Bochum. Nach Einschätzung des Chefs der GLS Bank, Thomas Jorberg, geht vom Klimawandel eine größere Gefahr aus als von der Coronavirus-Pandemie.

Der Vorstandssprecher der Bochumer GLS Bank, Thomas Jorberg, warnt angesichts der Corona-Krise vor zu wenigen Anstrengungen für den Klimaschutz. „Die Gefährdungslage durch die Klimakrise ist im Vergleich zum Coronavirus ungleich höher“, sagt Jorberg im Interview mit unserer Redaktion. „Schon heute sterben durch die Wetterereignisse, Brände, Stürme und Überflutungen unzählige Menschen, ganz zu schweigen von der sich weiterentwickelnden Gefährdung durch den Anstieg des Meeresspiegels.“ Die zukünftige Generation werde ihre Lebensgrundlage auf der Erde nicht mehr finden, wenn sich nichts ändere, mahnt der Chef der GLS Bank. „Wenn die Enkelgeneration die Älteren gefährdet, wie es jetzt der Fall ist, dann wird in der Politik gehandelt – und zwar mit unglaublichen Summen. Aber wenn die Älteren die Zukunft der nachfolgenden Generationen aufs Spiel setzen, wie bei der Klimakatastrophe, dann zögern wir.“ Das Interview im Wortlaut lesen Sie hier:

Herr Jorberg, was haben Sie gedacht, als Sie zum ersten Mal von dem neuartigen Virus in China gehört haben?

Jorberg: Das schien weit weg zu sein. Ich hätte mir nicht ausgemalt, dass es um ein Thema geht, das einmal die ganze Welt betreffen wird. Mein Aufweckerlebnis waren die Coronavirus-Fälle in Heinsberg. Plötzlich war es ganz nah.

Wie haben Sie reagiert?

Jorberg: Nach dem Gefühl der Betroffenheit hat es eine Weile gedauert, bis mir deutlich wurde, da müssen wir etwas tun, auch als Gesellschaft insgesamt. Dann haben wir konsequent im Unternehmen gehandelt, mit Abstandsregeln und Homeoffice etwa. Die Filialen haben wir geschlossen. Der Betrieb läuft aber voll weiter. Bis wir die Filialen wieder öffnen, warten wir zunächst einmal ab, wie sich die Lockerungen auf das Infektionsgeschehen auswirken.

Ist das Ausdruck dessen, dass Sie die Lockerungen skeptisch sehen?

Jorberg: Nein, das nicht. Es ist bei uns so, dass die Kunden ja bestens versorgt sind über Online-Banking und telefonische Beratung.

Sie könnten also ohne Filialen klarkommen?

Jorberg: Im Prinzip schon, aber einer ganzen Reihe von Kunden fehlt die persönliche Begegnung, uns auch.

Wie hat sich Ihre Organisation verändert?

Jorberg: Sehr schnell. Innerhalb von einer Woche waren 40 bis 50 Prozent der Mitarbeitenden im Homeoffice. Durch die frei werdenden Plätze im Haus konnten wir die Abstände einhalten. Ich war erstaunt, wie rasch einschneidende organisatorische Veränderungen möglich sind, wie flexibel unsere Mitarbeitenden reagiert haben – und wie die Eigenverantwortung gestärkt wurde. Da kann man einiges lernen für die Zukunft, auch in der Einschätzung, wie zügig Veränderungen, wenn sie sein müssen, machbar sind.

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Wie nehmen Sie die gesellschaftliche Stimmung wahr?

Jorberg: Es gab über viele Wochen eine erstaunlich hohe Akzeptanz trotz der Einschränkungen durch die Beschlüsse der Politik. Im Moment ist es spürbar, dass die Stimmung kippt und stark hinterfragt wird, was notwendig war und ist. Es gibt aber auch eine Diskussion darüber, wie wir in die Zukunft gehen wollen. Ich spüre eine Nachdenklichkeit hinsichtlich der Frage, was wir wirklich brauchen. Ist der viele Konsum, den wir hatten, sinnvoll? Oder das hohe Verkehrsaufkommen mit seinem immensen CO2-Ausstoß?

Wünschen Sie sich etwa, dass die Wirtschaft stillsteht?

Jorberg: Nein, ganz sicher nicht, aber wir können nicht so weitermachen wie bisher. In Bezug auf die Vermeidung der Klimakatastrophe müssen wir viel konsequenter handeln. Die Aussage, dies lasse sich nicht finanzieren, ist jetzt nicht mehr haltbar . Wir haben in der Corona-Krise gelernt, wie schnell innerhalb weniger Tage Billionenbeträge zur Verfügung standen. Wir haben gemerkt, dass Dinge möglich sind, die vor Monaten noch undenkbar schienen.

