Essen. Wettlauf um milliardenschwere Wasserstoff-Investitionen: Die Ruhrgebiets-Wirtschaft formiert sich bei einem Kongress auf Zollverein.

Im Laufe seines Vortrags in einem zentral gelegenen Gebäude auf dem Essener Zollverein-Areal projiziert Rasmus Beck eine Landkarte des Ruhrgebiets an die Wand. Nahezu über die gesamte Fläche verteilt sind Punkte zu sehen, die den Namen von Unternehmen, Universitäten und Forschungsinstituten zuzuordnen sind. Energie- und Chemiekonzerne wie Eon und Evonik tauchen auf, daneben zum Beispiel die Fraunhofer-Gesellschaft und die TU Dortmund. Es ist ein dichtes Netzwerk, das Ruhr-Wirtschaftsförderer Beck auf seiner „Wasserstoff-Landkarte“ darstellt.

Eingangs bei der Veranstaltung des noch recht jungen Essener Firmennetzwerks namens Digital Campus Zollverein hebt auch NRW-Wirtschaftsminister Andreas Pinkwart (FDP) hervor, dass es gerade im Ruhrgebiet „sehr viel Erfahrung“ mit dem Energieträger Wasserstoff gebe. Entsprechend gut sind die Startbedingungen, wenn es nun um das Ziel eines klimaneutralen Umbaus der Industrie auf Basis von Wasserstoff geht.

Großes Thema für Unternehmen wie Thyssenkrupp, Eon und OGE

Von „idealen Bedingungen“ spricht gar Andre Boschem, der Geschäftsführer der Essener Wirtschaftsförderungsgesellschaft (EWG). Wie viel Expertise es in der Region gebe, zeige schon die Besetzung des Wasserstoffrats, der die Bundesregierung in den kommenden Jahren beraten soll. Mit Katherina Reiche hat eine Eon-Managerin den Vorsitz übernommen, Thyssenkrupp ist mit Stahlvorstand Arnd Köfler vertreten, auch der Chef des Essener Gasnetzbetreibers Open Grid Europe (OGE), Jörg Bergmann, ist mit von der Partie.

Jörg Bergmann, Chef des Essener Gaspipeline-Betreibers Open Grid Europe, will verstärkt auf Wasserstoff setzen.
Jörg Bergmann, Chef des Essener Gaspipeline-Betreibers Open Grid Europe, will verstärkt auf Wasserstoff setzen. © FUNKE Foto Services | Ralf Rottmann


Bei der Veranstaltung des Digital Campus Zollverein betont OGE-Chef Bergmann aber auch, wie viel noch zu tun ist, um die weitreichenden Pläne rund um die Wasserstoff-Wirtschaft zu verwirklichen. Technisch ist vieles möglich, doch es hapert noch an Geschäftsmodellen, die den Unternehmen planbar Einnahmen bescheren. OGE ist als Deutschlands größter Gaspipelinebetreiber bereit, die kilometerlangen Netze zum Teil auf Wasserstoff umzustellen. Firmenchef Bergmann plädiert dafür, die Wasserstoff-Leitungen ähnlich staatlich zu regulieren und mit Netzentgelten zu finanzieren wie die bestehenden Gaspipelines.


Bedarf an Wasserstoff gibt es bei Stahlherstellern wie Thyssenkrupp und Chemiekonzernen wie Evonik. Auch Kraftwerke, schwere Lkw und Lokomotiven könnten künftig mit Wasserstoff betrieben werden. Doch mit Blick auf die Produktion und Speicherung des Energieträgers gibt es viele offene Fragen. So sind für die Herstellung von klimaneutralem Wasserstoff in Elektrolyseuren unter anderem riesige Mengen Solar- und Windstrom erforderlich. Bislang mangele es noch an der Bezahlbarkeit von grünem Wasserstoff, stellt Arnt Baer vom Energieversorger Gelsenwasser fest. Wie sich das ändern lässt, wird derzeit politisch diskutiert. OGE-Chef Bergmann regt an, Strom, der für die Produktion von Wasserstoff eingesetzt wird, von der Erneuerbare-Energien-Umlage zu befreien.

BDI-Manager spricht von „Überlebensfrage“ für die Industrie

Generell stehe viel auf dem Spiel, mahnt Holger Lösch vom Industrieverband BDI. Es gehe um eine „Überlebensfrage“ für den Standort Deutschland. Wenn die Wirtschaft im Jahr 2050 klimaneutral sei solle und damit auch kein Öl oder Gas mehr verbrannt werde dürfe, habe dies enorme Konsequenzen. „Wir müssen alles auf den Kopf stellen, was uns in den letzten 150 Jahren erfolgreich gemacht hat“, sagt Lösch, der bei der Veranstaltung in Essen über eine Videokonferenz zugeschaltet ist.


Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) hat das Ziel ausgegeben, Deutschland müsse bei Wasserstoff-Technologien die Nummer eins in der Welt werden. Neun Milliarden Euro will die Bundesregierung bereitstellen, um die Wasserstoff-Wirtschaft in Gang zu bringen.

Thema Ressourcen-Effizienz prägt die Ruhrgebiets-Wirtschaft

Für das Ruhrgebiet sei das Investitionsprogramm „äußerst interessant“, sagt Wirtschaftsförderer Beck. Schon jetzt gebe es eine Reihe von Förderprogrammen von EU, Bund und Land, die zum Teil mit erheblichen finanziellen Mitteln ausgestattet seien und für Unternehmen und Forschungseinrichtungen infrage kämen, berichtet Beck. Mit mehr als 80.000 Beschäftigten, die im Ruhrgebiet mit dem Thema Ressourcen-Effizienz befasst seien, gebe es eine starke Basis in der Region.


Beck plädiert beim Thema Wasserstoff für Bündnisse und Kooperationen. Niemand könne die Herausforderungen einer derart komplexen Materie allein und aus eigener Kraft meistern, sagt er. Auch Hans-Peter Noll, der Vorstandschef der Stiftung Zollverein, mahnt mit Blick auf den anstehenden Umbau der Ruhrgebietsindustrie: „Die Tugend der Zukunft ist das Vernetzen.“ Und so will sich der Digital Campus Zollverein noch eine ganze Woche lang mit Fragestellungen rund um den Wasserstoff befassen.