gewerkschaft Verdi fordert für die Beschäftigten im nordrhein-westfälischen Einzelhandel Einkommensverbesserungen von 4,5 Prozent plus 45 Euro im Monat. Zudem will sie in den Tarifverhandlungen ein Mindestentgelt von 12,50 Euro pro Stunde durchsetzen.

NRW-Arbeitsminister Karl-Josef Laumann richtete im Landtag einen Appell an die Verbraucher: Gefragt sei auch „die Solidarität der Konsumenten, sich mal ein bisschen zu überlegen, wo man bestellt“. Laumann verwies auf Online-Riesen wie Amazon und Zalando, die mit prekär bezahlten Beschäftigten den Einzelhandel unter Druck setzten.

Mitsprache bei Click & Collect gefordert

Der Gewerkschaft geht es aber nicht nur um Bezahlung und Wertschätzung, sondern auch um Mitbestimmung. Verdi-Bundesfachgruppenleiter Orhan Akman hat dabei vor allem das Verkaufsmodell „Click & Collect“ im Visier. Im Lockdown nutzen immer mehr Kunden das Angebot vieler Händler, Artikel im Internet oder telefonisch zu bestellen und später an der Ladentür abzuholen. „Aber Unternehmen wie Ikea, H&M oder Ceconomy verweigern sich, mit Verdi über diese Zukunftsfragen zu sprechen“, erklärt Akman.

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Denn nach Einschätzung des Gewerkschafters verändere „Click & Collect“ das Aufgabengebiet der Verkäuferinnen. „Sie müssen jetzt packen und kommissonieren wie bei Amazon“, sagt er. „Der Kunde gibt wie ein Chef Anweisungen. Das gehört geregelt.“ Akman kritisiert zudem, dass viele Händler für diesen Prozess Apps entwickelt hätten, ohne die Beschäftigten einzubeziehen und zu schulen. Hinzu komme, dass oft die bestellte Ware gar nicht im Laden sei und deshalb das Versprechen gar nicht eingehalten werden könne, sie innerhalb von zwei Stunden abholen zu können. „Es gibt dafür nicht genug Personal und oft werden die Mitarbeiterinnen mit solchen Technologien überfahren“, beklagt Akman.