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Der große Unterschied ist, dass eine Virusinfektion unmittelbar ist, aber der Klimawandel schleichend kommt.

Jorberg: Ja, die direkte Betroffenheit und die Angst wegen Corona erzielen eine Wirkung, obwohl die Gefährdung der Menschheit durch den Klimawandel wesentlich höher ist als durch die Pandemie. Schon heute sterben durch die Wetterereignisse, Brände, Stürme und Überflutungen unzählige Menschen, ganz zu schweigen von der sich weiterentwickelnden Gefährdung durch den Anstieg des Meeresspiegels. Wenn das so weitergeht, werden in nicht allzu ferner Zukunft die niederländischen Städte überschwemmt sein ebenso wie andere Metropolen in Europa, Kopenhagen etwa. Die Gefährdungslage durch die Klimakrise ist im Vergleich zum Coronavirus ungleich höher.

Wollen Sie etwa das Risiko durch die Pandemie relativieren?

Jorberg: Wenn man meint, relativieren hieße, die Pandemie nicht ernst zu nehmen, dann ist das nicht der Fall. Relativieren in dem Sinne, die aktuelle Situation ins Verhältnis zu setzen zum Klimawandel – das müssen wir tun. Der Lerneffekt muss sein, die viel größere Katastrophe ernst zu nehmen. Vor allem sollten wir aus dem lernen, was wir in der Corona-Krise getan haben. Wir müssen ähnlich konsequent handeln, wenn wir ein Natur- und Massensterben durch die Klima-Krise verhindern wollen.

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Eine Pandemie und der Klimawandel – das sind doch ganz unterschiedliche Phänomene.

Jorberg: Aber die Handlungsweise in der Corona-Krise ist beispielhaft und kann uns eine Leitschnur für den Umgang mit der Erderwärmung geben. Beim Klimawandel haben wir ebenfalls Ereignisse vergleichbar mit den Coronavirus-Fällen in Heinsberg oder Oberitalien. Ich denke an die Waldbrände in Australien. Auch bei der Corona-Entwicklung hatten wir einige wenige Hotspots – und ansonsten hören wir auf die Virologen und handeln. Ähnliches ist bei der Klimakrise auch notwendig. Hier sind die Prognosen und Empfehlungen aus der Wissenschaft ebenfalls klar.

Was schwebt Ihnen denn vor?

Jorberg: Eine Absatzförderung für CO2-emittierende Fahrzeuge zu beschließen, wie es die Autoindustrie fordert, wäre jedenfalls unverantwortlich. Wer jetzt kurzfristig Prämien für SUVs auslobt, der zementiert die bisherige Art und Weise unserer Mobilität. Der „Green Deal“, den die Europäische Kommission, allen voran Ursula von der Leyen vorgeschlagen hat, geht in die richtige Richtung. Wir brauchen eine CO2-Abgabe, die ausnahmslos für sämtliche Wirtschaftszweige gilt und unwiderruflich ansteigt.

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Lässt es Sie kalt, wenn Beschäftigte in der Autoindustrie um ihren Job bangen?

Jorberg: Natürlich nicht. Aber zur Wahrheit gehört auch, dass jede Transformation zur Folge hat, dass Arbeitnehmer in manchen Branchen weniger Jobs finden, in anderen aber mehr. Wenn wir heute nicht umsteuern, werden wir morgen nicht wettbewerbsfähig sein. Im Moment werden Billionenbeträge in die Hand genommen. Der Einsatz dieser Steuermittel ist nur zu rechtfertigen, wenn das Geld auch zum Erhalt einer lebensfähigen Natur beiträgt. In der Corona-Krise werden zum unmittelbaren Schutz der Gesellschaft Maßnahmen beschlossen, die vorher für viele unvorstellbar waren. So schützen die Jungen die Alten, die durch das Virus besonders gefährdet sind. In Zukunft müssen die Alten die Jungen schützen, die Gefahr laufen, dass ihnen die Lebensgrundlage entzogen wird.

Sie meinen, die Corona-Krise und der Klimawandel sind Generationenkonflikte?

Jorberg: Wenn die Enkelgeneration die Älteren gefährden, wie es jetzt der Fall ist, dann wird in der Politik gehandelt – und zwar mit unglaublichen Summen. Aber wenn die Älteren die Zukunft der nachfolgenden Generationen aufs Spiel setzen, wie bei der Klimakatastrophe, dann zögern wir. Die zukünftige Generation wird ihre Lebensgrundlage hier auf der Erde nicht mehr finden, wenn wir einfach so weitermachen. Es ist absehbar, dass wir in wenigen Jahren einen CO2-bedingten Shutdown benötigen, wenn wir nicht umsteuern. Und der ist dann noch schlimmer als der jetzige, Corona-bedingte.