Essen. Ein Beratergremium erwartet im Zuge der der Corona-Krise Engpässe bei Obst und Gemüse. Der Markt in Deutschland ist sehr von Importen abhängig.
Während der Corona-Krise könnten nach Einschätzung eines hochrangig besetzten Beratergremiums Obst und Gemüse in Deutschland knapp werden. In einer Analyse der von Bund und Ländern geförderten Deutschen Akademie der Technikwissenschaften (Acatech) wird auf einen vergleichsweise geringen Selbstversorgungsgrad bei diesen Lebensmitteln verwiesen.
Obst und Gemüse werden knapper und teurer
Der Bedarf an Obst werde in Deutschland lediglich zu 22 Prozent selbst gedeckt, bei Gemüse seien es 37 Prozent. Hier werde es „voraussichtlich zu Engpässen kommen“, so die Experten. „Auf Importe beispielsweise aus Italien oder Spanien können wir uns in den Sommermonaten wohl nicht in gewohntem Ausmaß verlassen. Obst und Gemüse werden in der Folge knapper und teurer werden“, heißt es in der Analyse. „Das dürfte vor allem untere Einkommensschichten treffen.“
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Engpässe befürchten die Experten insbesondere bei Ernten, für die viele Arbeitskräfte erforderlich sind, so etwa bei Spargel und Erdbeeren sowie im Herbst bei Äpfeln und Wein. Probleme entstünden beispielsweise, wenn Saisonarbeitskräfte aus anderen EU-Mitgliedsländern fehlen. „Offene Grenzen für diese Arbeitskräfte sind daher unverzichtbar“, heißt es in der Acatech-Studie. Auch die Aussaat oder das Auspflanzen von Salat und Gurken seien von Saisonarbeitern abhängig.
Bei Fleisch, Kartoffeln, Milch und Getreide ist Deutschland stark
Die Grundversorgung mit Lebensmitteln in Deutschland sehen die Experten „nach allem Dafürhalten nicht in Gefahr“. Denn bei Fleisch, Milch, Kartoffeln, Zucker und Getreide werde hierzulande mehr produziert, als für den Eigenbedarf erforderlich sei. So erreiche die Selbstversorgungsquote bei Fleisch 117 Prozent, bei Kartoffeln seien es 135 Prozent. Auch bei Milch (113 Prozent), Getreide (106 Prozent) und Zucker (125 Prozent) ist die Bundesrepublik stark.
Die Deutsche Akademie der Technikwissenschaften (Acatech), die unter der Schirmherrschaft des Bundespräsidenten arbeitet, berät die Politik bei wichtigen gesellschaftlichen Fragen. An der Corona-Studie war unter anderem Christoph M. Schmidt vom Essener RWI Leibniz-Institut federführend beteiligt.
Mitgewirkt haben weitere renommierte Wissenschaftler wie Ann-Kristin Achleitner von der Technischen Universität München, Michael ten Hompel vom Dortmunder Fraunhofer-Institut für Materialfluss und Logistik, Tilman Grune vom Deutschen Institut für Ernährungsforschung und der RWI-Konjunkturexperte Roland Döhrn.
Preise für Blumenkohl und Brokkoli schon deutlich gestiegen
Schon jetzt ist zu beobachten, dass die Preise für Frischgemüse aufgrund der Corona-Krise steigen, wie die Agrarmarkt Informations-Gesellschaft (AMI) in Bonn berichtet. Eine höhere Nachfrage der Verbraucher und eine schwierigere Versorgungslage in wichtigen Lieferländern wirkten sich unter anderem auf die Preise für Blumenkohl und Brokkoli aus. Insgesamt habe frisches Gemüse im März 2020 rund sechs Prozent mehr gekostet als ein Jahr zuvor.
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AMI-Expertin Judith Dittrich verweist darauf, dass sich die Preise für Obst und Gemüse sehr schnell verändern können, abhängig von Angebot und Nachfrage nahezu täglich. So seien Äpfel, Birnen, Tafeltrauben und Orangen bereits jetzt auch aufgrund einer kleineren Ernte teuer als im vergangenen Jahr. Die Preise für Butter oder Fleisch hingegen würden längerfristiger verhandelt. Effekte der Corona-Krise könnten hier noch mit Verzögerung sichtbar werden.
