Brüssel/Berlin. Finanzminister Scholz will Steuern auf Aktienkäufe einführen. Kritik kommt nicht nur von der Opposition. Was bis jetzt bekannt ist.

Großer Wirbel um einen neuen Vorstoß von Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) zur Besteuerung von Börsengeschäften in Europa: Ein am Dienstag bekannt gewordener Gesetzentwurf von Scholz sieht vor, dass alle Personen, die Aktien großer Unternehmen kaufen, 0,2 Prozent des Geschäftswertes als Steuer an den Fiskus zahlen – bei einem Aktienkauf in Höhe von zehntausend Euro fielen also 20 Euro als Steuer an, auch für Privathaushalte.

In Deutschland erntete Scholz massive Kritik, auch vom Koalitionspartner Union. „Der Vorschlag ist ein Angriff auf die deutschen Kleinanleger und konterkariert alle Ziele, die Altersvorsorge in Deutschland zu stärken“, sagte der CDU-Abgeordnete Christoph Ploß unserer Redaktion.

Kritik an Börsensteuer: „Kleinanleger sollen für Kleinrentner zahlen“

Der Grünen-Finanzexperte im EU-Parlament, Sven Giegold, nannte den Entwurf „eine Farce, keine echte Finanztransaktionssteuer.“ So würden weder sekundenschnelle Spekulationsgeschäfte eingedämmt noch relevante Einnahmen erzielt, stattdessen sollten nun „Kleinanleger für Kleinrentner bezahlen“, sagte Giegold unserer Redaktion.

Ob genügend EU-Staaten dem Vorschlag folgen, ist noch völlig offen. Das österreichische Finanzministerium etwa reagierte sehr verhalten: Eine Sprecherin sagte auf Anfrage, das Ministerium lasse untersuchen, ob die ursprünglichen Ziele der Steuer auf dieser Basis noch erreicht würden. Scholz erklärte dagegen, er erwarte eine baldige internationale Einigung, man sei im „Schlussspurt“.

Was ist die Finanztransaktionsteuer?

Es ist ein kompliziertes Wort und selbst Fachleute wissen nicht immer, was genau damit gemeint ist. Jetzt ist sie in den Schlagzeilen, weil sie nach den Plänen von Scholz einen Teil der neuen Grundrente finanzieren soll, auf die sich die große Koalition geeinigt hat.

Die Steuer steht aber bereits im Koalitionsvertrag der großen Koalition – zum ersten Mal 2013 und dann wieder 2017. Das Ziel soll „die Beteiligung des Finanzsektors an den Kosten der Krise und an den Zukunftsaufgaben von Wachstum und Beschäftigung“ sein, so lautet die Formulierung vor sechs Jahren.

Im aktuellen Vertrag heißt es nur, man wolle die Einführung der Steuer „zum Abschluss bringen“. Die Idee ist alt. Der britische Ökonom John Maynard Keynes schlug 1936 vor, Spekulationen an der Börse mit einer „Transfersteuer“ einzudämmen.

Der US-Wissenschaftler James Tobin entwickelte in den 1970er Jahren den Plan, mit einer Steuer auf Devisengeschäfte die Währungsschwankungen begrenzen. Vor 30 Jahren dann gründete sich in Frankreich die „Vereinigung zur Besteuerung von Finanztransaktionen im Interesse der Bürger“ (Attac); den deutschen Ableger des globalisierungskritischen Netzwerks gibt es seit 2000.

Eine Kernforderung: die Macht der Finanzmärkte durch Einführung einer Steuer auf Börsengeschäfte zu begrenzen. Seit der Finanzkrise 2008 wurde die Einführung der Steuer zuerst international diskutiert. Inzwischen geht es nur noch um eine EU-weite Steuer. Sie soll ein Ausgleich sein für die Rettung der Banken durch Steuergeld – und würde in der Theorie etwa zur Armutsbekämpfung verwendet.

