Essen. BMW-Chef Zipse will anders als Daimler beim Umstieg auf E-Autos keine Stellen abbauen. Uns sagt er, wie das geht. Und warum er Tempo 130 ablehnt.

Der Umstieg auf Elektroantriebe kostet viele Tausend Arbeitsplätze bei deutschen Autobauern, allen voran bei Daimler. BMW will es ohne Personalabbau schaffen – wie das gehen soll, erklärte Vorstandschef Oliver Zipse im Interview mit unserer Redaktion. Dabei richtet er eine ungewöhnlich deutliche Kampfansage an die Konkurrenz, die sich „nur mit Ankündigungen überboten“ habe. Der 56-Jährige, seit einem halben Jahr Chef des bayrischen Premium-Herstellers, sagt auch, warum es weiter Diesel geben wird und warum er gegen ein generelles Tempolimit auf deutschen Autobahnen ist.

Herr Zipse, die deutsche Autoindustrie setzt bei den Investitionen inzwischen voll auf Elektromobilität. Ein unumkehrbarer Weg?

Oliver Zipse: Elektromobilität ist für die BMW Group eine technologische Selbstverständlichkeit – und das schon seit vielen Jahren. Wir investieren Milliarden in das Auto der Zukunft. Aber dabei geht es um viel mehr als den Hochlauf einer einzelnen Antriebstechnologie. Auch wenn in der Öffentlichkeit derzeit alles auf die rein batterieelektrische Mobilität schaut.

Zipse beim CAR-Symposium in Bochum

BMW-Chef Oliver Zipse ist der prominenteste Gast beim CAR-Symposium, das am 11. und 12. Februar im Bochumer Ruhr-Congress stattfindet. Unter den Top-Gästen finden sich auch Jaguar-Chef Ralf Speth, Daimler-Vorstand Markus Schäfer und VW-Vertriebschef Jürgen Stackmann.

Organisiert wird das CAR-Symposium von Ferdinand Dudenhöffer, dem Leiter des CAR-Instituts der Universität Duisburg-Essen. Der Titel heißt dieses Jahr: „Roll-Out der Elektromobilität in Zeiten von Handelskriegen“.

E-Autos fahren sauber, ihre Produktion ist aber noch nicht sehr umweltfreundlich. Wann produzieren Sie klimaneutral?

Zipse: Dieses Jahr werden wir an all unseren Standorten weltweit ausschließlich Strom aus regenerativen Energiequellen beziehen. Außerdem haben wir seit 2006 den Ressourcenverbrauch und die Emissionen für die Produktion eines Fahrzeugs im Durchschnitt etwa halbiert. Damit sind wir im Wettbewerb führend. Richtig ist aber auch: Ein Großteil der CO2-Emissionen von E-Autos entsteht in der Lieferkette – von der Rohstoffgewinnung bis zur energieintensiven Herstellung der Batteriezellen. Auch dieses Feld haben wir sehr genau im Blick.

Bei der Ladeinfrastruktur hakt es noch

Wer baut die nötige Ladeinfrastruktur in Deutschland? Sollten Ladesäulen bei neuen Wohnungsbauten und Bürogebäuden Pflicht werden? Wünschen Sie sich finanzielle Anreize für mehr öffentlich zugängliche Ladesäulen?

Zipse: Der Ausbau der Infrastruktur ist ein entscheidender Faktor für den Erfolg der E-Mobilität – aber auch derjenige, bei dem es noch an vielen Stellen hakt. Wir gehen hier bewusst in Vorleistung: Zum Beispiel installieren wir bis Ende 2021 gemeinsam mit Eon über 4000 Ladepunkte an unseren deutschen Standorten – alle mit Grünstrom betrieben. Aber nachhaltige Mobilität ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, da braucht es auch die Unterstützung aus der Politik.

Die IG Metall sorgt sich um Hunderttausende Arbeitsplätze, wenn der Umstieg auf Elektroantriebe klappt. Zu Recht?

