Essen. Ob Eon, RWE, Evonik oder Hochtief – wegen der Coronakrise stehen die Hauptversammlungen auf der Kippe. Das hätte Folgen für die Dividende.

Bei der Bilanz-Saison haben viele Konzerne schon auf die Coronakrise reagiert. Pressekonferenzen wurden abgesagt und durch Telefonkonferenzen ersetzt, wie unlängst beim Energieversorger RWE und dem Markenartikler Henkel. Wenn es um die bevorstehenden Hauptversammlungen geht, ist dies nicht so einfach möglich. Eine komplette Verlagerung der Aktionärstreffen ins Internet kann es nach Einschätzung von Konzernjuristen nicht geben. So wird in manchen Unternehmen diskutiert, die Hauptversammlungen zu verschieben, was Konsequenzen für die Dividendenzahlungen hätte.

Hinter den Kulissen gibt es Betriebsamkeit, um Lösungen zu finden. Unternehmenssatzungen werden studiert, Behörden konsultiert. Die meisten Hauptversammlungen sind zwischen Ende März bis Ende Mai geplant. So soll das Aktionärstreffen der Deutschen Telekom bereits am 26. März im Bonner World Conference Center stattfinden. In früheren Jahren kamen mehr als 3000 Menschen zu dieser Großveranstaltung.

Grundsätzlich handele es sich bei Hauptversammlungen um Präsenzveranstaltungen mit entsprechenden Regularien, erläutert Kapitalmarktrechtsexperte Frank Regelin von der Frankfurter Kanzlei Norton Rose Fulbright. So müsse etwa ein Notar an einem festen Ort die Präsenz der Teilnehmer feststellen und eine Niederschrift anfertigen. Vorstand und Aufsichtsrat äußern sich zur Lage, dann diskutieren die Aktionäre – und stimmen ab. Außerhalb des Saals werden Essen und Getränke gereicht, oft ist das Gedränge groß.

Unternehmen könnten Versammlungen verschieben

Noch vor wenigen Tagen hat Eon-Chef Johannes Teyssen die letzte Hauptversammlung des von seinem Konzern übernommenen Energieversorgers Innogy in der Essener Philharmonie geleitet, kurz nachdem ein bestätigter Corona-Infektionsfall im angrenzenden Südviertel bekannt wurde. Alle Anwesenden, rund 150 Kleinaktionäre und wohl nicht viel weniger Manager, Aufsichtsräte, Mitarbeiter und Servicepersonal sollten deshalb ihre Personalien auf einer Karte hinterlassen – ähnlich wie auf den Aussteigerkarten, die an Flughäfen an Passagiere verteilt werden. Ob die Innogy-Versammlung heute noch so stattfinden würde, ist fraglich.

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Grundsätzlich sei eine Verschiebung der Hauptversammlung möglich, sagt Marc Tüngler von der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz (DSW) und verweist auf das Aktiengesetz, demzufolge die Treffen der Anteilseigner in den ersten acht Monaten nach Ende des Geschäftsjahres stattfinden müssen. Die meisten AGs hätten also theoretisch noch bis Ende August Zeit. Aber: „Wird verschoben, können keine Beschlüsse gefasst werden“, gibt Tüngler zu bedenken. „Das betrifft die Dividende ebenso wie etwa geplante und wichtige Kapital- oder Strukturmaßnahmen.“ Kleinanleger könnten also zunächst einmal ebenso leer ausgehen wie die kommunalen Aktionäre von RWE oder Pensionsfonds, die Dividenden für ihre Rentenzahlungen einplanen.

Eon, RWE und Hochtief prüfen die neue Situation angesichts des Coronavirus

Im Management der Unternehmen gibt es derzeit Überlegungen, ob und wie die Hauptversammlungen angesichts der Coronakrise stattfinden können. Die Hauptversammlung des Energiekonzerns RWE soll in anderthalb Monaten in der Essener Grugahalle stattfinden, am 28. April. „Wir beobachten die Entwicklung der Situation mit der Ausbreitung des Coronavirus sehr genau und prüfen, wie sich die weiteren behördlichen Empfehlungen und Maßgaben auf die Durchführung unserer Hauptversammlung auswirken“, heißt es bei RWE. Aktuell treffe das Unternehmen „weiterhin alle Vorkehrungen, um die Hauptversammlung planmäßig und sicher abwickeln“ zu können.

Viele Konzerne befinden sich in Wartestellung. „Wir prüfen alle Optionen“, heißt es beim Essener Chemiekonzern Evonik. Bis Anfang April soll die Entscheidung zum bislang für den 27. Mai geplanten Aktionärstreffen fallen. Auch eine Terminverschiebung gilt im Unternehmen als denkbar, da eine reine Online-Hauptversammlung rechtlich nicht zulässig sei.

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Der Essener Baukonzern Hochtief und der Energieriese Eon befassen sich ebenfalls mit der neuen Situation. „Wir prüfen gerade die Rahmenbedingungen, haben noch keine endgültige Entscheidung getroffen“, teilt Hochtief auf Anfrage mit. Beim angeschlagenen Stahl- und Industriegüterkonzern Thyssenkrupp gibt es indes keinen Entscheidungsbedarf in Sachen Hauptversammlung. Wegen eines versetzten Geschäftsjahres haben sich die Aktionäre bereits Ende Januar in Bochum versammelt.

Hauptversammlungen vor leeren Rängen möglich

Reine Online-Hauptversammlungen sehe das Aktiengesetz nicht vor, wird beim Deutschen Aktieninstitut (DAI) betont. Wenn es wirksame Beschlüsse geben soll, sei ein Verzicht auf eine Präsenzversammlung nicht möglich. Auf Internet-Lösungen könnten in erster Linie Unternehmen zurückgreifen, die Online-Beteiligungsformen bereits in ihren Satzungen vorsehen und technisch dazu in der Lage seien, sagt Kapitalmarktrechtsexperte Regelin. Für die übrigen Gesellschaften, die darauf nicht vorbereitet seien, könnten Online-Elemente auch Anfechtungsrisiken bergen.

Aktionären, die sich Sorgen machen, rät Marc Tüngler von der DSW, der Hauptversammlung fernzubleiben, aber dennoch sicherzustellen, dass sie ihre Rechte wahrnehmen. Dies könne durch eine Übertragung der Stimmrechte an einen Dritten, eine Briefwahl oder eine Online-Teilnahme geschehen. „Wer seine Stimmrechte übertragen möchte, kann ausdrücklich per Weisung festlegen, wie abgestimmt werden soll. Man behält also die volle Kontrolle“, sagt Tüngler. Er hält es für möglich, dass es zunehmend Hauptversammlungen vor leeren Rängen geben wird.