Seitdem sind auch konservative Politiker für die Steuer. Grünen-Finanzexperte Giegold sagt: „Seit fast 20 Jahren haben Entwicklungsorganisationen, Gewerkschaften, Kirchen und die Zivilgesellschaft große Hoffnungen in die Steuer gelegt. Zahlreichen Wirtschaftswissenschafter setzen sich für eine Steuer ein, von der sich Scholz weit entfernt hat.“

Was plant Bundesfinanzminister Olaf Scholz?

Scholz will sich an einer schon bestehenden französischen Steuer orientieren. Die Grundzüge des Modells hat er gemeinsam mit seinem Kollegen in Paris entwickelt; beide Minister präsentierten die Idee bereits vor Monaten anderen interessierten EU-Finanzministern, die seitdem diskutieren. Kern des nun als Gesetzentwurf präzisierten Vorschlags: Es sollen nur Aktiengeschäfte besteuert werden, viele andere Finanzprodukte blieben außen vor.

Der Gesetzentwurf, über den zuerst die Süddeutsche Zeitung berichtet hatte, sieht im Detail weiter vor: Die Steuer soll auf Aktien nur großer Unternehmen erhoben werden – solchen, die einen Börsenwert von mehr als einer Milliarde Euro haben. In Deutschland handelt es sich um etwa 150 Unternehmen. Außerdem soll es Ausnahmen geben: Wenn sich ein Unternehmen durch einen Börsengang frisches Kapital beschaffen will, soll die Steuer nicht fällig werden.

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    Jedes Land soll für sich entscheiden, ob Aktienfonds und ähnliche Produkte zur privaten Altersvorsorge besteuert würden oder nicht; in Deutschland ist noch offen, ob die Steuer auf private Rentenvorsorgeprodukte erhoben werden soll. Scholz verspricht sich von der Aktiensteuer in Deutschland Einnahmen von rund 1,5 Milliarden Euro; etwa eine Milliarde sollen zur Finanzierung der Grundrente verwendet werden.

    Wird die Steuer europaweit eingeführt?

    Nein, vorerst sicher nicht. Ein gemeinsames Vorgehen für eine Finanztransaktionssteuer planen bislang zehn EU-Staaten, neben Deutschland Belgien, Griechenland, Spanien, Frankreich, Italien, Österreich, Portugal, Slowenien und die Slowakei. Aber einig sind sie sich noch nicht. Die Gespräche darüber gerieten in den letzten Monaten ins Stocken. Anders als geplant kam eine Beratung während des EU-Finanzministertreffens vergangene Woche in Brüssel nicht zustande.

    Bislang war daran gedacht, die Einnahmen der Steuer in einen gemeinsamen Topf fließen zu lassen. Von dort würden sie an die beteiligten EU-Länder verteilt. Nach EU-Recht braucht eine solche „verstärkte Zusammenarbeit“ mindestens neun EU-Staaten. Das bedeutet, dass in der 10er-Gruppe schon zwei Aussteiger das Projekt platzen lassen könnten. Kleine Staaten wollen jetzt stärker beteiligt werden, um ihre Verwaltungskosten hereinzubekommen. Andere Länder wie Österreich sind mit dem ganzen Modell unzufrieden und fordern, nicht nur Aktien, sondern auch andere Finanzprodukte zu besteuern.

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      Eine Sprecherin des österreichischen Finanzministeriums sagte am Dienstag unserer Redaktion zu dem Scholz-Vorschlag, Österreich vertrete den Standpunkt, dass die Steuer eine möglichst breite Bemessungsgrundlage haben solle; diese Position werde auch bei der nächsten Sitzung vertreten. Der Scholz-Vorschlag sehe allerdings „eine minimale Bemessungsgrundlage“ vor: Es sollen keine synthetischen Anlageprodukte und Derivate besteuert werden, sondern ausschließlich Aktien; auch der Hochfrequenzhandel wäre befreit, monierte die Sprecherin.

