Hagen. Wenn in Reisebüros das Telefon klingelt, geht es in der Regel um das Thema Stornierung. Die Branche ist schwer unter Druck.
Gerade hat der Reiseverkehrskaufmann Joachim Horn für Stammkunden noch eine Kreuzfahrt gebucht. „Eine Ausnahme. Und eine langfristige Buchung.“ Der Normalfall ist gerade anders: „Wir stehen seit Wochen rund um die Uhr für unsere Kunden Gewehr bei Fuß, um zu helfen.“
Die Beratung dreht sich in der Regel um die Fragen, wie Reisen umgebucht oder storniert werden können. Oder es rufen Leute hilfesuchend an, wie die Kunden, die vor zehn Tagen nach Teneriffa geflogen sind und nun im Hotel aufgrund der Ausgangssperre festsitzen, nicht einmal an den Strand dürfen. „Es sind immer komplett unterschiedliche Sachverhalte“, sagt Horn.
Wohin Reisen (theoretisch) noch möglich sind
Das liegt daran, dass derzeit in den verschiedenen Urlaubsregionen ebenso unterschiedliche Umgangsweisen mit der durch das Coronavirus bestimmten Situation herrschen. „Es gibt eine Liste von den Ländern, in denen Beschränkungen herrschen. Aber diese wird ständig aktualisiert und kann jederzeit anders aussehen“, sagt der Reise-Experte Horn, der im Deutschen Reiseverband (DRV) als Vorstandsmitglied für die mittelständischen Reisebüros sitzt und selbst zwei Büros besitzt.
Inzwischen gibt es den generellen Aufruf der Regierung, weder im In- noch im Ausland zu reisen. Und Bundesaußenminister Heiko Maas hat angekündigt, dass Urlauber zurück geholt werden sollen.
Einheitliche Regelung für Stornierungen fehlt
Die Kunden, die bereits gebucht haben oder dennoch Urlaubsreisen erwägen, interessiert natürlich, wie die Konditionen für Stornierungen aussehen – „aber hier gibt es keine pauschale Aussage, was in dieser Situation durchaus sehr sinnvoll wäre. In Deutschland wäre bei einheitlichen Regelungen aber eher damit zu rechnen, dass dann kartellrechtliche Schwierigkeiten oder sogar Klagen anstehen würden“, kritisiert DRV-Vorstand Joachim Horn. Die momentane Regelung führt zu den zahlreichen, berechtigten Kundenanfragen, denn je nach Reiseveranstalter oder Reederei sind die Stornierungs- und Umbuchungskonditionen höchst unterschiedlich.
Reiseexperte Joachim Horn: „Es bedeutet eine wirtschaftliche Katastrophe“
Selbst bei Inlandsreisen gebe es aktuell kaum Nachfrage. Dies sei auch nicht verwunderlich: „Wie attraktiv ist eine Städtereise nach Berlin, wenn Museen, Bars und Restaurants geschlossen sind?“ Insgesamt herrscht Verunsicherung. Vor allen bei den Kunden, teils aber auch in der Branche selbst. „Für Reisebüros bedeutet die Situation derzeit eine wirtschaftliche Katastrophe“, redet Horn Klartext. In den vergangenen Monaten sei für die Frühjahrs- und Sommerurlaubsbuchungen der Kunden gearbeitet worden. Nun generiere man nicht nur kein Geschäft, sondern arbeite ohne Entgelt an der Rücknahme von Reisen. Den Löhnen und Gehältern, die in den vergangenen Monaten gezahlt wurden, steht quasi kein Ertrag gegenüber.
Die Reisebüros stehen unter Druck, viele von ihnen dürften dann auch auf staatliche Hilfen angewiesen sein, wie auf Kredite der Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) oder das ausgeweitete Kurzarbeitergeld.
Urlaubsguru stockt Kurzarbeitergeld auf
Das Holzwickeder Unternehmen UNIQ mit seinem Online-Reiseportal Urlaubsguru hat für die knapp 100 Mitarbeiter am Stammsitz bereits Kurzarbeit angemeldet. Außerdem wird die Arbeit kurzfristig ins Homeoffice verlegt werden.
„In Wien wird bereits seit einer Woche von zuhause aus gearbeitet“, sagt UNIQ-Sprecherin Annika Hunkemöller. Das Unternehmen hat neben Holzwickede auch seit 2019 noch Büros in Utrecht und auf Mallorca. Für den deutschen Standort gilt eine Aufstockung des gesetzlichen Kurzarbeitergeldes: „Es ist unser Ziel, dass jeder Mitarbeiter trotz Kurzarbeit am Monatsende sein geregeltes Einkommen erhält“, erklärt Daniel Krahn, Gründer von Urlaubsguru, der hofft, dass diese Ausnahmesituation so schnell wie möglich vorbei gehen möge. Die Frequenz auf dem Onlineportal sei um über 50 Prozent eingebrochen. Allein der Verkauf von Reisegutscheinen laufe noch ganz gut, weil die bis zu drei Jahre Gültigkeit haben.
Auf Dauer sicher auch für ein Onlineunternehmen zu wenig, ebenso wie für die Reisebüros vor Ort. „Einige Monate werden die meisten Kollegen die Situation sicher verkraften können“, sagt Horn – die meisten also. Und eben auch nicht ewig.