Essen. Unmut bei Thyssenkrupp vor der Hauptversammlung: DSW will Aufsichtsrat wegen Sondervergütung für Vorstand die Entlastung verweigern.

Wenige Tage vor der Hauptversammlung von Thyssenkrupp wird Unmut aus dem Kreis der Aktionäre laut. Im Unternehmen liege „einiges im Argen“, kritisierte Marc Tüngler, der Hauptgeschäftsführer der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz (DSW), im WAZ-Podcast „Die Wirtschaftsreporter“. Vorstandschefin Martina Merz müsse darlegen, wohin sie das Unternehmen führen wolle. „Uns fehlt die Vision“, sagte Tüngler. Mit der Aufzugsparte habe das Thyssenkrupp-Management den bisher größten Gewinnbringer des Konzerns verkauft. „Jetzt steht man mit dem Rücken zur Wand“, urteilte Tüngler.

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Baldige Klarheit sei insbesondere für die Zukunft der Stahlsparte notwendig, mahnte der DSW-Hauptgeschäftsführer. Der britisch-indische Unternehmer Sanjeev Gupta hat ein Übernahmeangebot vorgelegt und will das Thyssenkrupp-Traditionsgeschäft in seinem Konzern Liberty Steel aufgehen lassen. Als Alternative für einen Verkauf erwägt der Vorstand dem Vernehmen nach einen Börsengang der Sparte mit rund 27.000 Beschäftigten und großen Werken in Duisburg, Bochum und Dortmund. „Es liegen wieder Optionen auf dem Tisch“, sagte Tüngler. Das gebe eine gewisse Hoffnung. Auch der Aktienkurs von Thyssenkrupp ist in den vergangenen Wochen stark gestiegen.

Tüngler: Virtuelle Hauptversammlung „für die Aktionäre eine Katastrophe“

Aufgrund der Corona-Pandemie soll die Hauptversammlung von Thyssenkrupp am 5. Februar erstmals in der Geschichte des Unternehmens virtuell stattfinden. In den Vorjahren erfolgte die Aussprache in einer Bochumer Kongresshalle. Nach Einschätzung von Tüngler wäre eine „Generalabrechnung“ zu erwarten gewesen. Dass ein Treffen mit Publikum in diesem Jahr ausbleiben müsse, sei für Vorstand und Aufsichtsrat „ein Segen“, so Tüngler, „für die Aktionäre ist es eine Katastrophe“.

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Wegen der umstrittenen Sondervergütung für den Thyssenkrupp-Vorstand will die DSW dem Aufsichtsrat des Konzerns bei der Hauptversammlung die Entlastung verweigern. „Da müssen wir die rote Karte zeigen“, sagte Tüngler. „Das darf so nicht nochmal vorkommen.“ Angesichts eines geplanten Abbaus von rund 11.000 Arbeitsplätzen und einer Nullrunde für die Aktionäre sei es falsch gewesen, dem Vorstand eine Extrazahlung zuzusprechen.

„Sondervergütung an den Vorstand sendet völlig falsches Signal“

Die Sondervergütung für Vorstandschefin Martina Merz betrug 500.000 Euro, bei ihren Vorstandskollegen Oliver Burkhard und Klaus Keysberg waren es jeweils 200.000 Euro. Die Entscheidung der DSW dürfte ohne verbindliche Folgen für das Management bleiben, ist aber eine scharfe Form der Missbilligung. Thyssenkrupp-Aufsichtsratschef Siegfried Russwurm, der auch BDI-Präsident ist, hatte die Entscheidung für eine Sondervergütung verteidigt und darauf hingewiesen, dass auch die Arbeitnehmervertreter im Kontrollgremium zugestimmt hätten.

Auch Ingo Speich von der Fondsgesellschaft Deka äußerte sich kritisch zur Entscheidung des Aufsichtsrats. „Die Sondervergütung an den Vorstand sendet ein völlig falsches Signal und zeugt von wenig Fingerspitzengefühl des Aufsichtsrats“, sagte Speich unserer Redaktion. Thyssenkrupp sei „bei weitem noch nicht über den Berg“, betonte er. „Die nächsten Monate werden über die Zukunft und Überlebensfähigkeit entscheiden.“

„Die Milliarden schmelzen wie Butter in der Sonne“

Ähnlich wie Tüngler zeigte sich auch Speich besorgt um die Thyssenkrupp-Stahlwerke. „Die Stahlsparte ist nicht ausreichend wettbewerbsfähig und weiterhin ein Schatten ihrer selbst“, bemängelte Speich. „Hohe Investitionen sind notwendig, um die Stahlsparte wieder fit zu machen, die dem Konzern in anderen Bereichen fehlen werden.“

Auch Henrik Pontzen von der Fondsgesellschaft Union Investment forderte von Thyssenkrupp-Chefin Merz eine Strategie, die dem Unternehmen eine Perspektive bietet. „Mit dem Verkauf der Aufzugssparte hat Frau Merz Zeit gekauft, aber noch keine Zukunft erschlossen. Denn: Immer noch schmelzen die Milliarden wie Butter in der Sonne“, sagte Pontzen. Dies müsse sich rasch ändern. „Hier entscheidet sich das Schicksal des Konzerns.“ Mit Blick auf das Übernahmeangebot von Gupta für die Stahlsparte äußerte sich Pontzen zurückhaltend: „Ein solches Angebot klingt verlockend, bedarf aber einer genauen Prüfung seitens Thyssenkrupp. Bislang haben sich alle Optionen für die Stahlsparte zerschlagen.“

Gelinge es Konzernchefin Merz nicht, den Mittelabfluss zu stoppen, „wäre das ein schwerer Schlag für das Ruhrgebiet und für die Aktionäre“, warnte Pontzen. „Frau Merz darf das nicht zulassen, sondern muss nach dem Verkauf der Aufzugssparte weiter liefern und langfristig die Zukunft sichern.“

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