Essen. Die Reduzierung der zulässigen Kundenzahl im Laden sorgt Supermarkt-Betreiber. Sie warnen, der Ansturm vor Weihnachten sei nicht zu bewältigen.
Der Einzelhandel steht vor schwierigen Wochen: Die Kunden strömen in die Läden, um Weihnachtsgeschenke zu kaufen und sich mit Lebensmitteln einzudecken. Da auf die Festtage gleich ein Sonntag folgt, werden die Geschäfte an drei Tagen in Folge geschlossen sein. In dieser sensiblen Phase erhöhen Bund und Länder die Corona-Vorschriften und rufen damit einen Aufschrei unter den Händlern hervor. Weil sie zum Teil nur deutlich weniger Kunden als bislang hineinlassen dürfen, warnen die Supermarkt-Betreiber davor, der hohen Nachfrage nicht mehr Herr zu werden. „Ich befürchte vor Weihnachten endlose Warteschlangen und chaotische Situationen vor den Supermärkten. Das wird weder dem Schutz vor Infektionen noch der Gesundheit der Menschen dienen“, erklärt Rewe-Chef Lionel Souque.
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Um das Ansteckungsrisiko im Handel zu begrenzen, müssen Geschäfte ab 800 Quadratmetern Größe ab kommenden Dienstag sicherstellen, dass Kunde rechnerisch 20 Quadratmeter Platz hat. Bislang waren es zehn Quadratmeter. So hat es die Bund-Länder-Runde am Dienstagabend beschlossen. Und NRW-Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) ließ tags darauf keinen Zweifel, dass er die Verordnung im eigenen Bundesland umsetzen werde.
„Sachkompetenz ist kaum vorhanden“
„Die Regelung ist schwachsinnig und überhaupt nicht nachvollziehbar“, schimpft Friedrich Göbel, Chef der Hagener Modekette Sinn. Er verweist auf die Lüftungsanlagen in seinen Filialen, die nach seiner festen Überzeugung die Ansteckungsgefahr minimierten und die in den meisten kleinen Läden gar nicht existierten. „Ein Teil der aktuellen Maßnahmen beweist leider einmal mehr, dass Sachkompetenz kaum vorhanden ist“, übt Göbel Kritik an den politischen Entscheidungsträgern.
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Dabei macht sich der Sinn-Chef wenig Sorgen, dass die Kunden nun wegblieben. „Im Oberhausener Centro konnten bislang rund 1000 Kunden gleichzeitig bei uns einkaufen, künftig werden es etwa 600 sein“, sagt er. Da es selten sei, dass so viele Menschen auf einmal in die Filiale kommen, erwartet Göbel keine Beeinträchtigungen.
Supermärkte sehen sich im Nachteil
Die Lebensmittelhändler sehen das freilich anders. Die 20-Quadratmeter-Regelung sei „kontraproduktiv und nicht nachvollziehbar“, erklärt Edeka-Chef Markus Mosa. Der vor den Feiertagen zu erwartende Ansturm der Kunden sei so nicht zu bewältigen. Den Rat aus der Politik, die Einkäufe auf die Wochentage zu verteilen, hält Mosa für wirkungslos. Mit Beginn der Pandemie hätten die Verbraucher ihr Kaufverhalten bereits entsprechend verändert. Da die Kunden an den Bedientheken für Fleisch, Wurst, Käse und Fisch länger verharrten, sieht der Edeka-Chef die Supermärkte im Nachteil. „Das wird einen weiteren Schub geben in Richtung SB-Formate mit ausschließlich preisorientierten Angeboten“, prophezeit er.
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Der Discounter Aldi Süd rüstet derweil bei Frischeprodukten auf und kündigte am Donnerstag in Mülheim an, dass seine Kunden im Laden erstmals in der Unternehmensgeschichte frische Weihnachtsgänse vorbestellen können. Bereits mit dem Beginn des zweiten Lockdowns Anfang November hatte Aldi die Sicherheitsmaßnahmen hochgefahren. Die Nord-Filialen setzen auf Sensoren an den Eingangstüren, die Kunden zählen. Aldi Süd greift zum Teil auf ein Ampelsystem zurück, das die Tür verriegelt, sobald die maximale Zahl der Kunden im Innern erreicht ist. Alle anderen müssen dann warten. Zudem sind die Einkaufswagen abgezählt. Seit jeher wirbt Aldi mit dem „Einkaufen in kurzer Zeit“, weil das Artikel-Angebot deutlich überschaubarer ist als das in Supermärkten und in SB-Warenhäusern.
IHK macht sich Sorgen um den Handel und zentrale Lagen
Scharfe Kritik an den Beschränkungen für den Einzelhandel kommt auch von der Dortmunder Industrie- und Handelskammer. Präsident Heinz-Herbert Dustmann prangert die „Ungleichbehandlung“ von großen und kleinen Läden an und bezeichnet die 20-Quadratmeter-Regelung als „willkürlich, nicht verhältnismäßig und kaum begründbar“. Nachdem das Oberverwaltungsgericht Münster bereits die verkaufsoffenen Sonntage untersagt habe, wachse der Druck auf den Einzelhandel.
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„Die wirtschaftlichen Folgen dieser Halbierung der zulässigen Kundenzahl verschärfen die bedrohliche Situation vieler durch die bisherigen Maßnahmen bereits geschwächten Betriebe“, sagt der IHK-Präsident. „Wir machen uns ernsthafte Sorgen um die zukünftige Attraktivität und Tragfähigkeit unserer zentralen Einkaufslagen.“ Im Dortmunder Stadtteil Hombruch betreibt Dustmann selbst ein mittelständisches Warenhaus mit dem Schwerpunkt auf Mode.
Auch Gastronomie, Kultur- und Freizeitwirtschaft gebeutelt
Die Industrie- und Handelskammer NRW sieht viele Händler vor der Insolvenz und die Existenz ganzer Einkaufsquartiere im Lande gefährdet. „Im Zusammenspiel mit der Situation der arg gebeutelten Gastronomie sowie der Kultur- und Freizeitwirtschaft, die gemeinsam mit dem Handel die Attraktivität der Innenstädte und Stadtteilzentren ausmachen, droht ein gravierender Qualitätsverlust, der nicht wieder wett zu machen sein wird“, befürchtet der IHK-Handelsexperte Sven Schulte.