      Das österreichische Finanzministerium habe bereits vor einiger Zeit eine Studie in Auftrag gegeben, die abschätzen soll, ob die ursprünglichen Ziele der Steuer – etwa die Eindämmung von Spekulationsgeschäften - mit dem deutsch-französischen Vorschlag erreicht würden und welche Auswirkungen diese Steuer auf den österreichischen Finanzmarkt hätte. Begeisterung klingt anders. Auch in Brüssel gab es unter EU-Diplomaten zunächst verhaltene Reaktionen – dass Scholz den Vorschlag zeitgleich den Finanzministern und der Öffentlichkeit präsentierte, sorgt bei EU-Diplomaten für Verärgerung. Scholz zeigte sich dennoch optimistisch: Über seinen Vorschlag werde jetzt nachgedacht werden können. „Wir sind jetzt am Ende der Kurve und können den Schlussspurt einlegen.“

      Gibt es die Steuer schon irgendwo?

      Einzelne EU-Länder haben eine solche Börsensteuer, dazu gehören Italien, Belgien oder Finnland. Vorbild für eine EU-weite Lösung ist Frankreich. Dort wird seit 2012 eine Steuer erhoben, wenn Wertpapiere von großen Aktiengesellschaften gekauft werden. Der Steuersatz betrug zunächst 0,2 Prozent des Kaufpreises, seit 2017 sind es 0,3 Prozent.

      Maßstab für die Größe ist der Marktwert aller Aktien des Unternehmens; er muss bei über einer Milliarde Euro liegen. In Frankreich trifft das auf etwa 100 Unternehmen zu. Erfasst werden der direkte Wertpapierkauf, aber – anders als im jetzt erörterten Modell – auch Derivate. Wertpapiergeschäfte im Hochfrequenzhandel werden mit 0,01 Prozent besteuert.

      Warum gibt es so viel Kritik an dem Vorstoß?

      Der Finanzexperte der Grünen im Europaparlament, Sven Giegold, sagt, nur wie von Scholz geplant den Aktienhandel zu besteuern und Derivate auszuklammern, torpediere die ursprüngliche Idee der Steuer: „Ohne die Besteuerung von Derivaten wird der Schaden von spekulativen Übertreibungen an den Finanzmärkten weiterhin auf die Gesellschaft abgewälzt.“

      Scholz habe das ursprüngliche Modell „bis zur Unkenntlichkeit und Unwirksamkeit entstellt“ und trage ein Gerechtigkeitsprojekt zu Grabe, für das sich hunderttausende Menschen jahrelang eingesetzt hätten. Die Einnahmen einer echten Finanztransaktionssteuer wären in Deutschland mit 12 Milliarden Euro zehnmal höher als die „Mini-Steuer von Scholz“. Zudem habe Scholz die Steuer zweckentfremdet: „Ursprünglich sollte die Steuer die Globalisierung ein Stück gerechter machen, indem damit globale Armut bekämpft wird. Scholz nutzt sie zur Finanzierung des Rentensystems“, kritisierte Giegold.

      Massive Kritik kommt auch aus der Unionsfraktion im Bundestag. Der CDU-Abgeordnete Ploß sagte: „Wir bräuchten statt solcher Vorschläge einen Freibetrag für Kleinanleger: Denn alle Untersuchungen zeigen, dass Aktien enorm wichtig sind, um fürs Alter vorzusorgen.“ Der wirtschaftspolitische Sprecher der christdemokratischen EVP-Fraktion im EU-Parlament, Markus Ferbers sagte, die Vorschläge von Scholz seien „vollkommen falsch konzipiert.“

      Ferber warnte: „Während langfristige Investoren von der Steuer betroffen wären, freuen sich kurzfristig orientierte Spekulanten über Ausnahmen. Dass normale Aktien betroffen sind, komplexe Derivate aber nicht, ist der komplett falsche Weg. Damit ist der Finanzstabilität in der EU mehr geschadet als genützt.“ Der Fraktionsvize der Linken im Bundestag, Fabio De Masi, sagte, Scholz verspiele eine historische Chance. „Die Aktiensteuer hat nichts mit der ursprünglichen Idee einer Finanztransaktionssteuer zu tun.“