Berlin. Über Geld spricht man nicht, heißt es in Deutschland. Erst recht nicht wird über das eigene Gehalt geredet. Warum eigentlich nicht?
Bei einer Weihnachtsfeier traf ich vor wenigen Tagen einen langjährigen Ex-Kollegen. Der hat als Techniker gerade seinen Job gewechselt, ist nun fest angestellt. „Und – Du bis jetzt wahrscheinlich A8?“, fragte ein anderer Kollege. „Nein, sogar A9“.
Viel schlauer war ich durch dieses Gespräch nicht. Ich habe nicht nachgefragt, denn für mich war in dem Moment klar: Das tut man nicht. Dass ich diesen Artikel würde schreiben müssen, war zu dem Zeitpunkt nicht klar, sonst wäre das Gespräch anders verlaufen.
Obwohl hier eigentlich Transparenz herrscht – jeder könnte in Besoldungstabellen des öffentlichen Dienstes nachschauen – sprechen wir lieber über rätselhafte Chiffren wie A8 und A9. Was das konkret am Ende eines Monats auf dem Konto bedeutet, wissen nur die Betroffenen selbst. So soll es sein. Denn wir Deutschen sprechen eben nicht gern über unser Einkommen und unsere Vermögenslage.
Über Geld wird oft nicht einmal mit dem Lebenspartner gesprochen
Dass dies ein allgemein weit verbreitetes Phänomen ist, belegen Studien und Umfragen immer wieder aufs Neue. So haben die Meinungsforscherinnen und Meinungsforscher von YouGov herausgefunden, dass rund 70 Prozent der Deutschen das Thema weder mit ihren Eltern noch mit ihren Freunden besprechen. Und 40 Prozent sprechen nicht einmal mit ihren Lebenspartnern über Geld.
Aus psychologischer Sicht hat das einen schlichten Grund: Es fehlt der Mut. Niemand wird wohl bestreiten, dass wir sehr oft gerne wissen würden, was andere in unserem Umfeld verdienen.
Nur: Dann müssten wir auch darüber reden, was bei uns selbst jeden Monat auf dem Konto landet. Möglich sind dann Reaktionen wie Neid, Scham oder Enttäuschung. Enttäuschung und Neid, weil andere vielleicht weniger leisten und doch mehr verdienen. Scham, weil es anderen vielleicht finanziell schlechter geht als einem selbst. Damit zusammen hängt dann auch die Frage des Selbstzweifels: Habe ich überhaupt verdient, was ich verdiene?
Geld ist ein Äquivalent zum Erfolg
Dabei hat das Phänomen der Schweigsamkeit aber noch eine andere Dimension. Denn Geld ist in kapitalistisch organisierten Gesellschaften ein Äquivalent zum Erfolg. Wer erfolgreich ist, verdient mehr, wer mehr verdient, hat es auf der Sprossenleiter der Gesellschaft zu mehr gebracht.
Auch hier geben sich Deutsche in Gruppen mit anderen Menschen gerne eher bescheiden. Hier wirkt, wie Psychologen vermuten, wiederum Angst: Von anderen Menschen ausgegrenzt zu werden und nicht mehr zur Gruppe zu gehören.
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In den USA sind Vermögen ungleich verteilt – trotzdem reden alle über Geld
Dass es allerdings kein „natürliches“ Verhalten ist, über Geld lieber zu schweigen, zeigt der Blick in die USA. Dort gibt es dieses Tabu nicht. Die meisten Menschen reden offen über Geld. Das muss zunächst erstaunen. Denn fast nirgendwo sonst auf der Welt sind die Vermögen so ungleich verteilt wie in den Vereinigten Staaten. Doch die amerikanische Kultur ist geprägt vom Glauben an den „American Dream“.
Der ebenso schlichten wie wirkungsmächtigen Erzählung, dass jeder es vom Tellerwäscher zum Millionär schaffen kann. Mit dieser Sicht liegt die Verantwortung für die soziale und finanzielle Stellung bei jedem Einzelnen, seiner Tatkraft und Engagement, kurz: Wer viel Geld macht oder hat, hat es verdient.
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Neid spielt in den USA nicht die entscheidende Rolle
Neid mag es zwar geben, spielt aber nicht die entscheidende Rolle. Denn jeder kann sich sagen, dass er sich eben weniger engagiert hat und deswegen weniger verdient. Damit verbunden ist eine dynamische Sichtweise auf Gehalt und Reichtum: Da jedem die Chance jederzeit offensteht, mehr aus seinem Leben und seinen finanziellen Verhältnissen zu machen, ist die Gegenwart eigentlich nur ein Übergang nach oben oder nach unten.
Anders gesagt: Niemand muss sich schämen, heute weniger zu verdienen. Denn – so der Glaube – durch etwas mehr Tatkraft und Einsatz kann man morgen auch zu den Besserverdienenden gehören.
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In Deutschland wird man in die Verhältnisse geboren
In Deutschland ist das anders, denn es gibt – trotz der Betonung von Chancengleichheit, diesen Traum nicht. Hier liegt das Augenmerk tendenziell eher darauf, dass gesellschaftliche und finanzielle Stellung von den Umständen abhängt und geprägt sind. In die ist man quasi hineingeboren.
In der Tat ist in Deutschland (wie übrigens in den USA auch), gesellschaftliche Stellung quasi „vererbbar“. Sprich: Kinder von wohlhabenden und gebildeten Menschen haben große Chancen, in die Fußstapfen ihrer Eltern zu treten. Kinder von ärmeren und bildungsferneren Schichten dagegen haben es ungleich schwerer, den sozialen Aufstieg zu schaffen.
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Wir sollten das Schweigen brechen
Das Schweigen über das liebe Geld schließlich wirkt sich aus. Denn in der Konsequenz scheint es auch so zu sein, dass viele Menschen nicht über Geld nachdenken.
In Umfragen gibt rund die Hälfte der Deutschen an, sich nicht für Finanzanlagen zu interessieren. Sogar Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) sagte auf einer Bankenkonferenz, er verwahre sein Erspartes auf dem Konto.
Das ist gerade in heutigen Zeiten ein Problem. Denn durch die mickrigen Zinsen für das Geld auf dem Konto wird das Ersparte faktisch durch die Inflation immer weniger.
Noch offensichtlicher dürfte das in naher Zukunft werden, wenn mehr und mehr Banken dazu übergehen, Minuszinsen an ihre Kunden weiter zu geben. Es wäre eigentlich in aller Interesse, das Schweigen zu brechen und über Geld und Gehalt offener zu sprechen.