Essen. Thyssenkrupp-Chefin Merz verkündet den Abbau von 11.000 Jobs im Konzern. Es dürfe „bei den Kosten keine Denkverbote mehr geben“, sagt sie.

Als Thyssenkrupp-Chefin Martina Merz im Mai sagte, es dürfe „keine Denkverbote“ im Zusammenhang mit einem möglichen Verkauf der Stahlsparte geben, brachte sie die Gewerkschaft gegen sich auf. „Denkverbote muss es keine geben, aber man darf nicht alles machen, was man denkt“, entgegnete Stahl-Gesamtbetriebsratschef Tekin Nasikkol seinerzeit . Bei der Vorlage der Jahresbilanz für das von der Corona-Krise geprägte zurückliegende Geschäftsjahr liefert Martina Merz nun eine neue Variante ihrer Botschaft. „Auch bei den Kosten darf es keine Denkverbote mehr geben“, sagt sie in einer Video-Konferenz. Alles werde hinterfragt – und: „Da muss jetzt auch mal über Tabus gesprochen werden.“

Angesichts desaströser Zahlen macht Merz deutlich, dass sie auch harte und unangenehme Entscheidungen nicht scheut, wenn es darum geht, den angeschlagenen Essener Stahl- und Industriegüterkonzern zu sanieren. Etwas mehr als ein Jahr, nachdem die Managerin die Führung im Unternehmen übernommen hat, verschärft sie radikal den Sparkurs. 11.000 Arbeitsplätze im Konzern sollen wegfallen, 7000 davon in Deutschland. Etwa jede zweite der Stellen, die bundesweit gestrichen werden, befindet sich Unternehmensangaben zufolge in NRW.

Einen derart großen Stellenabbau habe es in der Geschichte von Thyssenkrupp noch nicht gegeben, sagt Personalvorstand Oliver Burkhard. „Betriebsbedingte Kündigungen wollen wir in guter Tradition des Unternehmens vermeiden, können sie aber aus heutiger Sicht nicht zu hundert Prozent ausschließen“, betont er. „Dafür ist der Druck zu gewaltig.“

IG Metall signalisiert Widerstand

Im Mai 2019 hatte der Thyssenkrupp-Vorstand einen Abbau von 6000 Jobs innerhalb von drei Jahren angekündigt, davon sei der Wegfall von 3600 Stellen „realisiert“, so Burkhard. Zusätzlich will der Konzern nun 7400 Arbeitsplätze in den kommenden drei Jahren abbauen – insgesamt also 11.000 Stellen gemessen an der Ausgangssituation. Personalvorstand Burkhard spricht von „einer Momentaufnahme“, wenn er über die 7400 Jobs auf der Abbau-Liste spricht. Die Zahl sei stark abhängig vom künftigen Geschäftsverlauf und der weiteren Entwicklung der Corona-Pandemie.

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Widerstand kommt von der IG Metall. „Die jetzt bekannt gegebenen Pläne für weiteren Stellenabbau sind nicht mit der Arbeitnehmerseite vereinbart“, sagt IG Metall-Vorstand Jürgen Kerner, der auch stellvertretender Thyssenkrupp-Aufsichtsratsvorsitzender ist. „Konzernweite Abbauprogramme lehnen wir ab.“

Großaktionär Cevian: „Es tut weh, das anzusehen“

Auch von einer anderen Seite bekommt Vorstandschefin Merz Druck. Erstmals seit Monaten meldet sich der Finanzinvestor Cevian, immerhin der zweitgrößte Einzelaktionär im Konzern nach der Krupp-Stiftung, mit kritischen Einschätzungen zu Wort. „Thyssenkrupp verliert weiter Milliarden. Der finanzielle Spielraum schmilzt. Wettbewerber haben in der Corona-Krise massiv durchgegriffen und ziehen weiter davon. Es tut weh, das anzusehen, denn es müsste so nicht sein“, sagt Cevian-Partnerin Friederike Helfer, die auch Mitglied des Aufsichtsrats von Thyssenkrupp ist. Dabei signalisiert die Cevian-Managerin der Vorstandschefin Rückendeckung. „Thyssenkrupp hat das Potenzial, erfolgreich zu sein. Martina Merz hat das richtig erkannt“, sagt Helfer. „Es ist ein Sanieren gegen die Zeit. Nun müssen dringend weitere Taten und Ergebnisse folgen.“

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Nur ein – so nicht zu wiederholender – Sondereffekt hat zu einem Bilanzgewinn im Geschäftsjahr 2019/2020 geführt, das im September zu Ende ging. Durch den milliardenschweren Verkauf der lukrativen Aufzugsparte an Finanzinvestoren und die Essener RAG-Stiftung verbucht Thyssenkrupp unter dem Strich einen Jahresüberschuss in Höhe von 9,6 Milliarden Euro. Bei den sogenannten „fortgeführten Aktivitäten“, also ohne die Aufzugsparte, verzeichnet das Unternehmen indes einen Fehlbetrag von 5,5 Milliarden Euro. Auch für das gerade angelaufene Geschäftsjahr erwartet Thyssenkrupp erneut rote Zahlen.

Entscheidung zur Stahlsparte soll im März fallen

Ihre „wichtigste Botschaft für den Kapitalmarkt“, wie Martina Merz sagt, formuliert sie in englischer Sprache: „Stop the Bleeding“, ein finanzielles Ausbluten des Konzerns durch einen weiteren Mittelabfluss wolle sie mit aller Macht stoppen: „Wir tun alles, um Kosten und Liquidität im Griff zu behalten – im unsicheren Corona-Umfeld umso mehr“, betont Merz.

Viel hängt davon ab, was aus der traditionsreichen Stahlsparte mit mehr als 27.000 Beschäftigten und großen Werken in Duisburg, Bochum und Dortmund wird. Thyssenkrupp-Finanzvorstand Klaus Keysberg lässt keinen Zweifel daran, dass der Konzern auch auf staatliche Unterstützung setzt. Die IG Metall wirbt für einen direkten Einstieg des Bundes oder eine Landesbeteiligung. Eine Finanzspritze aus dem Wirtschaftsstabilisierungsfonds (WSF) gilt als Option. „Es braucht staatliche Unterstützung – mit einem intelligenten Mix aus Instrumenten“, sagt Keysberg. Im März, so kündigt es Thyssenkrupp-Chefin Merz an, wolle sie eine „Zukunftslösung“ präsentieren und dabei auch die Frage beantworten, ob ihr Konzern die Stahlwerke künftig allein oder mit einem unternehmerischen Partner betreiben werde.