Importe spielen bei Versorgung in Deutschland wichtige Rolle
„Je nachdem, wie die Epidemie sich entwickelt, welche Strategien die Politik zur Eindämmung verfolgt und welche wirtschaftlichen Folgen sich daraus ergeben, ist es eine permanente Herausforderung, sich gegen etwaige Engpässe bei der Grundversorgung abzusichern, bevor diese in einer nennenswerten Größenordnung entstehen könnten“, mahnen die Experten von Acatech.
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Deutschland sei als eine offene Volkswirtschaft nicht nur Exporteur, sondern importiere auch viele für die Grundversorgung notwendige Güter wie Lebensmittel und Energierohstoffe.
Der bei Lebensmitteln relativ hohe Selbstversorgungsgrad in Deutschland sollte nach Ansicht der Experten nicht über krisenbedingte Veränderungen auf den Agrarmärkten hinwegtäuschen. Preise und Einkommen in der heimischen Landwirtschaft seien auch stark vom Export abhängig. Es drohen Absatzeinbußen durch eine mögliche globale Rezession und neue Handelshemmnisse.
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„Kritische Importabhängigkeit“ bei Futtermitteln
Zur Erzeugung der Lebensmittel in Deutschland seien zudem Importe von Saatgut, Mineraldünger, Pflanzenschutzmitteln und Futter notwendig, geben die Acatech-Experten zu bedenken. Offene Grenzen seien daher auch bei vollständiger Selbstversorgung unverzichtbar und sollten weiterhin eine hohe politische Priorität genießen.
Für die Aussaat von Kartoffeln und Zuckerrüben in den kommenden Monaten seien Saatgut und Dünger vorhanden, heißt es in der Studie. Weizen, Gerste und Raps seien bereits im vergangenen Herbst ausgesät worden. Die Ernte hänge von der Witterung in den nächsten Monaten ab, die Bestände entwickelten sich aber überwiegend gut.
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Eine „kritische Importabhängigkeit“ sehen die Acatech-Experten bei Futtermitteln für die Milch- und Fleischproduktion. Die EU importiere etwa die Hälfte ihres Futtermittel-Eiweißbedarfs, vor allem Soja aus Lateinamerika. Wenn der Handel beeinträchtigt sei, werde es zu Preissteigerungen bei den Futtermitteln kommen. Infolgedessen könnten die Fleischpreise steigen.
„Mangelzustände können gesundheitliche Langzeitfolgen haben“
Durch veränderte Konsumgewohnheiten seien in der Corona-Krise auch Auswirkungen auf die Ernährung und damit die Gesundheit der Menschen zu erwarten, heißt es in der Acatech-Studie. Zwar besteht in Deutschland keine grundsätzliche Gefahr der Mangelernährung oder Unterversorgung. „Allerdings könnten Probleme bei der Versorgung mit Ballaststoffen auftreten“, erklärten die Experten mit Verweis auf die Bedeutung von Obst und Gemüse für die Ernährung.
Schon jetzt erreichten 85 Prozent der Bevölkerung den empfohlenen Gemüseverzehr nicht, zwischen 40 und 60 Prozent nicht den empfohlenen Verzehr von Obst. „Eine Verteuerung dieser Produkte könnte den Mangel gerade in unteren Einkommensschichten noch vergrößern.“
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Ähnliches gilt bei Vitaminen, wie es in der Studie weiter heißt. Etwa 80 Prozent der deutschen Bevölkerung hätten schon vor der Corona-Krise nicht den empfohlenen Zufuhrwert an Folsäure (zu 15 Prozent aus Obst und Gemüse) und Vitamin D (zu 50 Prozent aus Fisch) erreicht. Eine Unterversorgung könnte auch bei Vitamin C entstehen (Obst und Gemüse), so die Experten. „Mangelzustände können gesundheitliche Langzeitfolgen haben, etwa erhöhte Anfälligkeit für Bluthochdruck oder Diabetes.“