Lippstadt. Der erfolgsverwöhnte Automobilzulieferer Hella schrieb im Geschäftsjahr 2019/20 rote Zahlen und will erstmals die Dividende streichen.
Mit welcher Wucht die Coronakrise den Licht- und Elektronikspezialisten Hella aus Lippstadt getroffen hatten, verdeutlichen die nackten Zahlen: Gut 1,1 Milliarden Euro Umsatzrückgang auf 5,8 Milliarden Euro stehen unter dem Strich nach dem abgelaufenen Geschäftsjahr, das mit dem 31. Mai endete. Das bestätigte der Konzern am Freitag im Rahmen der – wegen der Coronapandemie - telefonisch stattfindenen Bilanzkonferenz.
Deutlichen Personalabbau hatte der Automobilzulieferer bereits Ende Juli angekündigt. Bis 2023 sollen rund 900 Arbeitsplätze am Stammsitz in Lippstadt entfallen, davon rund 700 im so wichtigen Entwicklungsbereich. Noch einmal zwischen 100 und 150 werden in den kommenden drei Jahren an den anderen deutschen Standorten abgebaut, zu denen auch das Elektronikwerk in Hamm gehört. In Regensburg wird ein Entwicklungsstandort nach Angaben des Vorstandsvorsitzenden Rolf Breidenbach kurzfristig geschlossen.
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Dass Hella-Chef Breidenbach und Finanzchef Bernard Schäferbarthold dennoch von „einem durchaus zufriedenstellenden Geschäftsjahr“ sprechen hat auch damit zu tun, dass das Unternehmen weniger eingebüßt hat als der Markt geschrumpft ist und entsprechend trotz der Krise sogar Marktanteile gewonnen haben dürfte. Düster aber die Prognose: „Wir werden erst 2025 wieder auf dem Niveau von 2017 sein“, schätzt Breidenbach. Wenn überhaupt. Genau wissen kann es aktuell niemand.
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Der Vorschlag, erstmals die Dividende zu streichen, hat auch mit den enormen Unsicherheiten am Markt zu tun. „Es gibt aus unserer Sicht Rückschlagpotenzial, das zu weiteren Rückgängen führen kann“, betont Finanzchef Schäferbarthold, der das Geld zusammen halten will und muss. Im Mai wurde vorsorglich noch einmal eine Kreditlinie über eine halbe Milliarde Euro vereinbart, so dass dem Konzern nach eigenen Angaben rund zwei Milliarden Euro Liquidität zur Verfügung stehen, um „für Gegebenheiten gewappnet zu sein, die wir heute vielleicht noch gar nicht kennen“ (Breidenbach).
Was sich sehr viel anhört, relativiert sich etwas mit dem Blick auf die vorgelegten Zahlen für 2019/20. Minus 343 Millionen Euro stehen da als Ergebnis zu Buche, obwohl einige Investitionen bereits zurückgestellt oder ganz gestrichen worden sind. „Wir haben einige IT-Projekte angehalten und geplante Ausweitungen der Produktionskapazitäten zurückgestellt“, erläutert Vorstandschef Breidenbach. Nicht vom Investitionsstopp betroffen seien Entwicklungen für bereits erteilte Aufträge. So will Hella bereits in sechs bis acht Wochen in Mexiko im Werk in Irapuato mit der Produktion eines „Welt-Scheinwerfers“ beginnen. Ein Autoscheinwerfer, der unabhängig von rund einem Dutzend verschiedener regionalen Anforderungen in allen Märkten rund um den Globus einsetzbar sein soll, um die Kosten deutlich zu reduzieren.
Produktionsstart des „Welt-Scheinwerfers“ in Mexiko
Intelligente Softwareansteuerung realisiere über ein baugleiches Lichtmodul alle Lichtfunktionen und passe sie regionalen Erfordernissen flexibel an. Neben Mexiko soll bald eine zweite Serienfertigung in Jiaxing beginnen.
Spruchreif ist auch das System „Smart Car Access“, mit dem Autos per Smartphone geöffnet, gestartet und geschlossen werden können. Voraussichtlich 2023 wird es in Serien-Pkw zu haben sein.
Hella will auch weiter kontinuierlich in Forschung- und Entwicklung investieren, die Mannschaft dafür nur eben auf der ganzen Welt verteilen. Die F+E-Quote ist im abgelaufenen Geschäftsjahr mit über 10 Prozent und rund 620 Millionen Euro nicht nur relativ gestiegen.
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Während in Lippstadt hier Personal abgebaut wird, wird in diesem Bereich in den anderen Märkten Personal aufgebaut. Im Juli hatte Rolf Breidenbach hier die Hausnummer von bis zu 700 Entwicklern weltweit genannt. Insgesamt gelte für die kommenden Jahre, „dass wir lernen müssen, uns in schrumpfenden Märkten zu positionieren“, so Breidenbach. Der Hella-Chef ist nicht einmal so sicher, „ob wir das Niveau von 2017 bei den Autoverkäufen überhaupt wieder erreichen.“
95 Millionen Fahrzeuge wurden vor damals verkauft. 2020 wird mit 69 Millionen gerechnet – selbst das gilt in der Branche nicht als fix. Für das laufende Geschäftsjahr rechnen die Lippstädter mit einem Umsatz zwischen 5,6 und 6,1 Milliarden Euro – die Spanne verdeutlicht, wie groß die Unwägbarkeiten in der Branche aktuell sind.
Ausgewählte Kennzahlen des Geschäftsjahres 2019/20:
Der Umsatz sank gegenüber dem Vorjahr um 14,3 Prozent auf 5,8 Milliarden Euro (Vorjahr: 6,8 Milliarden Euro). Zählt man die Umsätze der inzwischen verkauften Geschäfte Großhandel und Behr Hella Service dazu, lag Hella im Vorjahr bei rund 7 Milliarden Euro Umsatz.
Im vierten Quartal des zurückliegenden Geschäftsjahres (März bis Mai) hat Hella wegen der schlechteren Absatz-Aussichten in den kommenden Jahren eine außerplanmäßige Wertminderungen in Höhe von 533 Millionen Euro vorgenommen.
Hella hat nach eigenen Angaben das Geschäftsjahr mit einem berichteten operativen Ergebnis (EBIT) von minus 343 Millionen Euro abgeschlossen (Vorjahr: 808 Millionen Euro).
Der bereits begonnene weltweite Personalabbau hat dazu geführt, das Hella aktuell nur noch gut 36.000 Beschäftigte weltweit zählt, davon rund 2000 Softwareexperten. In Deutschland arbeiten rund 9500 Menschen an noch 15 Standorten für den Konzern. In Lippstadt sind es aktuell rund 5100 Beschäftigte.