Zipse: Mit Blick auf die BMW Group ist die Sorge unbegründet. Wir wissen seit Jahren, dass der Hochlauf der E-Mobilität Veränderungen mit sich bringt – und wir haben uns rechtzeitig vorbereitet. Unsere Werke sind für die E-Mobilität befähigt, wir haben bereits Tausende Mitarbeiter zu dem Thema qualifiziert und wir entwickeln und fertigen zum Beispiel unsere E-Maschinen selber. Transformation passiert nicht über Nacht und es ist eine unternehmerische Aufgabe, diesen Übergang erfolgreich zu gestalten. Wir haben unsere Hausaufgaben gemacht!

Aktuell laufen bei BMW noch immer schwere SUV am besten, Umweltaktivisten nennen BMW einen „Klimakiller“. Findet die Mobilitätswende bisher ohne die Kunden statt?

Zipse: Nachhaltige Mobilität kann nur gelingen, wenn die Kunden überzeugt sind. Technologien, die am Kunden vorbei entwickelt werden, bleiben wirkungslos – auch für den Klimaschutz. Wenn Lösungen für Nachhaltigkeit wirksam sein sollen, dann müssen wir die Menschen begeistern, statt bevormunden. Deswegen bieten wir in fast jeder Baureihe mindestens ein elektrifiziertes Modell an. Der Kunde muss die Wahl haben und sich ohne Kompromisse für E-Mobilität entscheiden können. Wir bieten ihm diese Wahlmöglichkeit zwischen den verschiedenen Antriebsarten – wir nennen das ‚Power of Choice‘. Und erlauben Sie mir eine Anmerkung zu SUVs: Auch die werden immer effizienter. Unser X5 verbraucht als Plug-in-Hybrid nur zwei Liter auf 100 Kilometer – und wird übrigens vor allem von Familien und älteren Menschen geschätzt.

Mehr E-Autos als alle anderen Premiumhersteller zusammen

Der BMW i3 ist abhängig von Ladesäulen. Eine Version mit Onboard-Stromerzeugung durch einen zusätzlichen kleinen Verbrennungsmotor als sogenannter Range Extender wurde mangels Erfolg aus dem Programm genommen.
Der BMW i3 ist abhängig von Ladesäulen. Eine Version mit Onboard-Stromerzeugung durch einen zusätzlichen kleinen Verbrennungsmotor als sogenannter Range Extender wurde mangels Erfolg aus dem Programm genommen. © dpa | Patrick Pleul

Bereits 2013 hat BMW mit dem kompakten i3 als erster deutscher Hersteller ein Elektroauto in Großserie gebaut. Warum hat BMW danach die Führungsrolle nicht ausgebaut, sondern fast kampflos abgegeben?

Zipse: Einspruch! Wir haben unsere Führungsrolle sehr wohl ausgebaut: Das meistverkaufte Elektroauto 2019 in Deutschland war ein BMW. Weltweit haben wir bereits über eine halbe Million elektrifizierte Fahrzeuge auf der Straße, während sich die meisten Wettbewerber nur mit Ankündigungen überboten haben. Deswegen haben wir in diesem Bereich auch einen höheren Marktanteil als alle anderen deutschen Premiumhersteller zusammen. Und wir machen weiter Tempo. Jetzt gelten die verschärften CO 2 -Ziele, zu denen wir uns glasklar bekannt haben. Wir werden ja sehen, wer die Werte erreicht und wer nicht.

Bis 2030 soll die Hälfte der BMW-Flotte in Europa elektrifiziert sein. Welchen Anteil werden daran reine Batterieautos haben, und welchen Plug-in-Hybride, die nur kurze Strecken elektrisch bewältigen?

Zipse: Der Anteil lässt sich noch nicht exakt prognostizieren und wird sich von Land zu Land unterscheiden. Genau deswegen setzen wir auf intelligente Architekturen und können je nach Kundenwunsch zwischen vollelektrischen, konventionellen und Plug-in-Modellen abtauschen. So erfüllen wir die Wünsche der Kunden und sichern die Auslastung unserer Werke, egal wie sich die Nachfrage entwickelt. Das ist ein entscheidender Vorteil in dieser Transformation.

„Für einige bleibt Diesel der effizienteste Antrieb“

Und wo wird der Diesel am Ende der Dekade stehen?

