Osterholz-Scharmbeck/Iserlohn. Die Kirchhoff-Gruppe startet als erstes deutsches Unternehmen die Serienproduktion von Wasserstoff-Nutzfahrzeugen und ist Daimler&Co weit voraus.

Elektromobilität ist das Megathema bei der Verkehrswende. Die Zukunft dürfte allerdings kaum allein batterieelektrisch sein. Die Faun Umwelttechnik, Hersteller von Nutzfahrzeugen in der Kirchhoff Gruppe, setzt auf Brennstoffzellentechnik in Verbindung mit grünem Wasserstoff und ist damit großen Nutzfahrzeugherstellern wie Daimler um Jahre voraus.

Bei Faun startet jetzt bereits die Serienproduktion von Müll- und Reinigungsfahrzeugen mit Brennstoffzellenantrieb, während Daimler mit Volvo im Frühjahr gerade erst einmal ein Joint-Venture gegründet hat, um das Thema zu beflügeln. Das Ziel: Mitte der 2020er Jahre mit der Serienproduktion zu starten.

Erster Realbetrieb in Bremen

Seit dieser Woche ist das erste „Bluepower-Fahrzeug“ von Faun bei den Bremer Stadtwerken im Realbetrieb auf der Straße, ab 1. Januar geht es in die Massenproduktion. Vorher werden aber noch ausgewählte Kunden in Nordrhein-Westfalen ihre Fahrzeuge erhalten, nämlich in Duisburg und Wuppertal. An der Wupper sind bereits seit Anfang des Jahres Wasserstoff-Busse im Einsatz.

150 Mal mehr Leistung als batterieelektrisch

Der Vorteil des Bluepower-Systems gegenüber einem rein batterieelektrisch betriebenem Lkw ist die Reichweite bzw. das Gewicht. Die Brennstoffzelle und der Wasserstofftank am Fahrzeug sind um ein Vielfaches leichter als eine vergleichbar starke Batterie. Das heißt, die Nutzlast bleibt erhalten. Zudem sind Batterien teuer und die Ressourcen für die Herstellung begrenzt. „Eine Brennstoffzelle leistet bei gleichem Gewicht das 150-fache an Leistung gegenüber einer Batterie und das 3,5-fache eines Dieselmotors“, sagt Faun-Ingenieur Sandkühler. Der optimale Wirkungsgrad liege bei 50 Prozent, der eines Diesel bei 35 Prozent.

Bei den Bluepower-Fahrzeugen stehen die Wasserstoff-Tanks unter 700 bar Druck. Ingenieur Sandkühler beruhigt: „Die H2-Tanks sind sogar beschusssicher.“ Das sei mit Mörsergranaten getestet worden. Im Falle eines Unfalls gäbe es im lediglich eine steil aufsteigende Stichflamme wie bei einer Knallgasprobe im Chemieunterricht – jedenfalls keine Explosion.

Die Investition in ein Bluepower-Fahrzeug ist doppelt so hoch ist wie bei einem Müll- oder Kehrfahrzeug mit konventionellem Verbrennermotor – schätzungsweise eine halbe Million Euro kostet der Bluepower.

Den offiziellen Startschuss zur Serienproduktion gab Ende vergangener Woche kein geringerer als Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) im Werk in Osterholz-Scharmbeck an der Seite von Johannes Kirchhoff, Gesellschafter der Kirchhoff-Gruppe und Chef der Umweltsparte Ecotec. Zu Ecotec gehören neben Faun noch die Marken Zoeller, Hidro-Mak (Türkei) und Superior Pak (Australien) sowie Farid (Italien).

Die Kirchhoff-Tochter Faun startet im Werk in Osterholz-Scharmbeck bei Bremen die deutschlandweit erste Serienproduktion von Wasserstoff-Nutzfahrzeugen. Zum offiziellen Start kam Niedersachsens Ministerpräsident Weil. Im Bild von links: MP Stephan Weil, Faun CEO Patrick Hermannspann und Dr. Johannes Kirchhoff (Gesellschafter Kirchhoff Gruppe).
Die Kirchhoff-Tochter Faun startet im Werk in Osterholz-Scharmbeck bei Bremen die deutschlandweit erste Serienproduktion von Wasserstoff-Nutzfahrzeugen. Zum offiziellen Start kam Niedersachsens Ministerpräsident Weil. Im Bild von links: MP Stephan Weil, Faun CEO Patrick Hermannspann und Dr. Johannes Kirchhoff (Gesellschafter Kirchhoff Gruppe). © Faun | Faun

Für Weil war der Besuch in Osterholz-Scharmbeck vor der Haustür von Bremen eine willkommene Gelegenheit darauf zu verweisen, dass „aus Niedersachsen Wasserstofffahrzeuge kommen, die künftig zu einer klimaneutralen Infrastruktur beitragen werden“.

Bereits seit 2011 beschäftigt sich der „Daniel Düsentrieb“ der Faun GmbH, der Ingenieur Georg Sandkühler, mit dem Brennstoffzellenantrieb. Als Zwischenlösung hat der Leiter der Abteilung Entwicklung alternativer Antriebe mit seinem Team den „Dualpower“ entwickelt, ein Hybridfahrzeug mit Batterie- und Dieselantrieb.

H2 verdrängt den Diesel

„Wasserstoffantriebe haben viel mehr Entwicklungspotenzial als batteriebetriebene“, ist Ecotec-Chef Johannes Kirchhoff seit langem überzeugt.

Der Einsatz von Wasserstoff für Elektroantriebe ist insbesondere für schwere Fahrzeuge und schwierigere Topographien (siehe Wuppertal) eine echte Alternative zum Diesel. „Wasserstoff ist das neue Öl. Nur mit Wasserstoff werden wir einen klimaneutralen Verkehrssektor erreichen können“, legt Faun-Geschäftsführer Patrick Hermannspann für ein mittelständisches Unternehmen einiges Selbstbewusstsein an den Tag.

Auch interessant

Richtig klimaneutral wird es allerdings erst, wenn die Infrastruktur zur Technik passt. Nur wenn der Wasserstoff „grün“ erzeugt wird, also bei der Elektrolyse regenerative Energien wie Wind- und Sonnenkraft genutzt werden oder auch Anlagenabwärme.

Konkurrenz aus USA

Das Werk in Osterholz-Scharmbeck verlassen jährlich rund 1200 Fahrzeuge. „Innerhalb von fünf Jahren werden wir mehr Wasserstoff- als Dieselfahrzeuge ausliefern“, verspricht Hermannspann. Nach eigenen Angaben will man ab 2030 nur noch Hybridfahrzeuge verkaufen. Bislang ist die Produktion von Wasserstoff-Nutzfahrzeugen bei Faun deutschlandweit einmalig.

Auch interessant

Die Kirchhoff-Gruppe hat also die Nase vorn. Aber es drängen schon Mitbewerber auf den Markt, die ein höheres Tempo als Daimler und Volvo vorlegen wollen, etwa das US-Startup Nikola Motors. Die Amerikaner haben sich mit dem Branchen-Schwergewicht Iveco zusammengetan und wollen in Ulm die Serienproduktion des Elektrolasters TRE ab 2021 starten. Ein allerdings rein batterieelektrisches Modell. Erst 2023 soll ein Brennstoffzellenfahrzeug auf den Markt kommen, das dann dem „Bluepower“ möglicherweise echte Konkurrenz machen könnte.