Essen/Duisburg. Liberty Steel darf bei Thyssenkrupp in die Bücher schauen. Die Stimmung in der Belegschaft ist gereizt, wie ein „Offener Brief“ zeigt.

Bei Thyssenkrupp wird ein Verkauf der traditionsreichen Stahlsparte mit mehr als 27.000 Beschäftigten und großen Standorten in NRW wahrscheinlicher. Der Revierkonzern lässt den britischen Konkurrenten Liberty Steel nun in die Bücher schauen. Liberty Steel werde in Kürze „Einblick in wesentliche Geschäftsdaten des Stahlgeschäfts von Thyssenkrupp erhalten“, teilte das Essener Unternehmen mit. Es gebe eine Verständigung mit Liberty Steel darüber, „in eine weitere Prozessphase einzutreten“.

Vorstandschefin Martina Merz hatte angekündigt, im März eine Entscheidung zur Zukunft der Stahlsparte treffen zu wollen. Der britisch-indische Unternehmer Sanjeev Gupta , der bei Liberty Steel das Sagen hat, betonte unlängst, er wolle die Thyssenkrupp-Stahlsparte am liebsten ganz übernehmen. „Stahl gehört in private Hände“, sagte Gupta auch mit Blick auf eine mögliche Staatsbeteiligung an Thyssenkrupp Steel, die von der IG Metall angesichts der schwierigen Situation des Unternehmens gefordert wird. Einen Verkauf an Liberty Steel lehnen die Arbeitnehmervertreter ab.

Liberty Steel wirbt mit höherer Auslastung für Thyssenkrupp-Werke

NRW-Wirtschaftsminister Andreas Pinkwart (FDP) hat vor wenigen Tagen im Landtag die Gründung einer „Deutschen Stahl AG“ zur Stabilisierung der Branche ins Gespräch gebracht. Ein Zusammenschluss der deutschen Hersteller sei eine „ernsthafte Option“, sagte er.

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Bislang hat Liberty Steel lediglich ein unverbindliches Kaufangebot gemacht, ohne öffentlich einen möglichen Kaufpreis zu nennen. Vor wenigen Wochen war bekannt geworden, dass der ehemalige Chef der Thyssenkrupp-Stahlsparte, Premal Desai, bei der Konzernmutter von Liberty Steel, GFG Alliance, anheuert. In internen Gesprächen wirbt Liberty damit, für eine höhere Auslastung bei Thyssenkrupp sorgen zu können. Derzeit kauft der britische Konzern noch große Werkstoffmengen für seine europäischen Werke am Markt ein.

Gereizte Stimmung am Stahlstandort Duisburg

Am Stahlstandort Duisburg ist die Stimmung nach Darstellung von Arbeitnehmervertretern gereizt. Dass der Thyssenkrupp-Vorstand für das Geschäftsjahr 2019/2020 eine Sondervergütung erhalten soll, stoße auf „großes Entsetzen und wütendes Unverständnis“, wie es in einem „Offenen Brief“ von Arbeitnehmervertretern der IG Metall heißt. Sie forderten den Vorstand zu einem freiwilligen Verzicht auf die umstrittene Sondervergütung auf. „Der Verzicht wäre ein solidarisches Signal, dass wir in schwierigen Zeiten zusammenstehen“, heißt es in dem Schreiben, das unserer Redaktion vorliegt. „Zeigen Sie Größe in der größten Krise des Unternehmens“, appellierten Andrea Randerath, Klaus Wittig und Holger Ziemann an den Thyssenkrupp-Vorstand.

Nach immensen Verlusten hat der Thyssenkrupp-Vorstand das größte Stellenabbau-Programm in der Geschichte des Unternehmens auf den Weg gebracht. Statt der bisher geplanten 6000 Stellen will das Management insgesamt 11.000 Arbeitsplätze streichen.

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In einem Geschäftsjahr, in dem Thyssenkrupp „Milliardenverluste schreiben musste, Zehntausende Beschäftigte in Kurzarbeit waren und nach wie vor sind und überall Sparmaßnahmen ergriffen werden, sind die Erfolgs-Boni mit keinem Argument zu rechtfertigen“, kritisierten die Vertrauensleute der IG Metall, die neben dem Betriebsrat am Stahlstandort Duisburg als Belegschaftsvertreter aktiv sind.

„Damit machen Sie sich unglaubwürdig“

Sie erinnerten daran, dass der Thyssenkrupp-Vorstand zu Beginn der Corona-Krise angekündigt habe, freiwillig auf einen Teil des Gehalts verzichten und diesen spenden zu wollen. „Und jetzt holen Sie sich das Geld durch die Sondervergütung wieder und damit machen Sie sich unglaubwürdig“, heißt es in dem Brief an den Vorstand. Die IG Metall-Vertreter regten an, das Management solle das Geld der Sondervergütung spenden, „beispielsweise in einen Topf für soziale Härtefälle – diese wird es bestimmt unter den über 100.000 Kolleginnen und Kollegen der Thyssenkrupp AG geben“.

Wie aus der Thyssenkrupp-Bilanz hervorgeht, erhält Vorstandschefin Martina Merz für ihre Arbeit im Geschäftsjahr 2019/2020 eine einmalige Sonderzahlung in Höhe von 500.000 Euro. Ihre Vorstandskollegen Oliver Burkhard und Klaus Keysberg bekommen je 200.000 Euro extra. Zur Begründung heißt es, das Management habe „Außergewöhnliches geleistet“, so etwa beim Verkauf der Aufzugsparte.