Zipse: Es wird weiterhin Kunden geben, für deren Fahrprofil der moderne Diesel der effizienteste Antrieb bleibt. Deswegen entwickeln wir auch unsere konventionellen Technologien weiter und reduzieren mit jeder neuen Motorengeneration Verbrauch und CO2-Emissionen deutlich. Auch dies trägt zur Erreichung der CO2-Ziele bei.

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Die ursprünglich für November 2019 versprochene Erhöhung der Neuwagenprämie für E-Autos auf 6000 Euro kommt laut dem Bundeswirtschaftsministerium jetzt frühestens in drei Monaten. Laut dem Zentralverband des Kfz-Handwerks halten sich Käufer deshalb zurück. Bei BMW auch?

Zipse: Wir haben sehr attraktive Modelle am Markt und sehen eine weltweit steigende Nachfrage. Dennoch setzen wir auf eine zügige Freigabe der Prämie, um Unsicherheit bei den Kunden zu vermeiden.

Sie setzen mit Daimler auf eigene Car-Sharing-Modelle und die Taxi-Alternative Free Now. Wenn immer mehr Städter kein eigenes Auto brauchen – untergräbt das nicht ihr Kerngeschäft?

Zipse: Im Gegenteil: Die On-Demand-Mobilität spielt sich überwiegend in den Zentren großer Städte ab – dort, wo die Fahrt mit einem eigenen Auto wenig effizient ist. Gerade unsere Kunden leben aber zum Großteil in suburbanen Gegenden oder kleineren Städten in den Landkreisen. Das breite Angebot an Mobilitätsformen der Innenstädte existiert dort nicht. Außerdem möchte nicht jeder sein Auto teilen, viele genießen die Privatsphäre im eigenen Fahrzeug. Deswegen wächst das Premiumsegment weiter – individuelle und gleichzeitig nachhaltige Mobilität hat Zukunft.

„Wir halten unser Personalniveau stabil“

Braucht es für den schmucklosen, sparsamen Stadtflitzer der Zukunft überhaupt noch Premium-Hersteller?

Zipse: Wollen Kunden denn wirklich „schmucklose“ Autos? Millionen Menschen weltweit begeistern sich für diese Produkte mit großartigem Design und modernsten Funktionen. Schauen Sie nach China oder in die USA. Ein modernes Auto ist ein Hochtechnologieprodukt, umfassend vernetzt, intelligent und voller Sensorik. All diese Technologien müssen als System nahtlos ineinandergreifen – das erfordert eine immense technologische Kompetenz, die wir als Premium-Hersteller über viele Jahrzehnte aufgebaut haben. Insofern bin ich überzeugt, dass unser Geschäftsmodell sogar noch gestärkt wird.

Derzeit sieht es aber stark danach aus, dass in der Oberklasse die meisten Arbeitsplätze wegfallen.

Zipse: Ich kann nicht für Wettbewerber sprechen, aber wir brauchen unsere Mannschaft für unseren Wachstumskurs und halten das Personalniveau stabil. Wir teilen auch nicht den Pessimismus, mit dem über unsere Branche gesprochen wird. Unser Absatz ist 2019 gewachsen und wir rechnen auch dieses Jahr mit steigender Nachfrage. Jüngstes Beispiel: Im Januar ist BMW in Deutschland gegen den Trend um 6,5 Prozent gewachsen. Solche Erfolge sind kein Zufall, denn wir haben uns seit Jahren strategisch auf diese Transformation vorbereitet. 2020 entfaltet sich nun unser volles Potential – genau im richtigen Moment.

„Starres Tempolimit wäre unwirksam“

Selbst der ADAC verteidigt nicht mehr uneingeschränkt die „Freie Fahrt für freie Bürger“. Warum sind Sie noch gegen die Einführung eines generellen Tempolimits auf der Autobahn?

Zipse: Hier sind zwei von mehreren Gründen: Die Effekte für Sicherheit oder Klimaschutz sind äußerst gering. Und die Hauptunfallursache auf Bundesautobahnen sind eine ‚nicht angepasste‘ Geschwindigkeit, etwa bei Regen oder Glatteis, und zu geringer Abstand. In beiden Fällen ist ein starres Tempolimit unwirksam.